Die kleine Schwester der Medikationsanalyse |
Daniela Hüttemann |
07.02.2022 18:00 Uhr |
Wenn Apotheker merken, dass ein Patient mit seiner Medikation nicht klarkommt, lohnt sich eine Medikationsanalyse, die es in verschiedenen Formen gibt. / Foto: Getty Images/Westend61/Joseffson
Eines der zentralen Themen der Weltgesundheitsorganisation ist die Verbesserung der Patientensicherheit und hier auch der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Schätzungen zufolge verursachten Medikationsfehler im Jahr 2012 20 Milliarden US-Dollar Kosten allein in den USA – die Kosten einer mangelnden Therapietreue werden sogar auf 105,4 Milliarden US-Dollar beziffert. In den USA stirbt schätzungsweise mindestens ein Mensch pro Tag durch einen Medikationsfehler.
Auch der Weltapothekerverband FIP hat daher das Thema ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Bereits seit Längerem gibt es ein »Toolkit« (Werkzeugkasten) für Apotheker zum Thema »Medication Review and Medicines Use Review«, das nun in einer aktualisierten Version vorliegt. Es enthält neben genauen Definitionen und der Evidenz zum Nutzen dieser Dienstleistungen auch Arbeitshilfen, wie sich diese Reviews durchführen und im Apothekenalltag implementieren lassen.
»Dieses überarbeitete Toolkit verankert den Apotheker fest ins Gesundheitsteam und fordert die Apotheker auf, diese Dienste zu leiten, um die Patientensicherheit zu verbessern und Arzneimittelschäden zu minimieren«, erklärt Mitherausgeberin Dr. Filipa Alves da Costa, Pharmazieprofessorin an der Universität Lissabon, Portugal. Wichtig sei es, unter den verschiedenen Begriffen einheitliche Leistungen anzubieten.
Während sich »Medication Review« mit Medikationsanalyse übersetzen lässt, gibt es für das »Medicines Use Review« (MUR) keine offizielle Übersetzung. Die Apothekerkammern Berlin und Nordrhein haben die Machbarkeit eines MUR in deutschen Apotheken im Rahmen des Projekts 2021 überprüft und haben diese Dienstleistung dazu »Arzneimittel-Anwendungscheck« genannt.
Der FIP definiert das MUR als Unterform der Medikationsanalyse, bei der Apotheker mit Patienten zusammenarbeiten, um die Anwendung der Medikamente und die Adhärenz zu verbessern – unter Berücksichtigung der Überzeugungen, Präferenzen und Bedenken des Patienten. Dabei treffen Apotheker und Patient feste Vereinbarungen darüber, was der Patient erreichen will. »MUR ist eine Dienstleistung, die ausschließlich darauf abzielt, die Therapietreue zu verbessern, während ein Medication Review umfassender ist und ehrgeizigere Ziele verfolgt«, erläuterte da Costa bei einem Webinar zum Launch des aktualisierten Toolkits.
Ein Medication Review, also die Medikationsanalyse, ist umfassender und sollte interprofessionell erfolgen, da hier oft Änderungen bei einer ärztlich verordneten Medikation nötig sind, zum Beispiel aufgrund von Interaktionen.
MUR sind beispielsweise in Großbritannien bereits etabliert. Hier wird ein MUR mit 27 britischen Pfund vergütet. Weitere Beispiele sind der Polymedikations-Check in der Schweiz, der auch von den Krankenkassen vergütet wird, sowie der »MedsCheck« in Kanada.
Eine kostendeckende Vergütung sei der Schlüssel, denn es erfordert viel Zeit und Personal. Daher kann die Kostenübernahme zum Treiber werden oder, wenn sie ausbleibt, die Etablierung dieser Leistung auch ausbremsen, meint Dr. Kurt E. Hersberger, emeritierter Professor für Pharmazeutische Betreuung in Basel. »Wir müssen daher angesichts eines begrenzten Budgets auch priorisieren, wem wir diese Leistung anbieten wollen.«
Er nannte als mögliche Adressaten Patienten mit Polymedikation (≥ fünf Medikamente in der Dauermedikation), eine risikobehaftete Medikation, Änderungen im Therapieregime, Schwere und Fortschreiten der Erkrankung sowie schwere unerwünschte Wirkungen, wenn Tabletten geteilt werden müssen oder wenn der Apotheker Bedenken zu Adhärenz oder einem möglichen Fehlgebrauch hat. Auch sollte der Patient selbst bereits ein Problembewusstsein haben, also einen Bedarf in diesem Service der Apotheke sehen. In der Schweiz habe sich das MUR als pharmazeutische Leistung bereits gut etabliert und stoße auf eine hohe Akzeptanz.
»Damit es effizient ist, sollte man einem strukturierten Prozess folgen – das ist wie beim Reifenwechsel bei der Formel 1«, erklärte Hersberger. Medikationsanalysen und MUR erforderten etwas Übung, um sie auf die Straße zu bringen. Und genau wie bei der Formel 1 sei es Teamwork: Vor allem der Inhaber muss motiviert sein, diese Leistungen anzubieten, das Team gut trainiert, inklusive der PTA, die zum Beispiel geeignete Patienten erkennen und ansprechen können. Mit seiner langjährigen Erfahrung erinnerte der Experte: »Das erste Patientengespräch ist das schwierigste. Es braucht Training, Training und Training.« Zudem helfe es, einen erfahrenen Mentor an der Seite zu haben und sich zunächst auf bestimmte Indikationen zu fokussieren.
Bei Medikationsanalysen müsse zudem die Kommunikation mit dem Arzt stimmen. Auch hier müsse man sich als Team sehen – und sich als Apotheker trauen, Verantwortung zu übernehmen, umgekehrt aber auch die eigenen Grenzen anzuerkennen. Es gebe viele Aspekte der Therapie, bei dem der Apotheker dem Patienten helfen kann, ohne in die Therapiehoheit des Arztes einzugreifen, zum Beispiel bei der Handhabung erklärungsbedürftiger Arzneiformen, Schluckbeschwerden oder Erinnerungshilfen für die regelmäßige Einnahme. »Die Adhärenz zu verbessern, das ist unsere Pflicht als Apotheker.«
Hersberger forderte auch ein Umdenken: Erfahrungsgemäß würden Apotheker eher auf die Probleme schauen. »Der Patient will aber gute Outcomes, einen Gewinn an Lebensqualität und sich sicher fühlen.« Man solle also lösungsorientiert vorgehen und sich dabei an den Patientenbedürfnissen orientieren. Und er erinnerte: »Es muss nachhaltig sein. Mit einem MUR oder einer Medikationsanalyse ist es nicht getan.« Nach einer gewissen Zeit sollte man beim Patienten nachhaken, wie es ihm mit seiner Medikation geht. Der Apotheker, der selbst auch lang in der Offizin tätig war, ermutigte: »Jeder kann mit MUR und Medikationsanalyse starten und so einen wichtigen Beitrag im Gesundheitswesen leisten.«