»Die Politik wird der Pharmaindustrie nicht gerecht« |
Alexandra Amanatidou |
29.09.2025 15:00 Uhr |
Jan Schweitzer, Moderator und Chefredakteur von ZEIT-Wissen, Stefan Oelrich, Mitglied des Vorstands und Leiter der Division Pharmaceuticals der Bayer AG, EU-Politiker Oliver Schenk (CDU) und Anna Carthaus, Moderatorin und Zeit-Journalistin (v.l). / © PZ/ Alexandra Amanatidou
Die zentrale Botschaft des Abends lautete: Angesichts der angespannten Lage – sowohl mit Blick auf die Zölle aus den USA als auch auf die internationalen Konflikte – muss Europa stärker auf Zusammenarbeit setzen. Auch die Bedürfnisse der Pharmaindustrie, einer der erfolgreichsten Branchen, müssen stärker berücksichtigt werden. Bei der Diskussionsrunde »ZEIT für Forschung« von Bayer in Berlin ging es jedoch nicht nur um Politik, sondern auch um die Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Bereichen Innovation und Forschung sowie um die Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz in Zukunft bieten wird.
Beim politischen Teil des Abends diskutierten Stefan Oelrich, Mitglied des Vorstands und Leiter der Division Pharmaceuticals der Bayer AG, sowie der EU-Politiker Oliver Schenk (CDU) über die Zukunft Europas und der Pharmaindustrie.
Oelrich zeigte sich überzeugt, dass die europäische Pharmaindustrie international mithalten könne. Selbstverständlich könne die Pharmaindustrie auch in anderen Ländern investieren, wenn es in Deutschland nicht gut gehe. »Aber wir haben eine Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen und möchten, dass Deutschland und Europa erfolgreich bleiben.« Deshalb müsse die Politik . »Politiker interessieren sich viel mehr für uns als früher«, sagte er. Insbesondere nach den US-Zöllen seien sie »aufgewacht und interessieren sich viel mehr für die zukünftige Leitungsindustrie der Europäischen Union«.
»Die Politik werde der Pharmaindustrie nicht gerecht«, sagte der EU-Politiker Oliver Schenk (CDU) in Bezug auf die Aufmerksamkeit, die andere Industrien, wie etwa die Autoindustrie, erhielten. Den Leuten sei es gar nicht bewusst, dass sie »Dank eurer Innovationen an Lebenserwartung gewinnen«. Die Politik müsse sich ganz besonders um diese Branche kümmern, nicht nur, weil sie wirtschaftsstark sei, sondern auch wegen des demografischen Wandels. »Das Bewusstsein wächst«, sagte der CDU-Politiker.
Dialog und Unterstützungsbereitschaft für die Industrie gebe es von der Politik auch auf EU-Ebene, sagte Oelrich. »Wir müssen unseren Standort attraktiv machen«, sagte er und Schenk stimmte zu: »Wir müssen Innovationen voranbringen, die die ganze Welt haben möchte.« Der Vorstandsvorsitzende von Bayer betonte jedoch auch die Notwendigkeit einer Veränderung des Gesundheitswesens. »Wir brauchen ein System, in dem Gesundheit und Produktivität im Mittelpunkt stehen und nicht der Verkauf von mehr Packungen in der Apotheke oder die Behandlung von mehr Menschen in der Arztpraxis.«
Auch bessere Rahmenbedingungen seien nötig. Schenk nannte als Beispiel das Pharmaunternehmen Biontech, das einen Standort in den USA hat. »Alle Ideen kamen aus Europa, konnten aber einfacher in den USA umgesetzt werden.« Die EU denke im Gesundheitsbereich zu national. »Wir müssen den Binnenmarkt stärken.« Das sei jedoch schwierig, da jedes Land andere Probleme habe. Oelrich bezeichnete es als Skandal, dass die Länder der Europäischen Union unterschiedlich schnell an Medikamente kämen. »Das System muss nach der Zulassung die Medikamente gleichschnell auf die Märkte der unterschiedlichen Länder bringen – und zwar zum gleichen Preis.« Der Zugang müsse gewährleistet sein, auch wenn nicht alle Krankenkassen die Medikamente erstatten möchten. »Nationalistische Politik ist keine Zukunftsoption«, so Oelrich.
Von Veränderungen im Mindset und bei den strategischen Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Forschung hat Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, gesprochen. »Wir brauchen eine neue Kultur der Zusammenarbeit.« Er hoffe, dass die Hightech-Agenda der Regierung dabei helfen könne. Entscheidend seien dabei der Mut zur Innovation und zum Investieren sowie die Möglichkeit für mehr Gestaltungsflexibilität. Auch die Berichtspflichten und bürokratischen Aufgaben seien in den letzten zehn Jahren gestiegen. »Wir brauchen wirkliche Freiräume für Innovation.« Laut Wiestler haben die Pandemie und das Beispiel von Biontech gezeigt, dass die Akteure in Deutschland in einer Ausnahmesituation schnell zusammenarbeiten können. »Leider sind wir nach der Pandemie sofort in alte Muster zurückgefallen.«
Ideen müssten auch an Universitäten mehr wertgeschätzt und unterstützt werden, sagte Verena Schoewel-Wolf, Gründerin und CEO des Biotech-Start-ups Myopax. Es sei schade, dass Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland so abgegrenzt voneinander seien. Die Gründerin konnte auch Erfahrungen in Dänemark sammeln, wo ihr Unternehmen einen zweiten Sitz hat. Deutschland sei risikoavers, während die Förderungen zu bürokratisch seien. »Als Hersteller haben wir in Deutschland viel mehr Bürokratie als in allen anderen EU-Ländern.«
»Wir müssen die Kapitalmärkte deregulieren und mehr Wagniskapital fördern«, sagte Andreas Zaby, Innovationsmanager bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D). Als positives Beispiel nannte er das Bayerische Hochschulinnovationsgesetz (BayHIG).
Auch die Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz beim Design von Forschungsstudien wurden diskutiert. Bei neuen, innovativen Therapien werde viel Zeit im Labor verbracht, beispielsweise, um Ideen zu entwickeln oder das Virus und die Zellen zu untersuchen, sagte Christoph Koenen, Leiter von Clinical Development und Operations bei Bayer. Dazu werde Zeit benötigt, um den Menschen zu demonstrieren, dass die neue Therapie sicher und effektiv funktioniere. Mittlerweile könne vieles digital umgesetzt werden. Dank Digitalisierung, digitaler Zwillinge (Avatare), KI und Statistiken könnten auch klinische Entwicklungen viel schneller werden. Eventuell würden zukünftig auch weniger Patientinnen und Patienten für die Durchführung von Studien benötigt. »Das wird Standard sein.« Mit mehr Datensätzen werde es in Zukunft möglich sein, seltene Erkrankungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu identifizieren und die richtige Therapie maßzuschneidern, so Koenen.
Auch Präzisionsmedizin wird in den kommenden Jahren viel weiter sein, prognostizierte Hildegard Büning, stellvertretende Direktorin des Instituts für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule in Hannover. Digitalisierung sei notwendig, um größere Datensätze zu sammeln, die das Apotheker- oder Ärzteteam bei der Ausgabe von Medikamenten oder der Diagnose von Krankheiten unterstützen könne, sagte Tanja Zeller, Direktorin des Instituts für Kardiogenetik an der Universität zu Lübeck.