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Estrogen neu bewertet

Die Renaissance der Hormonersatztherapie

Vor exakt 23 Jahren sorgte die Women’s Health Initiative (WHI)-Studie, deren vorzeitiger Abbruch zur weitreichenden Ablehnung einer Hormonersatztherapie bei postmenopausalen Frauen führte, zu einem veritablen Skandal. Die Studienresultate zeigten zwar eine relative Risikoerhöhung für invasive Mammakarzinome (26 Prozent), doch betrug das absolute Risiko lediglich 8 Fälle pro 10.000 Frauenjahre. Eine Neubewertung zeigt ein völlig anderes Bild.
Theo Dingermann
09.07.2025  10:30 Uhr

Vor exakt 23 Jahren, am 9. Juli 2002, erschien auf der Titelseite der »New York Times« ein Artikel mit dem Titel: »Studie wegen erhöhtem Krebsrisiko eingestellt: Hormonersatztherapie in Frage gestellt«. Die Studie, von der hier die Rede war, war die groß angelegte randomisierte klinische Studie der Women’s Health Initiative (WHI) zu Estrogen plus Gestagen im Vergleich zu Placebo. Diese Studie wurde vorzeitig abgebrochen – zu Unrecht wie man heute weiß, aber mit großen Konsequenzen. Denn der vorzeitige Abbruch führte dazu, dass die bis dahin übliche Hormonersatztherapie (HRT) postmenopausalen Frauen weitreichend vorenthalten wurde.

Diesen Jahrestag nahm der bekannte US-amerikanische Kardiologe, Professor Dr. Eric Topol, zum Anlass, in einem Beitrag auf dem News-Portal »Substack« einen Artikel mit dem Titel »New Anti-Aging Evidence For Estrogen« zu veröffentlichen.

Die Daten der WHI-Studie wurden kurz nach Erscheinen des Beitrags in der New York Times am 17. Juli 2002 im Wissenschaftsmagazin »JAMA« publiziert. Die Studienautoren schlossen damals: »Die allgemeinen Gesundheitsrisiken überstiegen die Vorteile der kombinierten Einnahme von Estrogen und Gestagen während einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 5,2 Jahren bei gesunden postmenopausalen Frauen in den USA. Die Gesamtmortalität wurde während der Studie nicht beeinflusst. Das in dieser Studie festgestellte Nutzen-Risiko-Profil entspricht nicht den Anforderungen an eine wirksame Intervention zur Primärprävention chronischer Erkrankungen, und die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Therapie zur Primärprävention von KHK nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden sollte.«

Heute weiß man, dass das Studiendesign schlecht gewählt war. Zwar waren in der Studienpopulation verschiedene Risiken statistisch signifikant erhöht, die absoluten Risikoerhöhungen waren jedoch gering. Besonders die relative Risikoerhöhung für ein invasives Mammakarzinom erwies sich als relevant für das ärztliche Handeln nach Publikation der WHI-Studie. Diese wurde zwar zu 26 Prozent als signifikant errechnet. Allerdings betrug das absolute Risiko lediglich 8 Fälle pro 10.000 Frauenjahre.

All diese Risikoabschätzungen traten hauptsächlich in einer Population mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren auf, also über ein Jahrzehnt nach Eintreten der Menopause, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse massiv einschränkt. Nachfolgende Analysen der WHI-Studie zur Kombination von Estrogen und Gestagen zeigten, dass der Beginn einer Hormonersatztherapie vor dem 60. Lebensjahr oder innerhalb von zehn Jahren nach der Menopause zu einer Senkung des Risikos für Herzerkrankungen und der Gesamtsterblichkeit führt.

Schwache Studie mit gewaltigen Konsequenzen

Die Konsequenzen der WHI-Studie waren gewaltig. Die Einleitung einer HRT sank von 8,6 Prozent vor der Publikation der WHI-Studie auf 2,8 Prozent danach, und der entsprechende Rückgang bei der Fortsetzung einer laufenden HRT sank von 84,0 auf 62,0 Prozent, wie eine Studie im Fachblatt »Menopause« aus dem Jahr 2019 zeigt.

Im Gegensatz dazu offenbarte der weniger beachtete WHI-Arm mit alleiniger Estrogengabe (CEE) bei Frauen ohne Uterus ein gänzlich anderes Risikoprofil. Hier zeigte sich ein Rückgang invasiver Brustkrebsfälle sowie keine signifikanten Erhöhungen kardiovaskulärer oder thromboembolischer Ereignisse, mit Ausnahme in der Subgruppe älterer Frauen, in der das Schlaganfallrisiko leicht erhöht war.

Diese Daten legten dann den Grundstein für die »Timing-Hypothese«, die später als »Healthy Endothelium Hypothesis« bekannt wurde. Demnach ist eine frühe Initiierung der HRT (vor dem 60. Lebensjahr oder innerhalb von zehn Jahren nach Menopause) entscheidend für den Nutzen der Therapie. 

Neuere proteomische Analysen sprechen für eine Hormonersatztherapie

Neuere proteomische Analyse von Organalterungsprozessen, die auf Basis von UK Biobank-Daten durchgeführt wurden, zeigen ebenfalls einen ausgeprägten Estrogen-Effekt. Mithilfe hochdurchsatzbasierter Proteinanalysen wurde das biologische Alter von elf Organen sowie ein systemweites Altersmodell berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass Estrogen die Alterung des Immunsystems, der Leber und der Arterien signifikant verlangsamt. Weniger ausgeprägt, aber dennoch positiv, sind die Effekte auf Gehirn, Nieren und Lungen.

Besonders bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass die Immun-Uhr, ein Marker für die Alterung des Immunsystems, durch Estrogen deutlich verbessert wird, was die Bedeutung des Immunsystems für die Gesundheit im Alter unterstreicht.

Diese Daten sind bislang in einem Preprint publiziert, das heißt, sie sind noch nicht unabhängig evaluiert. Allerdings stammen sie aus dem Arbeitskreis von Professor Dr. Tony Wyss-Coray vom Department of Neurology and Neurological Sciences an der Stanford University School of Medicine in Stanford, der als Experte für diese Art der Analysen gilt.

Hormone bevorzugt transdermal applizieren

Erwähnenswert ist, dass Estrogen vor allem bei transdermaler Verabreichung, die den Leberstoffwechsel umgeht, das Risiko für Schlaganfälle und Thrombosen reduziert. Zudem schützt es vor kognitivem Verfall, Alzheimer, Typ-2-Diabetes und Herzkrankheiten.

Man geht heute davon aus, dass die schützende Wirkung von Estrogen weitgehend dafür verantwortlich, dass Frauen etwa zehn Jahre später als Männer an Herzerkrankungen erkranken. Warum sollte die Frau auf diese schützende Funktion dieses Hormons verzichten, kann man den Skeptikern einer HRT entgegenhalten.

Diese Forderung wird auch durch tierexperimentelle Studien gestützt. So wird die Lebensdauer einer älteren Maus unter anderem dadurch verlängert, dass man ihr die Eierstöcke einer jungen Maus transplantiert. Die Gesundheit einer Frau auch im Alter zu erhalten, gelingt offensichtlich durch Vorbeugung der Eierstockinsuffizienz. Dies ist das Prinzip der Estrogenersatztherapie.

Nutzen und Risiken einer HRT für jede Frau individuell bewerten

Topol plädiert dafür, im Zweifel eine individuelle Risikobewertung durchzuführen. So können polygene Risikoscores helfen, personalisierte Empfehlungen für eine HRT zu entwickeln und Risiken wie Brustkrebs oder Schlaganfälle besser zu bewerten.

Trotz der Evidenz für die positiven Effekte von Estrogen bleibt die Akzeptanz in medizinischen Fachkreisen aufgrund der WHI-Stigmatisierung nach wie vor begrenzt. Viele Frauen erleben weiterhin Widerstände beim Zugang zu HRT. Dies steht im Gegensatz zu den Empfehlungen der wichtigen Organisationen, darunter des American College of Obstetricians and Gynecologists und der North American Menopause Society (NAMS), die eine Hormonersatztherapie für Frauen unter 60 Jahren oder innerhalb von zehn Jahren nach Beginn der Menopause fordern.

Die aktuelle S3-Leitlinie »Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause (HT)« ist mit Datum vom 31.12.2024 abgelaufen. Eine überarbeitete Version ist angekündigt. Die aktuelle Leitlinie empfiehlt, Frauen mit vasomotorischen Beschwerden eine HRT anzubieten, nachdem sie über die kurz- (bis zu fünf Jahren) und langfristigen Nutzen und Risiken informiert wurden. Für nicht hysterektomierte Frauen kommt eine Estrogen-Gestagen-Therapie (EPT) mit adäquatem Gestagenanteil, für hysterektomierte Frauen eine Estrogen-Therapie (ET) in Betracht.

Für Topol ist die Estrogen-Substitution ein zentraler Hebel zur Verlängerung der gesunden Lebensspanne. Das Timing der Intervention bleibt dabei der entscheidende Faktor. Die neuen organbasierten Daten untermauern eindrucksvoll die Rolle des Estrogens als systemisch wirksame, potenziell altersverzögernde Intervention – vorausgesetzt, sie wird rechtzeitig und Patientinnen-individuell eingesetzt.

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