Die Wissenschaft organisiert sich |
Theo Dingermann |
10.05.2024 16:30 Uhr |
Bislang deuten alle Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass durch Pasteurisierung der Milch und deren Folgeprodukte Influenzaviren zuverlässig inaktiviert werden. Unabhängige Forschende versuchend derweil den Übertragungsweg bei Kühen und Rindern zu verstehen. / Foto: Adobe Stock/Parilov Evgeniy
Am 25. März hatten das US-Landwirtschaftsministerium (USDA), die Food and Drug Administration (FDA) und die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sowie staatliche Veterinär- und Gesundheitsbehörden der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass hochpathogene aviäre Influenzaviren (HPAI) in zwei Milchviehherden in Texas und in zwei Milchviehherden in Kansas nachgewiesen worden waren.
Mittlerweile ist die Zahl der betroffenen Herden auf 42 in neun Bundesstaaten angestiegen. Aber auch das scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Denn große Mengen von Vogelgrippeviren in der Milch deuten darauf hin, dass viele Kühe asymptomatisch mit H5N1 infiziert sind, wie ein aktueller Beitrag auf dem Newsportal »STAT« titelt.
Zudem sind kürzlich auch die Signale für H5N1-Viren im Rahmen von Abwasseruntersuchungen in Texas angestiegen, insbesondere dort, wo sich Milchverarbeitungsbetriebe befinden. All das bedeutet nicht, dass H5N1 in diesen Proben biologisch aktiv ist und Krankheiten verursachen könnte. Denn erfreulicherweise deuten alle Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass durch Pasteurisierung der Milch und deren Folgeprodukte die Influenzaviren zuverlässig inaktiviert werden.
Eigentlich ist es ein Unding, dass Milch, die erhebliche Mengen an Viren enthält, in die Lebensmittelkette gelangen kann. »Wir hatten gehofft, dass belastete Milch abgefangen werden könnte, bevor sie in das Versorgungssystem gelangt. Jetzt verlassen wir uns besonders auf die Pasteurisierung, um zu sagen, dass die Milch sicher ist«, sagt Dr. Andrew Pekosz, Professur für Molekulare Mikrobiologe an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health gegenüber STAT.
Allerdings ist das nur eins der Probleme, mit denen sich die US-amerikanischen Landwirtschafts- und Gesundheitsbehörden konfrontiert sehen. Denn weil man mit einem solchen Szenario nicht gerechnet hatte, kumulieren jetzt die Fragen.
Als Konsequenz versuchen jetzt international führende Influenza-Forschende, die durch ein intransparentes Kommunikationsverhalten der zuständigen amerikanischen Aufsichtsbehörden verlorengegangene Zeit bestmöglich wieder wettzumachen. Untereinander abgestimmt versuchen sie, verschiedene Wissenslücken zu schließen, wie dies der Journalist und in Berlin ansässige Korrespondent für das Wissenschaftsjournal »Science«, Kai Kupferschmidt, beschreibt.
Einer dieser Experten ist der Vizepräsident des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), Professor Dr. Martin Bier. Er verfügt über ein Laboratorium der Biosicherheitsstufe 3 (BSL-3), wo an so gefährlichen Viren wie dem hochpathogenen Influenzavirus geforscht werden kann. Dort, wie auch an etlichen anderen einschlägigen Forschungszentren, untersuchen die Experten ein H5N1-Virus-Isolat, das von dem Virologen an der Cornell University, Professor Dr. Diego Diel, ausgewählt und verteilt wurde, um ein möglichst umfassendes Bild zur Biologie dieses Virus zu erhalten.
Beer wird mit diesem Isolat gezielt Milchkühe infizieren. Denn ein Ziel der Arbeiten ist es, zu verstehen, wie sich das Virus von Kuh zu Kuh ausbreiten kann. Die derzeitige Arbeitshypothese lautet, dass laktierende Kühe mit infizierten Eutern das Virus während des Melkprozesses auf andere Milchkühe übertragen. Aber bewiesen ist diese Hypothese nicht. Nach wie vor ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Virus auch unter Kühen über Aerosole ausbreitet. Unter dem Aspekt einer Übertragung auf den Menschen wäre das das ungünstigere Szenario.
So konzentrieren sich in dem koordinierten Forschungsvorhaben ein Virologe an der Kansas State University, Professor Dr. Jürgen Richt, und der FLI-Forscher Beer abgestimmt genau auf diese wichtige Frage: Wie gelangt das Virus in die Kuh?
Während Beer laktierende Kühe direkt am Euter infiziert, studiert Richt die Übertragung des Virus bei nicht laktierenden Kühen, indem er männliche und weibliche Rinder über die Nase und den Mund infiziert. Schließlich plant Professor Dr. Volker Gerdts, Direktor der Vaccine and Infectious Disease Organization in Saskatchewan in Kanada, ähnliche Experimente mit Kälbern in einem hochsicheren BSL-3-Labor.
Andere Forscher untersuchen das Testisolat in verschiedenen Zellkulturen. Diel beispielsweise, der das gemeinsam studierte Isolat an seine Kollegen in aller Welt verschickt hat, untersucht, wie gut sich das Virus in verschiedenen Zelltypen repliziert. Er will auch herausfinden, ob es Anzeichen dafür gibt, dass sich das Hämagglutinin des aus einem erkrankten Rind isolierten Virus an die Sialinsäuren auf menschlichen Zellen anpasst.
Aber nicht nur Mutationen im Hämagglutinin stehen unter Beobachtung. So gibt es Anzeichen dafür, dass sich das Virus langsam an den Menschen anpasst, indem es Mutationen in dem Gen für die Polymerase akkumuliert. Einige wenige derartiger Mutationen, darunter die Mutation 631L, wurden bereits in den publizierten Sequenzen der Viren gefunden, die aktuell unter Milchkühen grassieren. Derartige Mutationen sorgen dafür, dass die H5N1-Polymerase bei Säugetieren deutlich besser funktioniert.
Die rege Forschungstätigkeit steht in deutlichem Gegensatz zu der nach Ansicht der Wissenschaftler immer noch schleppenden offiziellen Reaktion auf die Epidemie, schreibt Kai Kupferschmidt in seinem Science-Artikel. So beklagen die Forschenden immer noch fehlende Informationen zu so wichtigen Fragen, wie viele laktierende und nicht laktierende Kühe in den betroffenen Herden Antikörper produzieren oder ob sich bei den Arbeitern in den Betrieben Antikörper nachweisen lassen, was darauf hindeuten würde, ob auch sie mit dem Virus infiziert wurden.
Die offensichtliche Anpassung des H5N1-Virus stellt eine neue Etappe im Anpassungsprozess an den Menschen dar. Alleine aufgrund der schieren Zahl an Milchvieh und aufgrund des Ausmaßes, in dem Menschen mit den Tieren interagieren, seien Rinder eines der schlimmsten Tierreservoirs für Influenza, die man sich vorstellen könne, sagt der Evolutionsbiologe Professor Dr. Michael Worobey von der University of Arizona in einem aktuellen News-Artikel im Wissenschaftsjournal »Nature«.
Während das Schlachten von Geflügel während früherer Vogelgrippe-Ausbrüche Endemien eindämmte, scheint dies keine praktikable Option für Rinder zu sein. Die Tiere sind zu wertvoll und scheinen im Gegensatz zu Vögeln nicht an der Infektion zu sterben.
Zwar verlangt seit Ende April das US-Landwirtschaftsministerium, dass Kühe getestet werden, bevor sie über staatliche Grenzen transportiert werden. Allerdings ist unklar, inwieweit diese und ähnliche Vorschriften strikt befolgt werden. Zudem wird die Ausbreitung des Virus durch solche Anordnungen nicht mehr zu stoppen sein.
Daher fordern Experten, nicht nur Tiere, sondern auch Beschäftigte in den Betrieben und ihre Familien zu testen, damit jede Übertragung beim Menschen so schnell wie möglich erkannt wird. »H5N1 ist bei uns. Dieses Virus wird auf keinen Fall verschwinden«, sagt Professor Dr. Jessica Leibler, Umweltepidemiologin an der Boston University in Boston, Massachusetts, gegenüber »Nature«.