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Datum(41) Dienstag, der 21.10.2025, 04:00 Uhr
IDhes0005 4 vm 910 lhe 0113
BetreffMedizin/Kriminalität/Hessen/Helpme/(KORR-Bericht) Spuren der Gewalt - Wie Rechtsmediziner Opfern helfen Von Christine Schultze (Text) und Christian Lademann (Fotos), dpa (Foto Produktion)
TextVertraulich, unabhängig und möglichst schnell: Das Ärzte-Team am
Gießener Institut für Rechtsmedizin will Spuren von Gewalttaten
sichern, bevor sie verschwinden.
Gießen (dpa/lhe) - Blutergüsse, Knochenbrüche, Stichverletzungen und
Würgemale - mit solchen und anderen Verletzungsbildern sind die Ärzte
am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Gießen in
ihrem Berufsalltag häufig konfrontiert. Menschen mit
Gewalterfahrungen finden hier eine Anlaufstelle, um die Spuren der
Taten dokumentieren und sicher archivieren zu lassen - vertraulich
und unabhängig von einer Strafanzeige bei der Polizei.
Vor über elf Jahren war das sogenannte Forensische Konsil Gießen als
Pilotversuch gestartet. Gemeint ist damit eine patientenbezogene
Beratung eines Arztes oder Therapeuten durch einen anderen Facharzt.
Das längst etablierte System soll Opfer ermutigen, sich möglichst
rasch nach einer Tat Ärzten anzuvertrauen und untersuchen zu lassen -
denn häufig ist die Spurendokumentation und -sicherung ein Wettlauf
gegen die Zeit, wie der Facharzt für Rechtsmedizin und
Institutsleiter Sven Hartwig beschreibt.
Gewaltspuren sind vergänglich
Das liegt zum einen daran, dass die Spuren der Taten am menschlichen
Körper vergänglich sind - DNA-Spuren können abgewaschen oder
verwischt werden, sich verändern oder ganz verschwinden und
Verletzungen abheilen. Hinzu kommt die kurze Halbwertzeit der bei
Gewalttaten eingesetzten Substanzen. Das berüchtigte GHB
beispielsweise, mit dem manche Vergewaltigungsopfer außer Gefecht
gesetzt werden, ist nur kurz im Blut der Betroffenen nachweisbar,
ebenso wie Alkohol, das laut Hartwig mit Abstand am häufigsten
eingesetzten K.o.-Mittel.
In rund 350 Fällen wird das Gießener Institut für Rechtsmedizin pro
Jahr zu Rate gezogen, das sind rund zehnmal so viele wie zum Start
des Forensischen Konsils im Jahr 2014. Hinzu kommen rund 800
Obduktionen bei ungeklärten Todesfällen sowie toxikologische
Untersuchungen, etwa im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen. Generell
macht sich das Institut ein Bild von allen Arten von Verletzungen
durch Gewalttaten, also etwa auch bei Beteiligten einer Schlägerei im
Rahmen polizeilicher Ermittlungen.
Die regionale Zuständigkeit umfasst fünf Landgerichtsbezirke - neben
Gießen auch Marburg, Kassel, Limburg und Fulda mit den jeweils
zugehörigen Amtsgerichtsbezirken. Für den Großraum Frankfurt und
weiter südlich gelegene hessische Regionen ist das Forensische Konsil
des Universitätsklinikums Frankfurt zuständig.
Fallzahlen haben sich seit Gründung vervielfacht 
Mehr als die Hälfte der 350 Fälle pro Jahr beträfen Kinder und
Jugendliche, sagt Hartwig. Manche von ihnen erlitten Schütteltraumata
oder mussten Schläge, Tritte oder herbeigeführte Stürze erleben,
andere erfuhren Gewalt durch Verbrennungen oder Verbrühungen oder
wurden durch sexuelle Übergriffe verletzt. Bei den übrigen Fällen
geht es überwiegend um häusliche und sexualisierte Gewalt, Opfer sind
meist Frauen. Schock, Scham und Angst vor den Tätern, die meist aus
dem nahen Umfeld stammen, hindern diese Betroffenen häufig daran,
sich Ärzten anzuvertrauen.
Er hofft, künftig mehr Partnerkliniken für das Forensische Konsil
gewinnen zu können, damit Betroffene ein dichteres Netz kompetenter
Anlaufstellen vorfinden. Denn je weiter die Anfahrt, desto höher die
Hürden, solche Dienste in Anspruch zu nehmen, weiß der
Rechtsmediziner. «Wir müssen daran arbeiten, bekannter zu werden.»
Institut will Netzwerk mit Partnerkliniken stärken
Hessenweit zwölf Kliniken und Praxen arbeiten bereits mit dem
Gießener Institut zusammen. Für die Opfer ist die vertrauliche
Spurensicherung kostenlos. Erst Anfang Juli hatte die hessische
Landesregierung einen Vertrag vorgestellt, der sie als reguläre
Kassenleistung vorsieht. Ob sich dadurch mehr Betroffene an Kliniken
und Arztpraxen wenden, sei erst im kommenden Jahr zu beantworten, da
dann eine erste Abrechnung erfolgen werde, hieß es vom hessischen
Gesundheitsministerium dazu.
Die Partnerkliniken und -praxen erhalten für die vertrauliche
Spurensicherung nebst Schulungen auch spezielle Sets, die unter
anderem Kameras, Winkellineale, Utensilien für Abstriche und
Asservatenbeutel enthalten, etwa zur Sicherung von Kleidungsstücken.
Zu den erhobenen Befunden können sich Klinik-Ärzte anschließend mit
den Gießener Rechtsmedizinern beraten.
Das System verschafft Opfern Zeit, sich später zu entscheiden, ob sie
Anzeige erstatten - dann können sie auf die archivierten Spuren
zurückgreifen. Dass es dazu kommt, sei aber «fast eine Rarität», sagt
Hartwig. Über die Gründe lasse sich nur spekulieren: Von der Furcht,
vom Peiniger erneut Gewalt zu erfahren, bis hin zur Versöhnung unter
Partnern ist alles denkbar.
Höhere Sensibilität bei Gewalt gegen Kinder
Bei Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch und -misshandlungen wird
derweil nach den Worten Hartwigs mittlerweile genauer hingeschaut.
Sowohl Pädagogen als auch Bürger und Behörden seien sensibilisierter
und die Anfragen von Jugendämtern nähmen zu.
Das schlägt sich auch in Daten des Statistischen Landesamtes nieder:
Demnach stieg die Zahl der bei den Jugendämtern registrierten
Kindeswohlgefährdungen in Hessen im vergangenen Jahr um sieben
Prozent auf den Höchststand von 6.620 Fällen. In 48 Prozent davon
stellten die Jugendämter psychische Misshandlungen und in 47 Prozent
Vernachlässigung fest. Bei 32 Prozent der Fälle lagen körperliche
Misshandlungen vor, in 5 Prozent Anzeichen sexueller Gewalt. 
Erste Hinweise für Gewalt an Kindern fallen laut Hartwig oft bei
Kinderärzten auf. Diese konfrontieren in der Regel zunächst die
Erziehungsberechtigten mit den Befunden. Reagieren diese nicht oder
weisen Verdachtsmomente von sich, können die Ärzte die Jugendämter
informieren, die sich dann an die Gießener Rechtsmediziner wenden
können. Bei Bedarf werden Betroffene auch direkt in der
Institutsambulanz körperlich untersucht. Den ganz jungen Opfern soll
das Ankommen hier erleichtert und die Angst genommen werden.
Kuscheltiere, ein Puppenhaus und Möbel in fröhlichen Farben sorgen
für eine kinderfreundliche Atmosphäre in der Ambulanz.
Rechtsmediziner mit viel Leid konfrontiert
Bei ihrer für die Aufklärung von Straftaten essenziell wichtigen
Arbeit begegnen Hartwig und seine Kolleginnen und Kollegen viel
menschlichem Leid. Wie belastend ist das auf Dauer? «Wir gehen mit
einer sehr professionell distanzierten Haltung an die Dinge heran»,
sagt Hartwig. Das helfe, die Taten nicht mit nach Hause zu nehmen.
Leider erleben er und sein Team aber auch immer wieder Fälle, bei
denen alle Bemühungen um den Opferschutz vergeblich sind - etwa wenn
häusliche Gewalt so eskaliert, dass Personen, die zuvor noch
Verletzungsspuren in dem Institut dokumentieren ließen, später als
Todesopfer auf dem Sektionstisch der Rechtsmedizin landen. «Das kommt
durchaus vor», sagt Hartwig.
# Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Infobox bis 1300 - ca. 10 Zl.
- Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa
Bildangebot:
- Forensisches Konsil an der Uniklinik Gießen
## Orte
- [Institut für Rechtsmedizin](Frankfurter Straße 58, 35392 Gießen,
Deutschland)
* * * *
Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt
## Ansprechpartner
- Christine Bode, Pressesprecherin Universitätsklinikum Gießen und
Marburg, +49 641 985 40013
- Pressestelle Statistisches Landesamt, +49 611 3802 613
- Esther Walter, Pressesprecherin hessisches Gesundheitsministerium,
+49 611 3219 3494
## Kontakte
- Autor/in: Christine Schultze (Niddatal), +49 (6187 9309 421) ,
schultze.christine@dpa.com
- Redaktion: Carla Benkö (Berlin) +49 30 2852 30002,
deutschland-desk@dpa.com, Foto: Newsdesk, +49 30 2852 31515,
foto@dpa.com
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