Die Oldies bleiben die Goldies |
Brigitte M. Gensthaler |
30.11.2023 13:30 Uhr |
Demenzerkrankungen nehmen zu. Bislang kann man therapeutisch höchstens die Progression aufhalten. / Foto: Adobe Stock/Lightfield Studios
»Je älter ein Mensch ist, umso höher ist das Risiko für eine Alzheimer-Demenz«, berichtete Dr. Klaus Schmidtke, Chefarzt der Rehaklinik Klausenbach in Nordrach, am vergangenen Wochenende beim Heidelberger Herbstkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Immerhin 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind demenzkrank, so die aktuellen Zahlen der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft.
Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz, gefolgt von der vaskulären Demenz. Seltener sind die Demenz bei Parkinson-Krankheit, die Lewy-Körper- und die frontotemporale Demenz. Eine milde kognitive Beeinträchtigung (MCI), also leichte kognitive Störungen ohne wesentliche Beeinträchtigung des Alltags, sei oftmals ein Vorstadium, berichtete der Neurologe und Geriater.
»Degenerative Hirnerkrankungen sind enorm vielfältig«, erinnerte Schmidtke. Kein anderes Organ könne so viele degenerative Erkrankungen haben. Diese würden oft sortiert nach Leitproteinen, zum Beispiel Tauopathien, α-Synucleinopathien oder Prion-Krankheiten. Die Alzheimer-Krankheit habe »sehr viel zu tun mit Amyloiden«. Eventuell stoße modifiziertes β-Amyloidprotein die τ-Pathologie an.
Die typische Ausbreitung der Amyloidpathologie im Gehirn bestimme die Symptome. Besonders empfindlich seien der Hippocampus und der Gyrus parahippocampalis (Vergesslichkeit) sowie der Bulbus olfactorius (Riechstörungen). Erst spät werde der Neocortex geschädigt, daher treten Probleme mit der Motorik recht spät im Krankheitsverlauf auf.
Die Therapie erfolgt nach wie vor symptomatisch mit Acetylcholinesterase-Inhibitoren und Memantin. Dies entspricht auch der Ende November erschienenen aktualisierten S3-Leitlinie »Demenzen«, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
Hier wird ausdrücklich empfohlen, Donepezil, Galantamin und Rivastigmin zur Behandlung der Kognition und der Fähigkeit zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten bei der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz einzusetzen, und zwar langfristig, auch bei einer Verschlechterung. Memantin wird bei Menschen mit mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz (nicht bei leichter) eingesetzt. Eine Kombination der Wirkstoffgruppen wird nicht empfohlen. Die Experten raten zudem, hoch dosiertes Donepezil oder Galantamin oder Memantin bei Menschen mit vaskulärer Demenz zur Behandlung der Kognition einzusetzen (off Label).
In der aktualisierten Leitlinie »Demenzen« werden zahlreiche nicht medikamentöse therapeutische Maßnahmen beschrieben. / Foto: Adobe Stock/Iakov Filimonov
Wichtig für die Apotheke ist das Votum zu Ginkgo biloba. Vorgeschlagen wird, den Extrakt EGb 761® (Tebonin®) in einer Dosis von 240 mg täglich zur Behandlung der Kognition und Alltagsfunktionen bei Menschen mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz mit nicht psychotischen Verhaltenssymptomen einzusetzen.
Bei den meisten demenziell erkrankten Personen treten im Krankheitsverlauf psychische und Verhaltenssymptome auf. Die Leitlinienautoren empfehlen, zunächst nicht medikamentöse Maßnahmen einzuleiten und erst, wenn dies nicht ausreicht, Psychopharmaka zu erwägen. In Notfällen könne eine direkte psychopharmakologische Behandlung erforderlich sein. Antipsychotika sollten aufgrund schwerer Nebenwirkungen nur zeitlich begrenzt gegeben werden; regelmäßig im Abstand von wenigen Wochen sollte man versuchen, sie abzusetzen.
Viele Hoffnungen weckte die passive Immunisierung mit monoklonalen Anti-Aβ-Antikörpern, zu denen die neue Leitlinie noch keine Empfehlungen enthält. Aducanumab und Lecanemab sind in den USA für Patienten im frühen symptomatischen Stadium des Morbus Alzheimer zugelassen; Aducanumab hat in Studien aber keine eindeutigen Ergebnisse gezeigt. Lecanemab wird alle zwei Wochen infundiert und könne heftige Entzündungsreaktionen im Gehirn durch Auflösung von Plaques auslösen, so Schmidtke. In der Phase-III-Studie »Clarity-AD« sei der Nutzen – bei häufigen Nebenwirkungen – mäßig gewesen.
Donanemab, das sich gegen ein N3-Pyroglutamat-modifiziertes β-Amyloid richtet, das nur in Anwesenheit von τ-Fibrillen entsteht, wartet auf die Zulassung. In der im Juli 2023 veröffentlichten Phase-III-Studie TRAILBLAZER-ALZ 2 sei der Effekt über 1,5 Jahre ähnlich gewesen. Die Progression sei um etwa ein Drittel verlangsamt. Am besten schnitten die Patienten mit der geringsten τ-Pathologie und im frühesten Stadium ab.
Doch wie misst man den Erfolg der Therapie? »Besser wird niemand mit den Antikörpern, nur langsamer schlechter«, konstatierte Schmidtke. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, zum Beispiel zur genauen Indikation, zu Diagnosekriterien oder zu Therapiebeginn und -abbruch, ist sich der Neurologe sicher: »Die Anti-Amyloidtherapie wird in die Regelbehandlung der Alzheimer-Demenz kommen.«
Bislang gebe es keinen Ansatz, auf biologischer Ebene eine Alzheimer-Demenz zu verhindern, aber die Prävention von vaskulären Schäden und Gehirntraumata sei sehr sinnvoll. Und man solle die geistige Reserve stärken, denn »die Krankheit manifestiert sich zwei bis drei Jahre später bei hoher kognitiver Reservekapazität«. Dass bestimmte Ernährungsformen die Prävalenz senken könnten, sei nicht belegt.