Doppelte Bedrohung durch Resistenzen und Engpässe |
Melanie Höhn |
19.11.2024 14:30 Uhr |
V.l.n.r.: Elmar Kroth (stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland), Cosima Bauer (Geschäftsführerin des Forschungs- und Beratungsinstituts May und Bauer), Thomas Weigold (Sandoz/Hexal AG), Johannes Bauernfeind (Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg), Georg Kippels (MdB, CDU) und Thomas Heil (IQVIA Vice President Consumer Health). / © Pharma Deutschland
Lieferengpässe und die rasante Zunahme antibiotikaresistenter Bakterien gefährden die Gesundheitsversorgung weltweit – das wurde anlässlich des gestrigen Europäischen Antibiotikatages im Rahmen eines Pressegesprächs von Pharma Deutschland in Berlin noch einmal mehr als deutlich. Schirmherr der Veranstaltung war der Bundestagsabgeordnete Georg Kippels, Obmann der CDU/CSU im Gesundheitsausschuss.
»Antimikrobielle Resistenzen stellen eine stetig wachsende Bedrohung für die globale Gesundheit dar und schwächen vor allem fragile Gesundheitssysteme. Die Herausforderung liegt jedoch nicht nur im medizinischen Bereich, sondern ebenso in wirtschaftlichen und strukturellen Hürden«, betonte Kippels.
Das Marktversagen im Bereich der Forschung an und Entwicklung von neuen antimikrobiellen Wirkstoffen hemme den Markteintritt neuer, dringend benötigter Wirkstoffe. »Gerade hier in Deutschland, mit unserer starken Gesundheitswirtschaft, liegt eine große Chance, innovative Anreizmodelle zu fördern und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen«, so Kippels weiter. Reserveantibiotika aus der Überprüfung des Zusatznutzens im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie herauszunehmen, sei bereits ein sinnvoller Ansatz, reiche zur Bewältigung der Herausforderung aber nicht aus.
Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, betonte die Notwendigkeit einer europäischen Strategie: »Insbesondere für so grundlegende und lebenswichtige Wirkstoffe wie Antibiotika muss die Arzneimittelversorgung nachhaltiger und in Europa gemeinsam gedacht werden. Es braucht dringend Änderung im EU-Arzneimittelrecht und eine stärkere Stimme Deutschlands in der EU, um gemeinsam versorgungspolitische Initiativen zu entwickeln und voranzutreiben«. Nur so könne die Verfügbarkeit von wirksamen Antibiotika ganzheitlich stabilisiert werden.
Thomas Heil, Vice President von IQVIA im Bereich Consumer Health, warf einen Blick auf den Antibiotikamarkt in Deutschland. Pharmahersteller stünden bei der Entwicklung neuer Antibiotika vor unterschiedlichen Herausforderungen. Er betonte den Innovationsstau aufgrund der hiesigen Standortprobleme: »In Deutschland tragen nach dem Jahr 2020 eingeführte Antibiotika lediglich 2 Prozent zum Gesamtumsatz mit Antibiotika bei. Wir haben in Deutschland die Herausforderung, dass es einfach keine neuen Antibiotika gibt.«
Thomas Weigold von Sandoz/Hexal AG hob die Bedeutung regionaler Produktionsstätten hervor. »Es braucht Anreize, um Produktionsstandorte in Deutschland zu erhalten. Hier muss künftig viel stärker vernetzt gedacht werden, denn Arzneimittel sind ein integraler Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur. Deshalb benötigen wir einen ressortübergreifenden Ansatz, der Gesundheits-, Wirtschafts-, Umwelt- und Sicherheitspolitik miteinander verbindet, und nicht immer nur neue Auflagen für die Industrie«, betonte er.
Neben der Verfügbarkeit sei der rationale Einsatz von Antibiotika entscheidend, um Resistenzen zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang betonte Georg Kippels: »Nur durch präzise Diagnostik und gezielte Behandlungen können wir die Resistenzbildung verlangsamen, die Wirksamkeit existierender Antibiotika erhalten und Reserveantibiotika für den Notfall bewahren«. Eine global vernetzte ganzheitliche Strategie, die vor allem wirksame Push- und Pull-Mechanismen miteinander kombiniere, sei der einzige Weg, diese Krise effektiv zu bewältigen.
Cosima Bauer, Geschäftsführerin des Forschungs- und Beratungsinstituts May und Bauer, unterstrich zudem die Notwendigkeit eines rationalen Antibiotikaeinsatzes aus versorgungspolitischer und gesundheitsökonomischer Sicht. »Antibiotika sind hoch wirksame Arzneimittel, die zielgerichtet eingesetzt werden müssen, um auch künftig wirksam zu bleiben«. Allerdings erhalte bei akuter Pharyngitis beispielsweise aktuell jeder zweite Patient in der Hausarztpraxis ein Antibiotikum, obwohl nur jeder fünfte tatsächlich einen bakteriellen Infekt habe, so Bauer. Hier sieht sie erhebliche und einfach zu realisierende Verbesserungspotenziale.
Point-of-Care-Tests in Hausarztpraxen und Apotheken würden eine schnelle Identifikation bakterieller Infektionen ermöglichen, so könnten Patienten mit bakterieller Pharyngitis gezielt behandelt und unnötige Verordnungen vermieden werden, erklärte sie weiter. »Unsere Berechnungen zeigen, dass der Einsatz dieser Tests für die Krankenkassen budgetneutral ist und gleichzeitig die Versorgungsqualität sowie die Patientensicherheit erhöht.«
Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland, forderte in diesem Zusammenhang eine neue Wertschätzung der Antibiotikaproduktion. »Ohne attraktive Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion bleibt die Gesundheitsversorgung gefährdet. Deutschland hat die Chance, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen«. Pharma Deutschland unterstütze die Entwicklung konkreter Maßnahmen, um die Antibiotikaversorgung nachhaltig zu sichern und die Gesundheitskrise durch Resistenzen gemeinsam zu bewältigen.