Die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems |
Lukas Brockfeld |
19.09.2024 17:32 Uhr |
Reinhard Busse betonte, dass mehr Geld nicht automatisch zu einer besseren Versorgung führt. / Foto: PZ/Brockfeld
Wilm Quentin, Professor für Planetary & Public Health am European Observatory on Health Systems and Policies, erläuterte, dass das deutsche Gesundheitswesen vor vier großen Herausforderungen stehe: die Alterung der Bevölkerung, die Veränderung der Krankheitslast, der Klimawandel und zukünftige Pandemien.
Die deutsche Gesellschaft wird immer älter – eine Entwicklung mit tiefgreifenden Folgen. Daher müsse man laut Quentin eine breitere Einnahmenbasis für das Gesundheitssystem schaffen und gleichzeitig die Kosten, beispielsweise durch eine bessere Versorgungssteuerung, eindämmen. Außerdem habe das Land zunehmend mit einem Mangel an Fachkräften zu kämpfen, obwohl man im internationalen Vergleich relativ viel Personal habe. »Doch wenn wir die Personalzahlen in Relation zu den vielen erbrachten Leistungen setzen, gibt es trotzdem eine relative Knappheit an Personalressourcen«, erläuterte der Professor.
Die Krankheitslast habe sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Beispielsweise habe die Zunahme psychischer Erkrankungen zu einem Mangel an Psychotherapeuten geführt. Viele Länder hätten mit vergleichbaren Problemen zu kämpfen, seien aber oft besser darin, ihre Patienten zu steuern. »Wir haben außerdem einen hohen Anteil an Verhaltens- und Umweltassoziierten Erkrankungen, manche Länder sind deutlich strikter, beispielswiese bei der Regulierung von Tabak oder Alkohol«, führte Quentin aus.
Auch beim Klimawandel kämen große Herausforderungen auf Deutschland zu. Die Bundesrepublik habe im internationalen Vergleich auffallend viele Hitzetote zu beklagen. Bisher seien, trotz eines wachsenden Bewusstseins, zu wenig Gegenmaßnahmen ergriffen worden. »Das Gesundheitssystem ist für etwa fünf Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Auch da werden wir uns in den nächsten Jahren stark verändern müssen«, sagte der Wissenschaftler.
Die globale Erwärmung werde in Zukunft, zusammen mit anderen Faktoren wie dem Bevölkerungswachstum, zu mehr Pandemien führen. »Durch die Covid-19 Pandemie ist es ins allgemeine Bewusstsein gekommen, wie wichtig ein One Health Ansatz ist. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen der Tiergesundheit, menschlicher Gesundheit und Umweltfaktoren. Ein Großteil der Infektionsrisiken beruht auf der Übertragung von Erregern zwischen Menschen und Tieren«, erklärte Quentin.
Viele der genannten Probleme beträfen auch andere Länder, doch diese seien teilweise besser auf die großen Aufgaben der Zukunft vorbereitet, erklärte Quentin in seinem Fazit. »Wichtige Herausforderungen lassen sich nur durch stärkere Prävention und intersektionale Ansätze angehen«, betonte der Professor.
Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen, erklärte, warum sich Deutschlands Probleme nicht allein durch mehr Geld lösen lassen. Gemessen an der Zahl vermeidbarer Todesfälle hat Deutschland demnach ein teures, aber nicht besonders gutes Gesundheitssystem.
Ein Vergleich verschiedener Länder zeige, dass hohe Investitionen nicht automatisch zu einer besseren Versorgung führen. »Die USA geben seit Jahren immer mehr Geld für ihr Gesundheitssystem aus, aber an den Ergebnissen ändert sich nichts. Für mich ist das ein guter Beleg dafür, dass mehr Geld alleine gar nichts bringt. Sie könnten in das amerikanische System unendlich viel Geld reinstecken«, erklärte der Wissenschaftler.
Ein anderes Beispiel sei Dänemark. Das skandinavische Land habe in den vergangenen Jahren weniger in das Gesundheitswesen investiert als Deutschland und trotzdem die Zahl der vermeidbaren Todesfälle stärker reduziert. »Die Dänen haben pro investiertem Euro dreieinhalb mal so viel Gesundheit bekommen wie wir. Was machen die also anders?«, fragte Busse.
Ein entscheidender Unterschied ist laut Busse die hohe Zahl an unnötigen Krankenhausaufenthalten in Deutschland, die ein wesentlicher Kostentreiber sind. »Ich kann meinen ausländischen Kollegen gar nicht erklären, wieso Patienten mit der Hauptdiagnose Bluthochdruck bei uns stationär behandelt werden«, sagte der Professor. Deutschland habe in diesem Bereich eine Überversorgung, gleichzeitig gäbe es in anderen wichtigen Bereichen, vor allem bei der Prävention, eine Unterversorgung.
Busse betonte, dass sich Deutschland dringend mit dem Verhältnis von Ausgaben und Effizienz im Gesundheitswesen auseinandersetzen müsse. Es sei zwar schwierig, aber möglich hier konkrete Gründe auszumachen. »Mehr ist längst nicht immer besser. Im Gegenteil, low value care in seinen verschiedenen Facetten ist ein Problem, das angegangen werden muss, bevor noch mehr Geld verschwendet wird«, erklärte der Professor in seinem Fazit.