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Bumetanid

Diuretikum als neues Alzheimermittel?

Auf der Suche nach altbekannten Arzneistoffen, die bei Alzheimer wirksam sein könnten, haben US-Forscher einen unerwarteten Fund gemacht: das Schleifendiuretikum Bumetanid. Dass es wirkt, legen die Daten nahe, doch wie es das tut, weiß man noch nicht.
Annette Rößler
14.10.2021  13:06 Uhr

Drug Repurposing, zu Deutsch etwa Umwidmung von Arzneistoffen, nennt man es, wenn etablierte Arzneistoffe auf ihre Wirksamkeit in anderen Indikationen abgeklopft werden. Es hat den großen Vorteil, dass die Sicherheit der Anwendung bereits gezeigt wurde, sodass in etwaigen klinischen Prüfungen lediglich die Wirksamkeit in der neuen Indikation nachgewiesen werden muss. Das allein kann allerdings auch schon ziemlich schwierig sein. Wenn das Patent auf den Wirkstoff abgelaufen ist und die Verdienstmöglichkeiten im Fall einer Indikationserweiterung entsprechend gering sind, findet sich oft kein Hersteller, der diesen Aufwand betreibt.

Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs gesagt, dass die Erkenntnisse, die ein Team um Alice Taubes vom Gladstone Institute of Neurological Disease in San Francisco jetzt im Fachjournal »Nature Aging« mit der Fachwelt teilen, irgendwann zur Zulassung eines »neuen« Alzheimermittels führen werden. Interessant sind sie aber allemal, vor allem weil es sich um eine ganz neue Herangehensweise handelt.

Die Wissenschaftler gingen von der bekannten Tatsache aus, dass ApoE4, eine bestimmte Variante des Gens, das für Apolipoprotein E kodiert, mit einem erhöhten Alzheimerrisiko einhergeht. Heterozygote Träger von ApoE4 haben ein drei- bis vierfach erhöhtes Alzheimerrisiko, homozygote Träger sogar ein 12- bis 14-fach erhöhtes Risiko. Anhand von öffentlich zugänglichen Datenbanken analysierten die Forscher zunächst, welche Signalwege bei bestimmten ApoE-Genotypen Abweichungen von der Norm aufwiesen – und erlebten die erste Überraschung: Bei homozygoten ApoE4-Trägern waren mehr als 1000 Gene verändert, die zuvor teilweise noch gar nicht mit Alzheimer in Verbindung gebracht worden waren. Sie waren an ganz unterschiedlichen Signalwegen beteiligt und nahmen darüber beispielsweise Einfluss auf den zirkadianen Rhythmus, die Opioid-Abhängigkeit oder den Neurotransmitter GABA.

Positive Effekte bei Mäusen…

Mithilfe einer weiteren Datenbank suchten die Forscher nun nach Arzneistoffen, die diese spezifischen Abweichungen im Transkriptom wieder ausgleichen. Sie fokussierten sich also nicht auf einen bestimmten Signalweg oder Botenstoff, sondern adressierten vielmehr die Breite der Veränderungen, die mit der genetischen Signatur einherging. Das ist ein radikal anderer Ansatz, als er in der Alzheimerforschung, wo häufig das β-Amyloid (Aβ) im Fokus steht, bislang verfolgt wurde.

Den besten Treffer landeten sie bei Bumetanid. Das Schleifendiuretikum ist in den USA seit den 1980er-Jahren auf dem Markt, in Deutschland ist es nicht im Handel. Bei ApoE4-homozygoten Mäusen mit Alzheimer-ähnlichen Symptomen führte die Gabe von Bumetanid zu einer Besserung der kognitiven Funktion und der räumlichen Orientierung. Eine Analyse des Transkriptoms zeigte, dass die ApoE4-spezifischen Veränderungen der Genexpression durch Bumetanid tatsächlich wieder aufgehoben wurden. Dies ließ sich an menschlichen Nervenzellen, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen worden waren, bestätigen. Obwohl die Wirkung auf Aβ nicht das Hauptinteresse der Forscher war, zeigte sich auch hier ein positiver Effekt: Aβ-Plaques im Gehirn der Mäuse schrumpften.

… und Blutdruck-Patienten unter Bumetanid

Sollte Bumetanid tatsächlich auch bei Menschen gegen Alzheimer wirken, müsste das Risiko für die Erkrankung bei Patienten, die das Diuretikum etwa gegen Bluthochdruck verordnet bekommen, niedriger sein als bei anderen. Um diese Überlegung zu überprüfen, werteten die Forscher in einem weiteren Schritt mehrere große Verordnungsdatenbanken aus. Dabei stellten sie fest, dass die Einnahme von Bumetanid bei über 65-Jährigen tatsächlich mit einem 35 bis 75 Prozent niedrigeren Alzheimerrisiko verbunden war.

»Bei Alzheimerpatienten gibt es neben den Plaques viele zelluläre und molekulare Veränderungen, über die wir in der Regel aber nicht reden«, sagte Seniorautor Dr. Yadong Huang gegenüber dem Nachrichtenportal STAT. »Diese Ergebnisse legen nahe, dass wir wahrscheinlich nicht nur auf eines, sondern auf viele Gene und viele an der Erkrankung beteiligten Signalwege abzielen sollten.«

Bumetanid scheint also neben seiner bekannten Wirkung auf Ionentransporter in der Henle-Schleife in der Niere noch weitere bislang nicht beachtete Effekte zu haben. Wie diese genau die Alzheimer-Pathologie beeinflussen, ist unklar. Laut Professor Dr. Jeffrey Cummings von der University of Nevada in Las Vegas, der nicht an der Studie beteiligt war, sollten sie nun weiter untersucht werden.

Jetzt schnell klinische Studien mit Bumetanid bei Alzheimerpatienten zu beginnen, hält er allerdings nicht für ratsam: »Die Beziehung dieses Arzneistoffs zu Alzheimer ist noch nicht bewiesen und sein Nebenwirkungsprofil ist bei älteren Menschen unerwünscht«, sagte er STAT mit Blick auf die dehydrierende Wirkung von Bumetanid und das Risiko für Elektrolytverschiebungen.

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