Die bessere Antibiotika-Verordnung bei Atemwegsinfekten |
Daniela Hüttemann |
03.05.2021 09:52 Uhr |
Beim »Delayed Prescribing« bekommt der Patient zwar beim Arztbesuch ein Rezept. Er erklärt sich jedoch bereit, es nur unter bestimmten Bedingungen einzulösen. / Foto: Getty Images/Westend61/Mareen Fischinger
Die meisten Atemwegsinfekte sind viral bedingt und selbst limitierend. Solange keine Warnzeichen wie hohes Fieber und Kurzatmigkeit oder andere sogenannte Red Flags vorliegen, lohnt es sich in der Regel abzuwarten, ob eine Antibiotika-Einnahme wirklich nötig ist. Das untermauert eine neue Untersuchung.
In der neuen Halsschmerz-Leitlinie wird dieser neue Trend des Delayed Prescribings, also eine verzögerte Verschreibung, bereits praktiziert. In der Regel ist damit gemeint, dass der Patient zwar ein Rezept bereits bei der Erstkonsultation bekommt, dieses aber nur unter bestimmten Voraussetzungen einlösen soll, zum Beispiel wenn sich die Symptome verschlechtern oder nach einem bestimmten Zeitraum immer noch nicht verschwunden sind. Zum Teil kann der Patient dies selbst entscheiden, zum Teil soll er nach einer Frist telefonische Rücksprache mit dem Arzt halten. Nötig sind hierfür eine gute Aufklärung und die gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making). Ein Vorteil ist, dass der Kranke nicht erneut in der Arztpraxis vorstellig werden muss. Aber riskiert der Patient damit nicht eine Verschleppung und womöglich sogar Langzeitschäden?
Dass dies bei Atemwegsinfektionen nicht der Fall ist, zeigt eine neue Metaanalyse. Die Patienten, die ihr Rezept gar nicht oder erst später einlösten, hatten sogar Vorteile, schreibt ein Team um Erstautorin Beth Stuart von der University of Southhampton, Großbritannien, im »British Medical Journal«.
Das internationale Forscherteam wertete Patientendaten aus neun randomisierten kontrollierten Studien und vier Beobachtungsstudien aus. Insgesamt nahmen daran 55.682 Patienten im Alter von zwei bis 51 Jahre teil. Sie litten unter leichten bis moderaten Atemwegsinfekten wie Schnupfen, Halsschmerzen, Husten oder Ohrinfektionen, also typischen Erkältungsanzeichen, die normalerweise von selbst verschwinden. In der Regel sind hier keine Antibiotika nötig, sie werden jedoch – da sind sich die Experten einig – bei Atemwegsinfekten immer noch viel zu häufig und unnötigerweise verschrieben. Oft steht dahinter die Angst vor einer Verschlechterung, zum Beispiel hin zur Lungenentzündung, und nicht wenige Patienten fordern Antibiotika aktiv ein.
Frühere Studien hatten gezeigt, dass eine verzögerte Verschreibung von Antibiotika bei Infektionen der Atemwege für die meisten Patienten wahrscheinlich sicher und wirksam ist. Es fehlten jedoch genauere Untersuchungen zu verschiedenen Patientengruppen oder möglichen Komplikationen, so die Autoren der neuen Analyse.
Die Wissenschaftler um Stuart verglichen die Symptomschwere und -dauer zum einen zwischen einer verzögerten und keiner Antibiotika-Verschreibung sowie zwischen einer verzögerten und einer sofortigen Antibiotika-Verordnung. Die durchschnittliche Symptomschwere wurde zwei bis vier Tage nach dem ersten Arztbesuch auf einer Sieben-Punkte-Skala bewertet.
Die Symptome hielten bei einer verzögerten Verschreibung etwas länger an als unter sofortiger Antibiotika-Therapie (11,4 versus 10,9 Tage). Zwischen Delayed Prescribing und keiner Verordnung fand sich kein Unterschied. Unter der verzögerten Verordnung traten sogar weniger Komplikationen, die zu Krankenhauseinweisungen führten, auf als unter sofortiger oder keiner Antibiotika-Verordnung, doch waren hier die Unterschiede nicht statistisch signifikant. Bei der Symptomschwere fand sich kein Unterschied zwischen den Gruppen.
Dagegen sank die Rate weiterer Konsultationen bei verzögerter Verordnung gegenüber keiner Verordnung und die Patienten waren zufriedener. Zwischen verzögerter und sofortiger Verschreibung gab es hier keinen Unterschied.
Wahrscheinlich führe die Verzögerung nicht zu einer schlechteren Symptomkontrolle als die sofortige Antibiotika-Therapie, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung des »BMJ«. Es gab zwar einen leichten Vorteil für Kinder mit sofortigen Antibiotika (etwas mildere Symptome), aber dieser war laut Autoren nicht klinisch relevant genug, um eine sofortige Verschreibung zu rechtfertigen.
Dennoch kommen sie zu dem Schluss, dass eine verzögerte Verschreibung von Antibiotika »für die meisten Patienten, einschließlich Patienten in Untergruppen mit höherem Risiko, eine sichere und wirksame Strategie zu sein scheint«. Und sie schlagen vor, dass eine verzögerte Verschreibung »als eigenständiger interventioneller Ansatz verwendet werden könnte, aber auch eine Möglichkeit sein könnte, nicht übereinstimmende Erwartungen zwischen Arzt und Patient zu lösen«.
Die meisten Studien, die in die Metaanalyse eingeschlossen wurden, waren in der Primärversorgung erfolgt. Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, bisherige Erkrankungsdauer, Symptomschwere, Raucherstatus und Vorerkrankungen wurden bei der Auswertung genauso berücksichtigt wie Unterschiede im Studiendesign.