»Die Situation ist total verkorkst« |
Annette Rößler |
17.09.2025 11:30 Uhr |
Dr. Jan Rasmus Ludwig, Professor Dr. Theo Dingermann, Dr. Christiane Neubaur und Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz (von links) diskutierten in der Pharma-World über Cannabis in der Apotheke. / © PZ/Alois Müller
Der Joint kommt heute oft nicht mehr aus dem Stadtpark, sondern aus der Apotheke: So kann man – zugespitzt – eine Praxis zusammenfassen, die seit der Entlassung von Medizinalcannabis aus der Betäubungsmittelpflicht üblich geworden ist. Auf telemedizinischen Plattformen lässt sich mit ein paar Klicks ein Anamnesebogen ausfüllen, ein Arztkontakt erfolgt nur pro forma und schon erhält man entweder ein Privatrezept oder (über eine angeschlossene Versandapotheke) direkt die gewünschten Cannabis-Blüten per Post.
Dem Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) ist das ein Dorn im Auge, denn es untergräbt die Bestrebungen, Cannabis möglichst evidenzbasiert als Arzneimittel einzusetzen. Der VCA hat deshalb ein Rechtsgutachten erstellen lassen, in dem klar abgegrenzt wird, unter welchen Bedingungen die Kooperation mit Telemedizin-Anbietern beziehungsweise die Belieferung von Verordnungen solcher Plattformen legal ist und wann nicht.
In einer »PZ-Nachgefragt«-Diskussionsrunde in der Pharma-World verwies VCA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Neubaur auf dieses Gutachten und ergänzte: »Auch Privatrezepte unterliegen der Arzneimittelpreisverordnung.« Denn häufig werde Cannabis von diesen Anbietern auch noch zu Dumpingpreisen feilgeboten. Das setze andere Apotheken unter Druck.
»Wir haben derzeit eine verkorkste Situation«, sagte Rechtsanwalt Dr. Jan Rasmus Ludwig. Der Gesetzgeber habe dies weder gewollt noch so gedacht, aber: »Ohne ein vernünftiges Angebot an Konsumcannabis kann Medizinalcannabis seine Funktion nicht erfüllen.« Es gebe noch viel zu wenige Modellprojekte und Cannabis-Clubs, um die Nachfrage zu stillen. Bei deren Genehmigung müsste ein »Turbo« eingelegt werden. Die Teillegalisierung von Cannabis zum jetzigen Zeitpunkt für gescheitert zu erklären, hält Ludwig für unangemessen: »Es wäre schlecht, zu sagen: ›Das funktioniert alles nicht‹, ohne es überhaupt probiert zu haben.«
Ein Ziel der Gesetzesänderung war laut dem damaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den Schwarzmarkt zurückzudrängen. »Ist das gelungen? Oder hat sich der Bahnhof nun in die Apotheke verlagert?«, lautete die provokante Frage von Moderator Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der PZ. Laut Ludwig wurde der Schwarzhandel mit Cannabis »noch nicht substanziell zurückgedrängt«. Über Apotheken werde heute nur ein Bruchteil dessen abgegeben, was laut Schätzungen vor der Gesetztesänderung auf dem Schwarzmarkt umgeschlagen wurde.
Neubaur ergänzte unter Verweis auf Umfrageergebnisse, dass etwa 30 Prozent der Cannabis-Konsumenten ihren Bedarf über die Apotheke decken. »Interessanterweise ergab diese Umfrage aber auch, dass Jugendliche weiterhin Cannabis über Freunde und Bekannte beziehen und nicht über die Apotheke. Offenbar kontrolliert die Telemedizin wenigstens die Ausweise der Nutzer – dafür können wir dankbar sein.«
Wie sollten Apotheken mit Cannabis-Verordnungen von unbekannten Arztpraxen umgehen? Die Rezepte und die Arztunterschriften müssten genau geprüft werden, im Zweifelsfall müsse die ärztliche Approbation des Verordners angefordert werden – was schwierig sei, wenn der im europäischen Ausland sitzt, führte Neubaur aus. Dennoch: »Wir Apotheken sind die Inverkehrbringer, wir tragen am Ende die Verantwortung«, betonte die Apothekerin. Der VCA berate seine Mitglieder entsprechend, kläre auf, versuche, für Seriosität zu sorgen. Doch habe der Verband lediglich etwa 150 Mitgliedsapotheken, in Deutschland gebe es aber mindestens 2000 Apotheken, die Cannabis-Rezepte beliefern.
Aus wissenschaftlicher Sicht sei es wichtig, dass Cannabis endlich wie andere Phytotherapeutika gesehen werde – mit notwendigem Nachweis der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischen Qualität, ergänzte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavec von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nur weil bei pflanzlichen Arzneimitteln auf diese Trias geachtet werde, sei eine rationale Phytotherapie möglich. Um dies auch bei Cannabis zu ermöglichen, müsse die Auswahl an Sorten stark eingeengt werden. »Ansonsten habe ich die Befürchtung, dass wir in zehn Jahren 3000 Sorten haben und eine Hokuspokus-Pharmazie betreiben.«