Die zukünftige Rolle der Apotheke |
Lukas Brockfeld |
29.01.2025 15:00 Uhr |
Anke Rüdinger bei ihrem Vortrag auf dem BMC Kongress. / © PZ/Brockfeld
Auf dem BMC Kongress des Bundesverbands Managed Care in Berlin wurde am Dienstag darüber diskutiert, wie eine bessere Kooperation verschiedener Berufsgruppen im Gesundheitswesen gelingen kann. Dazu waren Vera Lux, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Anke Richter-Scheer, zweite stellvertretende Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, und Anke Rüdinger, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), als Expertinnen eingeladen.
In einem Impulsvortrag hob Anke Richter-Scheer die Notwendigkeit eines Wandels hervor: »Unser Gesundheitssystem bricht gerade auseinander und um die Patientenversorgung zu sichern, müssen wir uns neu aufstellen. Das ist in den vorherrschenden verkrusteten Strukturen aber mehr als schwierig«, klagte die Ärztin.
Neben einer überbordenden Bürokratie, mangelhafter Vergütung und einer schlecht gemachten Digitalisierung sei gerade die fehlende Patientensteuerung ein großes strukturelles Problem, das unnötig Ressourcen binde. »Viele Patienten mit Ohrenschmerzen gehen beispielsweise sofort zum Hals-Nasen-Ohrenarzt. Ich habe jeden Tag zwei bis drei Patienten mit Ohrenschmerzen, die vom HNO-Arzt zu mir in die Hausarztpraxis geschickt werden«, erzählte Anke Richter-Scheer.
In einem weiteren Vortrag erklärte Anke Rüdinger ihre Ideen für die Aufgaben, die künftig von Apotheken übernommen werden können. Der DAV hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Rolle der »Apotheke der Zukunft« beschäftigt. Rüdinger war es am Dienstag wichtig zu betonen, dass sie neue Ideen vorstellt, die noch nicht alle von der gesamten Apothekerschaft autorisiert wurden.
Ein Kernanliegen der stellvertretenden DAV-Vorsitzenden war die Stärkung der Gesundheitskompetenz und die Prävention von Krankheiten. Hier könnten die Offizinen eine wichtige Rolle spielen. »Wir wollen als Apotheken das Gesundheitssystem entlasten«, betonte Rüdinger.
Laut Rüdinger könnte in Zukunft der aus Großbritannien bekannte Ansatz »Pharmacy First« auch bei uns gelten. »Man könnte das zunächst in der Notversorgung versuchen. Die Menschen wären angehalten als erstes in die Apotheke zu gehen. Dann würde der Apotheker oder die Apothekerin entscheiden, ob eine Vorstellung im Krankenhaus notwendig ist oder nicht«, führte die DAV-Vorsitzende aus.
Im Notdienst erlebe sie es oft, dass Patienten zum Beispiel mit einem Rezept für Nasenspray oder Hustensaft kämen, das von einer Rettungsstelle ausgestellt wurde. »Das kann ich in der Apotheke ohne weiteres selbst entscheiden. Hier könnten wir eine Steuerungsfunktion übernehmen und damit andere Stellen des Gesundheitssystems enorm entlasten«, so Rüdinger.
Die stellvertretende DAV-Vorsitzende kann sich auch vorstellen, leichte Infektionskrankheiten wie eine Bindehautentzündung direkt in der Apotheke zu versorgen. »Es passiert oft, dass ein Patient vor mir steht und ich genau weiß, mit welchem Rezept er später aus der Rettungsstelle wieder zu mir kommen wird. Später kommt er dann auch mit einem Rezept für genau diese Augensalbe. Solche Dinge könnten wir auch übernehmen.«
Die Apotheken könnten auch bei der Adhärenzsteigerung helfen, beispielsweise indem sie Patienten, die zum ersten Mal einen Blutdrucksenker verordnet bekommen haben, begleiten und ihren Blutdruck messen. »50 Prozent aller verordneten und abgegebenen Packungen werden nicht eingenommen. Hier haben wir enormes Potenzial. Erstens beim Sparen von Medikation, aber vor allem bei der Verhinderung von Krankenhauseinweisungen und Folgeerkrankungen«, erklärte Rüdinger.
Auch bei der Prävention könnten die Apotheken eine größere Rolle spielen. Inzwischen hätten sich alle an Impfungen in der Apotheke gewöhnt. Rüdinger wünschte sich, dass die Apotheken auch mit weiteren Totimpfstoffen impfen dürfen.
Bei der Aufklärung über Krankheiten und Gesundheitsrisiken könnten die Offizinen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. »Wir könnten primärpräventive Angebote von anderen Anbietern vermitteln oder selbst entsprechende Angebote machen. Viele Apotheken haben beispielsweise Fachapotheker für Ernährungsberatung. Die müssen die Menschen allerdings momentan noch selbst bezahlen, da Apotheken nicht als Leistungserbringer in der Prävention anerkannt werden«, so die stellvertretende DAV-Vorsitzende.
Die Apotheken könnten außerdem dabei helfen, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voran zu bringen. Schon beim E-Rezept und aktuell bei der EPA hätten sich die Offizinen stark eingebracht. »Die Krankenkassen haben zwar Ombudsstellen eingerichtet, aber viele Leute kommen trotzdem zu uns, wenn sie Probleme mit ihren digitalen Anwendungen haben. Das sind sie schon von den Corona-Impfzertifikaten gewohnt«, erzählte Rüdinger. Auch in den Bereichen assistierte Telemedizin, Datenpflege und digitale Gesundheitsanwendungen könnten die Apotheken zentrale Anlaufstellen werden.
Anke Rüdinger verspricht sich von ihren Vorschlägen eine Entlastung von Arztpraxen und Notdiensten. Die Gesundheitsversorgung ließe sich so verbessern. Das sei auch eine Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. »Wenn es die Apotheken nicht mehr gäbe, dann würde in der Gesellschaft etwas kaputt gehen, weil wir für die Menschen die Kümmerer sind«, betonte die stellvertretende DAV-Vorsitzende am Ende ihres Vortrags.