Dieser OTC-Switch wird Leben retten |
Daniela Hüttemann |
06.03.2025 16:20 Uhr |
Naloxon-Nasenspray ist einfach in der Anwendung und kann aufgrund der hohen therapeutischen Breite nur schwer überdosiert werden. Nyxoid ist derzeit das einzige entsprechende Präparat, das in Deutschland auf dem Markt ist. / © Imago Images/TT
Am 21. Januar empfahl der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Naloxon zur nasalen Anwendung aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Jetzt liegt das Ergebnisprotokoll vor. Demnach war das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) selbst der Antragsteller. Es rechnet damit, dass sich die Situation auf dem Drogenmarkt verschärfen könnte, insbesondere vor dem Hintergrund des in Afghanistan verhängten Anbauverbots von Schlafmohn und einer damit verbundenen möglichen Zunahme synthetischer Opioide als Ersatz oder Streckmittel für Heroin. Erste Untersuchungen auf Beimischungen deuten darauf hin.
Es sei daher das Anliegen des BMG, Möglichkeiten für einen erleichterten Zugang zu Naloxon-Nasenspray zu schaffen, damit im Fall von Überdosierungen Todesfälle verhindert werden können, heißt es im Protokoll.
Für eine bessere Verfügbarkeit wurden zwei Anträge verabschiedet: Zum einen soll die Verschreibung für Einrichtungen der Drogen- und Suchthilfe, der Obdachlosenhilfe, des Strafvollzuges oder die Bundes- und Landespolizei durch Einfügung eines neuen Absatzes 2a in § 2 AMVV (Arzneimittelverschreibungs-Verordnung) ermöglicht werden. Auch die Ordnungsämter könnten hier noch aufgenommen werden. Das bislang einzige in Deutschland verfügbare entsprechende Präparat ist Nyxoid® 1,8 mg von Mundipharma, das EU-weit zentral zugelassen ist.
Zum anderen soll Naloxon zur nasalen Anwendung auch als Notfalltherapie bei bekannter oder vermuteter Opioid-Überdosierung rezeptfrei in den öffentlichen Apotheken erhältlich sein – für Konsumenten und deren Umfeld. Hierfür müsste aber wohl noch ein weiteres Naloxon-Nasenspray auf den Markt kommen. In Deutschland über ein dezentralisiertes Verfahren mit Norwegen zugelassen, allerdings nicht auf dem Markt ist Ventizolve 1,26 mg Nasenspray von DNE Pharma aus Norwegen. In Schweden und Frankreich hat es bereits OTC-Status. In Italien und Dänemark gibt es ebenfalls bereits Naloxon-Nasensprays als OTC-Präparate.
Beide Anträge wurden einstimmig angenommen. Es soll keine Maximaldosis verankert werden, da die notwendige Dosierung von der Art und Dosis des verabreichten Opioids abhängig sei. Naloxon habe zudem ein sehr gutes Sicherheitsprofil. Die therapeutische Breite des Opioid-Antagonisten ist sehr groß.
»Die Entlassung von Naloxon aus der Verschreibungspflicht ist ein echter Durchbruch und wird Leben retten«, kommentiert die Deutsche Aidshilfe auf Nachfrage der PZ. »Wir haben uns lange dafür eingesetzt. Denn: Naloxon ist ein hoch wirksames und leicht verwendbares Notfallmedikament, das möglichst viele potenzielle Ersthelfer*innen in der Tasche haben sollten (also auch Mitarbeiter*innen der Drogenhilfe und Konsument*innen). Wo Drogennotfälle mit Opioiden passieren können, dort sollte Naloxon vorhanden sein.«
Die Entlassung aus der Verschreibungspflicht könne die Verfügbarkeit massiv verbessern. »Die größte Hürde war hier bisher die Verschreibungspflicht, zum einen, weil die Verschreibung in der Arztpraxis an sich eine Hürde darstellt, zum anderen weil das Medikament auch von Menschen eingesetzt werden soll, die selbst keine Indikation haben. Wir hoffen sehr, dass auch Menschen mit Opioid-Abhängigkeit sich das Medikament besorgen.«
Apotheken könnten eine wichtige Multiplikatorenfunktion einnehmen, indem sie an passender Stelle Naloxon empfehlen und Informationsmaterial mitgeben, zum Beispiel bei Abholung der Take-Home-Substitute. Auch ein Mitglied des Sachverständigenausschusses betonte, wie wichtig die Anwenderschulungen seien. Laut Protokoll stimmte das BfArM dem zu und führte aus, dass bereits relativ kurz gefasstes, zugelassenes Schulungsmaterial für die Präparate zur Verfügung stehe. Ergänzend merkte das Ministerium an, dass bei einer OTC-Abgabe eine Unterweisung in der Apotheke – wie bei anderen Arzneimitteln auch – stattfinden könne.
Entsprechende Schulungen für Mitarbeitende in Drogen- und Aidshilfen gibt es mit dem Bundesmodellprojekt »NALtrain« bereits. Hier seien bislang mehr als 800 Trainerinnen und Trainer ausgebildet worden, die nun weitere Schulungen anbieten könnten. Hintergrund ist, dass Naloxon-Nasenspray zwar seit 2018 in Deutschland zur Verfügung steht und es zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden kann, bisher aber nur wenige Drogenkonsumierende das Mittel bekommen hatten.
Das NALtrain-Projekt wurde vergangenen Dezember abgeschlossen. »Das Projekt hat gezeigt, dass der Weg über die Arztpraxis bei fortgesetzter Skepsis vieler Behandler*innen, dass das Medikament zum risikoreicheren Konsum motivieren könnte, die größte Hürde der breiteren Implementierung in der Praxis war«, berichtet Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen Aidshilfe, gegenüber der PZ.
»Auch die Ergebnisse des bayerischen Modellprojekts, unsere Erfahrungen und internationale Literatur konnten hier keinen Meinungswandel erzielen. Wir hoffen, dass nun auch viele niedrigschwellig arbeitende Drogenprojekte das Medikament aus der Apotheke beziehen werden, um es an Konsument*innen weiterzugeben. Dies war bisher nicht möglich.«
Die Aidshilfe hofft damit auf eine realistische Chance, den großen Anteil Opioid-bedingter Todesfälle mittelfristig zu reduzieren. Besonders erfreulich sei, dass die Erstattungsfähigkeit bestehen bleiben soll. Auch das unterstütze die dringend notwendige Verbreitung des Medikaments. Bezüglich der Finanzierung legte das BMG laut Protokoll dar, dass eine Erstattung durch die GKV trotz OTC-Status vom Gemeinsamen Bundesausschuss geprüft werde.