Disziplinen intelligent verknüpfen |
Kerstin A. Gräfe |
30.05.2024 10:30 Uhr |
Professor Dr. Gerd Geißlinger stellte beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran das 4-D-Konzept vor, mit dem ein transdisziplinärer Ansatz in der Gesundheitsforschung verfolgt wird. / Foto: PZ/Alois Müller
»Eine moderne, in die Zukunft gerichtete Arzneimittelforschung muss transdisziplinär aufgestellt sein«, betonte Professor Dr. Gerd Geißlinger zu Beginn seines Vortrags beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran. Heutzutage reiche es nicht mehr aus, über einen innovativen Arzneistoff (Drug) zu verfügen, so der Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie am Klinikum der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Leiter des Fraunhofer ITMP. Vielmehr müsse erforscht werden, welche Subgruppen von Patienten besonders gut oder schlecht auf ein jeweiliges Medikament ansprechen. Dafür bedürfe es Biomarker, also diagnostischer Verfahren (Diagnostics). Das zweite D sei somit unabdingbar, um jedem Patienten die jeweils passende Dosis zu applizieren.
Im Rahmen der Diagnostik und Phänotypisierung wiederum entstehe D Nummer 3, eine Fülle an Daten (Data). Diese könne nicht zuletzt auch für neue Forschungsansätze genutzt werden. Zudem brauche es entsprechende Devices, da zukünftig einige Wirkprinzipien nicht mehr klassisch als Tabletten oder Kapseln konzipiert werden, sondern auf Zellen oder Geweben basieren.
»Im Endeffekt repräsentieren die vier D auch vier Berufsgruppen, nämlich Ärzte, Naturwissenschaftler, Informatiker und Ingenieure«, sagte Geißlinger. Diese arbeiteten am Fraunhofer ITMP in den Abteilungen Drug Discovery sowie präklinische und klinische Forschung eng und vertrauensvoll zusammen. Dabei liege der Schwerpunkt auf der Erforschung von Immunerkrankungen. Ziel sei ein Transfer von innovativen Ideen und Technologien aus der biomedizinischen Forschung in die medizinische Anwendung und nicht zuletzt in die Wirtschaft.
Die Grundlage bilde ein Translationskreislauf: Dieser umspanne ausgehend von der Erkrankung des Patienten die drei Abteilungen und solle zur Aufklärung von Krankheitsmechanismen und zur Erforschung neuer Wirkstoffe mit anschließender präklinischer und klinischer Validierung führen. Die aus der Patientenversorgung gewonnenen Erkenntnisse sollten unmittelbar für die Forschung nutzbar gemacht werden.
Wie das 4-D-Konzept in der Praxis umgesetzt werden kann, verdeutlichte Geißlinger am Beispiel der »4-D-Entzündungsklinik«. Dort werden Patienten mit Immunerkrankungen wie Rheuma oder Schuppenflechte behandelt. »Üblicherweise werden entzündliche Erkrankungen organbezogen behandelt«, so der Referent. So suche zum Beispiel ein Psoriasis-Patient zunächst einen Dermatologen und ein Lupus-Patient einen Rheumatologen auf. Da es sich bei Immunerkrankungen aber um Systemerkrankungen handele, sind im späteren Verlauf oft mehrere Organsysteme gleichzeitig betroffen. In der Realität heißt das, dass die Betroffenen verschiedene Fachärzte aufsuchen müssen. Diese Situation sei weder für die Patienten noch die behandelnden Ärzte zufriedenstellend. »Für eine optimale Versorgung von Patienten mit entzündlichen Erkrankungen ist daher ein transdiziplinärer Ansatz essenziell«, sagte Geißlinger.
Konkret bedeute dies, dass die Betroffenen in der 4-D-Entzündungsklinik gleichzeitig von Rheumatologen, Dermatologen und Gastroenterologen betreut werden. Zudem stellt das Fraunhofer ITMP den behandelnden Ärzten das 4-D-Konzept mit forschenden Ärzten, Naturwissenschaftlern, Data-Scientists und Ingenieuren zur Seite. »Damit haben wir nicht nur die Möglichkeit, diese Patienten optimal zu therapieren, sondern auch, einen Translationskreislauf zu durchwandern«, so Geißlinger. Einerseits könnten Patienten schnell von Innovationen profitieren, andererseits werde ein wichtiger Beitrag zu einer kostenintelligenten Gesundheitsversorgung geleistet.