Die Risiken des Missbrauchs sind Jugendlichen kaum bewusst |
Idole aus der Rap-Szene haben dazu beigetragen, dass Jugendliche vermehrt Sedativa und Opioide ausprobieren wollen. Über die Risiken des Missbrauchs herrscht häufig große Unwissenheit. / Foto: Getty Images/serpeblu
Das Centre of Drug Research an der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat die Ergebnisse des Forschungsprojekts zum Konsum von Benzodiazepinen und Opioiden unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen (BOJE) vorgestellt. Untersucht wurden unter anderem Prävalenz und Motive des Substanzkonsums. Daraus wurden Empfehlungen für die Prävention abgeleitet.
Hintergrund der Studie sei die Beobachtung gewesen, dass sich der Konsum von Benzodiazepinen und Opioiden unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen stärker verbreitet, erklärte Dr. Bernd Werse, Leiter des Centre of Drug Research, bei einer digitalen Pressekonferenz. Das legten Daten einer lokalen Stichprobe in Frankfurt am Main seit 2013 nahe. Demnach stieg die Konsumerfahrung seit 2016 unter Jugendlichen (15 bis 18 Jahre) von einem sehr niedrigen Niveau jeweils unter 1 Prozent auf etwa 4 Prozent für Opioide und etwa 2 Prozent für Benzodiazepine im Jahr 2022. Für junge Erwachsene (19 bis 30 Jahre) liegen die Prävalenzen etwas höher bei etwa 7 Prozent (Opioide) und 5 Prozent (Benzodiazepine).
Das Projekt »BOJE«, das vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wurde, hatte zum Ziel, genauere Erkenntnisse über Konsummotive, die Rolle der Popkultur sowie Gebrauchsmuster und damit assoziierte Probleme zu erlangen. Dazu führten die Forschenden zwischen Ende 2022 und Ende 2023 unter anderem eine Onlinebefragung mit 1148 Drogenerfahrenen durch und befragten ausführlicher 15 junge Menschen (16 bis 30 Jahre), die unterschiedliche Konsumerfahrungen aufweisen, in einem persönlichen Interview.
Alle hatten schon einmal Cannabis konsumiert; die meisten auch schon Kokain, Ecstasy oder Amphetamin (Speed). 55 Prozent hatten mindestens einmal im Leben Benzodiazepine und/oder Opioide genommen, 26 Prozent auch in den letzten 30 Tagen. Die am häufigsten konsumierten Benzodiazepine waren Alprazolam, Diazepam und Lorazepam, unter den Opioiden am häufigsten Tilidin, Codein, Tramadol und Oxycodon.
Forschungsleiter Werse machte auf eine Mischung mit dem Szenenamen »Lean« oder »Purple Drink« aufmerksam, die ebenso von einem nennenswerten Anteil probiert wurde. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Codein und Promethazin (enthalten in einem in den USA zugelassenen Hustensaft), die in der Rapper-Szene angekommen ist. Vor allem jugendliche Befragte gaben an, dass die Thematisierung von Substanzen wie Tilidin durch Rapper dazu beigetragen habe, die Substanz ausprobieren zu wollen.
Etwa die Hälfte der Anwender erhält die Substanzen vor allem aus dem privaten Umfeld, gefolgt von Privatdealern, Internet und erschlichenen Rezepten. »Nicht selten spielen Diebstähle bei Eltern oder Großeltern eine Rolle, die es nicht bemerken«, so Werse weiter.
Was Konsummotive betrifft, spielt die Wirkung auf das Körpergefühl und der Wunsch, Glücksgefühle zu erleben bei Opioiden eine größere Rolle als bei Benzodiazepinen. Bei Letzteren stehen eher ein kompensatorischer Konsum und eine Selbstmedikation von Angststörungen oder Depressionen im Vordergrund. Die Punkte »um besser schlafen zu können«, »um mich besser entspannen zu können« und »um den Alltag zu vergessen und abzuschalten« wurden am häufigsten genannt. Benzos werden darüber hinaus auch häufiger angewendet, um von anderen Drogen runterzukommen.
Ein großes Problem sei der Mischkonsum mit Alkohol und das Unwissen über dessen potenzielle Gefahren, so Werse. Die Befragten schilderten insbesondere nach Mischkonsum akute Ausfallerscheinungen, Kreislaufprobleme (13 Prozent), Erbrechen (12 Prozent), aber auch Bewusstlosigkeit, Delirium (jeweils 4 Prozent) und Atemstillstand (1 Prozent). 14 Prozent hätten mindestens einmal Abhängigkeit, Entzug und/oder Craving erlebt.
»Die große Mehrheit der Probierer entwickelt aber keinen regelmäßigen oder problematischen Gebrauch«, sagte Werse. Dieser entwickele sich meistens vor dem Hintergrund psychischer Problemlagen.
Was lässt sich aus diesen Erkenntnissen für die Prävention ableiten? Das schilderte Rüdiger Schmolke, Dozent an der Fachhochschule Potsdam. Verschiedene mögliche Ansatzpunkte wurden als Teil des Projekts mit Experten aus den Bereichen Prävention, Beratung und Therapie diskutiert. Sie identifizieren ebenfalls den Mischkonsum durch sehr junge Personen in Kombination mit Unwissen über die Risiken als wichtiges Problem. Soziale Medien und die digitale Realität sollten in einer Medienstrategie stärker berücksichtigt werden.
Die Betonung der »sozialen Norm« spielt Schmolke zufolge eine große Rolle. »Es ist wichtig, zu vermitteln, dass nur eine kleine Minderheit Sedativa ausprobiert, und aus diesem Grund empfehlen wir keine groß angelegte Plakat-Kampagne.« Sie könnte den Eindruck vermitteln, es handele sich um ein größeres Phänomen als es tatsächlich ist.
Informationsmaterial sollte junge Menschen für das besondere Risikoprofil von Benzodiazepinen und Opioiden sensibilisieren. Im Rahmen einer »Safer-Use-Kampagne« sollten sie dazu befähigt werden, die Markenprodukte und Szenenamen den entsprechenden Substanzgruppen zuordnen zu können. Weiterhin könne es eine gute Idee sein, den jungen Menschen die Verwandtschaft von Codein und Heroin zu erklären, um das Risiko bei Missbrauch zu verdeutlichen.
»Das Überdosierungs- und Suchtpotenzial der Substanzen ist den jungen Menschen nicht bewusst und muss mehr herausgestellt werden«, so Schmolke. Produktverpackungen sollten beispielsweise mit standardisierten, leicht erkennbaren und verständlichen Aufdrucken versehen werden. Die Packungsbeilagen sollten mit einer in einfacher Sprache gehaltenen Kurzversion der wichtigsten Risiken ergänzt werden. Die regulatorischen Maßnahmen, um dies umzusetzen, seien allerdings »ein dickes Brett«.