Pharmazeutische Zeitung online
Interview Marcel Weigand (UPD)

»Die EGK wäre die beste Lösung für das E-Rezept«

Wie kommentieren eigentlich Patientenvertreter die Entwicklungen rund um die E-Rezept-Einführung? Die PZ sprach mit Digital-Experte Marcel Weigand von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Sein Urteil: Die einzelnen Digital-Anwendungen sind viel zu wenig vernetzt und nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte und Apotheker teils zu komplex konstruiert.
Benjamin Rohrer
17.06.2022  18:00 Uhr

PZ: Herr Weigand, auf einer Veranstaltung des BVDVA zeigten Sie sich zuletzt unzufrieden was die Digitalisierungs-Strategie im Bereich der Arzneimittelversorgung betrifft. Worum geht es Ihnen?

Weigand: Die Regierung hat in der vergangenen Legislaturperiode sehr viel im Bereich E-Health vorangebracht. Doch digitale Transformation bedeutet Wandel. Was ich kritisiere ist der technochauvinistische Ansatz, der sich mehr mit der IT als mit den Menschen befasst, denen sie nutzen soll und die sie nutzen sollen. Apotheker, Ärzte und Patienten müssen verstehen, was digital unterstützte Gesundheitsversorgung bedeutet und welche Vorteile sie bringt– damit erzeuge ich Veränderungsbereitschaft. Und diese muss dann durch Aufklärung, Transparenz und Unterstützungsangebote weiter »bespielt« werden. Dies muss zukünftig mehr Raum einnehmen, wenn die digitale Transformation im Gesundheitswesen ein Erfolg werden soll.

PZ: Was meinen Sie genau? Können Sie Ihre Kritik an den einzelnen Digital-Anwendungen erklären?

Weigand: Ja, darum geht es – um die vielen einzelnen Digital-Anwendungen. Wir haben es beispielsweise im Arzneimittelbereich mit vier separaten Anwendungen zu tun, die voneinander losgelöst funktionieren. Erstens befindet sich der elektronische Medikationsplan (EMP) auf der elektronischen Gesundheitskarte (EGK). Zweitens soll die notfallrelevante Dauermedikation der Patienten im Notfalldatensatz auf der EGK hinterlegt werden. Wenn jedoch Änderungen im EMP vermerkt werden, führt dies nicht automatisch zu Änderungen im Notfalldatensatz der EGK – in einem medizinischen Notfall agieren Ärzte mit veralteten Informationen – eventuell zum Schaden des Patienten. Drittens kann der EMP zwar in die elektronische Patientenakte (EPA) kopiert werden, aber dort nicht verändert werden. Darüber hinaus können Patienten nicht checken, ob freiverkäufliche Medikamente mit den verordneten Medikamenten zu gefährlichen Wechselwirkungen führen können. Und viertens ist in der E-Rezept-App der Gematik tatsächlich kein Abgleich mit dem EMP; NFD und/oder der EPA möglich. Im Ergebnis hat ein Patient vier verschiedene Informationen zu seiner Medikation. So kann die Arzneimitteltherapiesicherheit kaum verbessert werden. Dennoch ist ein separater EMP besser als drei verschiedene Papierversionen mit handschriftlichen Ergänzungen, wie es bisher analog »gelöst« wurde.

Die Anwendungen müssen besser interagieren

PZ: Was muss geschehen, um das zu entwirren?

Weigand: Wir sollten unser Augenmerk mehr auf die notwendige Interaktion der bereits vorhandenen Komponenten legen. Und wir müssen diese viel besser erklären – und zwar nicht nur den Patienten, sondern auch den Heilberufen.  Ein Blick in andere Länder zeigt, dass die Arzneimitteltherapiesicherheit auf viel einfachere Weise entscheidend verbessern werden kann. Patienten holen dort ihre digital verordneten Medikamente mit Versichertenkarte oder Personalausweis in der Apotheke ab. Das wäre in Deutschland auch jetzt schon möglich. Versicherte weisen sich in Arztpraxen auch nur mit Versichertenkarte für Leistungen aus. Eine E-ID wäre dafür nicht notwendig. Die vorhandene Fachexpertise der Apotheker ist bislang zu wenig in den gesamten Medikationsprozess einbezogen worden. Nehmen wir Frankreich, wo denn genau dieser Prozess priorisiert wurde. Hier wird der Apotheker aktiv mit in den Prozess eingebunden. Er bekommt durch Vernetzung der Apothekensysteme Einblick in die Medikation der vergangenen 100 Tage und kann auf Basis valider Datenaktiv für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit sorgen.

Sollte das E-Rezept in der ePA abrufbar sein?

PZ: Zurück zum E-Rezept. Es gibt ja auch gute Gründe, das E-Rezept von der EPA zu trennen. In einem Pilotprojekt zum E-Rezept konnte man schließlich beobachten, dass die Kassen großes Interesse daran haben, Informationen aus den Verordnungen zu sammeln…Das sollte verhindert werden.

Weigand: Ja, es gab einige datenschutzrechtliche Gründe beide Anwendungen nicht miteinander zu verzahnen. Und trotzdem plädiere ich dafür, die strikte Trennung zwischen EPA und E-Rezept aufzuheben. Denn erstens ist gesetzlich ausgeschlossen, dass Kassen die Daten aus der EPA erhalten dürfen. Und zweitens müssen wir das drohende Chaos in der Arzneimittelversorgung auf das wir zusteuern mit allen Mitteln verhindern.

PZ: Sie fordern auch, dass es für Patienten einen leichteren Zugang zur E-Rezept-App bräuchte. Dabei gibt es sogar eine schon fertige Lösung: die EGK als E-Rezept-Transportmedium. Das wäre für jeden Heilberufler und Patienten sofort verständlich. Diese Lösung wird aber von den Versandhändlern blockiert. Sollte sich das BMG hier durchsetzen?

Weigand: Die zur Identifizierung verwendete NFC-Technologie ist hakelig. Ich habe es selbst erst nach über zehn Versuchen geschafft. Ich kenne viele digital Affine, die es bislang nicht geschafft haben, sich mit der EGK in der App anzumelden. Auch wegen dieser Komplexität werden E-Rezepte derzeit fast nur ausgedruckt. Klar ist: Patienten müssen die freie Wahl haben, ihre E-Rezepte sowohl in der Apotheke als auch im Versandhandel einzulösen. Um das E-Rezept nicht nur bei Patienten, sondern auch bei Ärzten und Apothekern in die Versorgungsrealität einzuführen, wäre die EGK derzeit aber die beste Lösung.

»Apotheker müssen sich der Realität stellen«

PZ: Sie fordern auch, dass man bei der E-Rezept-Einführung die möglichen Vorteile für die AMTS mehr im Blick halten sollte…

Weigand: Richtig. Warum werden in der E-Rezept-App nicht gleich mögliche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Verordnungen angezeigt? Warum gibt es nicht gleich einen integrierten Medikationscheck in der E-Rezept-App? Warum können nicht OTC-Arzneimittel in diese Checks mit einbezogen werden?

PZ: Dafür gibt es doch Apotheker, die das im Gespräch mit den Patienten erörtern…

Weigand: Ja, aber hier müssen sich die Apotheker auch der Realität stellen. Menschen werden nicht bei starken Kopfschmerzen die Einnahme von Ibuprofen oder ASS bis zum nächsten Arzt- oder Apothekenbesuch hinauszögern. Sie googlen ihre möglichen Wechselwirkungen ohnehin – ein qualifizierter, geprüfter Interaktionscheck in der App wäre mir da lieber. Wir müssen alle akzeptieren, dass die Menschen in einem digitalisierten Gesundheitswesen immer mehr selbst zum aktiven Akteur werden, sie sind nicht mehr nur Informationsempfänger.

PZ: Was genau meinen Sie?

Weigand: Die Patienten haben im derzeitigen EPA-Konstrukt keine Lesemöglichkeit – wenn wir aber vom mündigen Patienten und patient empowerment sprechen, müssen wir den Menschen mehr Transparenz und Einblick in ihre eigenen Gesundheitsdaten gewähren. Das Rechte-Management in der EPA ist insgesamt die reine Überforderung. Es kann doch nicht sein, dass der Patient jedes einzelne Dokument für jeden Heilberufler separat und für eine bestimme Zeit freigeben muss, wenn es gelesen werden soll.

Wird der Datenschutz überbewertet?

PZ: Für all diese Regelungen wird der Datenschutz als wichtigster Grund angeführt…

Weigand: Ja, aber es kann doch nicht sein, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte und das BSI de facto ein höheres Mitspracherecht haben als der Gesetzgeber. Wir unterliegen wie etwa Dänemark oder Österreich derselben DSGVO. Dass nur Datenschützer in Deutschland dieses EU-Gesetz anders interpretieren, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir sollten das hinterfragen. Wenn Anwendungen - oder allein die Registrierung dafür – so aufwändig gemacht werden, dass sie kaum jemand nutzen kann und möchte, läuft etwas grundverkehrt.

PZ: Wie ist Ihr Gegenvorschlag?

Weigand: Ordnungspolitisch muss etwas passieren. Wir sollten der Gematik als Digital-Agentur einen größeren Spielraum für die Entwicklung der TI und digitalen Anwendungen gegeben. Grundlage sollten in erster Linie Bedarf und Nutzen der Anwender sein: Patienten und Heilberufe aus der Praxis. Ganz am Ende des Prozesses sollte die Gesetzgebung den Rahmen geben. Die Erfahrung lehrt, dass der Gesetzgeber nicht zu Beginn definieren kann, wie Anwendungen am Ende aussehen sollen. Digital erfolgreiche Länder verfahren so. Heißt zusammengefasst: Wir brauchen eine Gematik als Digital-Agentur die einerseits mehr Beinfreiheit bekommt, andererseits aber unbedingt sicherstellen muss, die Bedürfnisse von Patienten und anderen TI-Anwendern mehr Gehör schenken muss, wofür Brücken und Austausch zu und mit den Alltagsprozessen der Gesundheitsversorgung hergestellt werden müssen. Gleiches gilt für die E-Health-Strategie: Damit sich Heilberufe und Bürgerinnen und Bürger hinter die Digitalisierung im Gesundheitswesen stellen, sollte sie bei der E-Health-Strategie einbezogen werden und konkrete Versorgungsziele verankert werden. Beispielsweise wäre es gut, festzuhalten, dass mit Hilfe digitaler Anwendungen die Zahl der vermeidbaren Arzneimittel-bedingten Klinikeinweisungen um 20 Prozent innerhalb von 3 Jahren gesenkt werden muss (laut Antwort Bundesregierung sind dies 250.000 pro Jahr).

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