Die ungerechte Realität für Frauen im Gesundheitswesen |
Melanie Höhn |
23.09.2025 16:00 Uhr |
Die Professorin Jutta Allmendinger fordert bessere Arbeitsbedingungen und die systematische Unterstützung von Frauen, die in Führungspositionen gehen wollen. / © PZ/Melanie Höhn
Das Gesundheitswesen steht vor tiefgreifenden Transformationsprozessen. Die Frage nach gleichberechtigter Teilhabe und weiblicher Führung wurde gestern beim dritten Parlamentarischen Abend des Runden Tisches der Frauen im Gesundheitswesen diskutiert. Wie kann Parität zu einer tragfähigen Zukunftsstrategie werden? Welche Rahmenbedingungen und Schritte braucht es?
Professorin Jutta Allmendinger, Bildungssoziologin an der Humboldt-Universität zu Berlin und ehemalige Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), sprach von einem »mehr als ernüchternden« Status Quo. Zwölf Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts würden von der Gesundheitswirtschaft erwirtschaftet, 372 Milliarden Euro im Jahr, »hauptsächlich von Frauen«, so Allmendinger.
Von allen Tätigkeitsbereichen sei das Gesundheitswesen der Bereich, der mit 80 Prozent Frauenanteil am stärksten feminisiert sei. Wenn man nur Vollzeitbeschäftigte in geschlechterbezogenem Abstand in der Gesundheitswirtschaft betrachte, gebe es einen Abstand in leitender Stellung von 20 Prozentpunkten zugunsten von Männern. »Das hat mich erschüttert. Es ist tatsächlich der größte Abstand von allen Tätigkeiten, die wir statistisch unterscheiden.« Konkret seien 33 Prozent der Männer in leitender Stellung, aber nur 12 Prozent der Frauen.
Die Brutto-Stundenverdienste der Frauen in der Gesundheitswirtschaft liegen bei 23,51 Euro, die der Männer bei 33,93 Euro – ein Unterschied von 10,42 Euro in der Stunde. Der Gender Pay Gap, der angibt, wie viel Prozent weniger Frauen im Durchschnitt pro Stunde verdienen als Männer, beläuft sich in der Gesundheitswirtschaft auf 30 Prozent. »Das hat mich körperlich heute tatsächlich mitgenommen, weil ich als Gender Pay Gap noch nie eine so hohe Zahl gelesen habe«, kritisierte Allmendinger. Im Durchschnitt aller Branchen betrage der Gender Pay Gap 18 Prozent.
Hauptsächlich seien es Frauen, die hierarchisch unter Männern arbeiten würden. Zudem sei ein enormer Teil der Frauen im Gesundheitswesen in Teilzeit beschäftigt und bleibe auch eine lange Zeit dabei. Doch Teilzeit führe oft zu einer Jobbremse und »eben nicht in Führungspositionen«, so Allmendinger. »Das hat sehr viele Gründe. Die meiste Literatur geht darauf ein, dass viele dieser Gesundheitstätigkeiten enorm belastend und anstrengend und mit Schichtarbeiten verbunden sind, sodass man schließlich nicht mehr auf Vollzeit gehen kann. Diese Belastung ist umso stärker, je weniger man in einer Führungstätigkeit ist«, machte die Soziologin deutlich.
Zudem würden diese Frauen früh den Arbeitsmarkt verlassen. »Die gesamte Beschäftigungsdauer von Frauen im Gesundheitswesen ist wesentlich kürzer, als die gesamte Beschäftigungsdauer von Frauen in den Tätigkeiten im Allgemeinen und das hängt mit diesen ganzen Stressoren zusammen.« Aufgrund der durchschnittlich langen Lebensdauer von Frauen komme noch das Thema Altersarmut hinzu.