Die Mühlen der Fake-Wissenschaft |
Annette Rößler |
22.08.2025 11:00 Uhr |
Wissenschaftliches Arbeiten ist mühsam und riskant. Eine Abkürzung zum Erfolg versprechen Fake-Publikationen, die von professionellen Anbietern feilgeboten werden. / © Getty Images/PonyWang
»Publish or perish« – »veröffentliche oder gehe unter«, lautet ein bekannter Merksatz unter Wissenschaftlern. Er beschreibt den enormen Druck, unter dem Forschende stehen, möglichst viele möglichst hochrangige Veröffentlichungen zustande zu bringen. Zu sehr hängen von der schieren Quantität des publizierten Outputs Förderprogramme, Drittmittel und somit auch Karrieren in der Wissenschaft ab, als dass man es sich leisten könnte, diesen Grundsatz zu missachten.
Die Qualität der Forschung bleibt da mitunter auf der Strecke. Auch kann die Versuchung groß sein, sich mit unlauteren Mitteln Veröffentlichungen zu erschleichen. Das Angebot folgt der Nachfrage und so gibt es mittlerweile professionelle Anbieter, bei denen gefälschte Publikationen gekauft werden können. Einen Blick in die Schattenwelt dieser Fake-Wissenschaft wirft aktuell ein Team um Dr. Reese A. K. Richardson von der Northwestern University in Evanston, USA, im Fachjournal »PNAS«.
Die Autoren führen Belege dafür an, dass Produkte aus sogenannten Paper Mills zunehmend in Veröffentlichungen auftauchen und dass sie, selbst wenn sie beanstandet werden, oft nicht zurückgezogen werden. Auch hätten sie Hinweise darauf gefunden, dass es professionelle Vermittler solcher Artefakte gebe, die eine Veröffentlichung garantieren, schreiben die Forschenden. Hierfür suchten sich die Makler der Müll-Publikationen gezielt bestimmte Journals aus, bei denen sie redaktionelle Entscheidungen zumindest teilweise kontrollierten. Der Veröffentlichungskanal werde gewechselt, wenn die betreffenden Journals unter Verdacht gerieten – sogenanntes Journal Hopping.
Das Peer-Review-Verfahren, das eigentlich solche Praktiken unmöglich machen sollte, werde dabei gezielt ausgehebelt. Bestimmte Positionen auf der Autorenliste, Zitierungen – alles sei zu haben. Das Ausmaß dieser betrügerischen Machenschaften kann naturgemäß nur geschätzt werden. Doch die Autoren gehen davon aus, dass sich die Zahl der Paper-Mill-Produkte zuletzt alle anderthalb Jahre verdoppelt hat. Verdächtige Publikationen gebe es jetzt schon mehr als tatsächlich zurückgezogene. Die Strategien der Fälscher ermöglichten es, dass die Zahl der Fake-Paper deutlich schneller steige als die der seriösen Publikationen, so das düstere Fazit.
Woran lassen sich die Produkte der Paper Mills erkennen? Laut den Autoren sollten etwa schwache Ausgangshypothesen, Bilder, die manipuliert wurden und/oder bereits in anderen Veröffentlichungen aufgetaucht sind, und sogenannte »gefolterte Formulierungen« (»tortured Phrases«) die Alarmglocken läuten lassen. Letzteres sind sinnfreie Ausdrücke, die anstelle von feststehenden Begriffen in den Texten auftauchen, zum Beispiel »p Esteem« statt »p Value« für den statistisch so wichtigen p-Wert. Diese Aberrationen kommen zustande, wenn ein kopierter Text, um seine Eigenschaft als Plagiat unkenntlich zu machen, von bestimmten Textbearbeitungsprogrammen manipuliert wird.
Dass die tortured Phrases dabei durchaus eine gewisse Komik entfalten können, zeigt der Problematic Paper Screener, ein Tool, das drei Computerwissenschaftler aus Frankreich und Kanada entwickelt haben. Stilistische Perlen, die der Problematic Paper Screener aufgespürt hat, sind etwa die »Joined Together States« für »United States« (Vereinigte Staaten), »Bosom Peril« anstelle von »Breast Cancer« (Brustkrebs), »Kidney Disappointment« statt »Kidney Failure« (Nierenversagen) oder auch »Lactose Bigotry« für »Lactose Intolerance« (Lactoseintoleranz).
Ein ernsthafter Peer Reviewer wird solche Grotesken sofort erkennen und entsprechend reagieren, indem er das eingereichte Paper höchstwahrscheinlich ablehnt. Die Tatsache, dass der Problematic Paper Screener immer wieder in veröffentlichten Artikeln fündig wird, zeigt aber, dass der Prozess der wissenschaftlichen Begutachtung offenbar nicht überall gewissenhaft vonstatten geht. Wie die Entwickler des Problematic Paper Screener Anfang 2025 auf der Plattform »The Conversation« berichteten, nutzen bereits einige wissenschaftliche Redaktionen das Tool standardmäßig, um Fake-Einreichungen zu identifizieren.
Richardson und Kollegen fanden heraus, dass bestimmte Forschungsfelder für Fälscher besonders attraktiv sind. So seien Publikationen mit den Schlagworten »lncRNA« (long non-coding RNA) sowie »miRNA« (micro RNA) in Kombination mit »Krebs« häufiger betroffen gewesen als andere – wahrscheinlich, weil nicht codierende RNA-Abschnitte als eine Art von Masterregulatoren angesehen würden, die man leicht mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung bringen könne.
Es sei zu befürchten, dass die Erzeugnisse von Paper Mills der Wissenschaft in einigen Bereichen bereits irreparablen Schaden zugefügt hätten, so die Autoren. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass gefälschte Artikel die Ergebnisse von Metaanalysen verzerren. Auch Programme mit künstlicher Intelligenz (KI) können Fake-Artikel nicht erkennen und beziehen sie in Zusammenfassungen des Stands der Forschung gleichwertig mit seriösen Publikationen ein.
Um dem Problem entgegenzuwirken, müssten bestimmte Abläufe im etablierten Wissenschaftsbetrieb rasch grundsätzlich verändert werden, so das Team. Ob das gelingen kann, erscheint jedoch fraglich, denn die Autoren konstatieren ebenfalls, dass dafür das Engagement vieler einflussreicher Akteure notwendig wäre, die vom jetzigen Status quo profitieren.
Es ist kein neues Phänomen, aber ein Problem von steigender Relevanz und erheblicher Lukrativität: Publikationen mit erfundenen Forschungsresultaten. Das nennt man Fälschen – und es ist noch eine gewaltige Steigerung von Plagiieren, von dem man vielleicht eher hört, weil oft Personen des öffentlichen Lebens im Zentrum von Plagiatsvorwürfen stehen.
Fälschen ist für die Wissenschaft eine Seuche, nicht nur, weil sich hier Forschende mit fremden Lorbeeren schmücken und sich auf dieser Basis gegenüber Konkurrenten durchsetzen und eine Karriere erschleichen. Schlimmer noch ist der Schaden, den solche Arbeiten verursachen, nämlich dann, wenn auf Basis der erfundenen Daten Hypothesen und weiterführende Forschungsansätze formuliert und konzipiert werden.
Ironischerweise wurde diese Entwicklung beschleunigt durch einen gnadenlosen Wettbewerb unter den wissenschaftlichen Institutionen und den Wissenschaftlern selbst. »Exzellenz« ist für viele ein kaum erreichbares Ziel, wenn man regelgerecht arbeitet. Dass da unlautere Praktiken verlockend klingen, ist fast schon plausibel.
Viele, die seriös arbeiten, geraten dabei ins Hintertreffen. Aus einer solchen Situation resultieren leider nur Verlierer.
Theo Dingermann, Senior Editor PZ