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Gemeinwohlökonomie

»Die Allgemeinheit muss auch etwas von meiner Apotheke haben«

Apotheker Albrecht Binder von der St. Rochus Apotheke in Steinheim möchte den Einfluss seiner Offizin auf die Umwelt und soziale Aspekte messen. Dafür stellt er alle zwei Jahre eine sogenannte Gemeinwohlbilanz auf. Im PZ-Interview erklärt er, wie sein Apothekenbetrieb und Team davon profitieren, wo Apotheken in Nachhaltigkeitsbereichen eher schlecht abschneiden und warum diese Bilanzierung verpflichtend für alle Unternehmen sein sollte.
AutorKontaktCharlotte Kurz
Datum 18.08.2021  10:30 Uhr

Vor gut fünf Jahren hat Apothekeninhaber Albrecht Binder seinen Apothekenbetrieb im nordrhein-westfälischen Steinheim auf den Kopf gestellt. Gemeinsam mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat er 2016 das erste Mal eine sogenannte Gemeinwohlbilanz für seine damals vier Apotheken aufgestellt. Das Ziel: Sich darüber bewusst zu werden, wie gut das eigene Unternehmen in ökologischen und sozialen Bereichen abschneidet und durch dieses Bewusstsein schrittweise besser zu werden. Die Bilanzen sind für jeden öffentlich über seine Apotheken-Webseite zugänglich.

Binder änderte dadurch aber nicht nur seinen Apotheken-Alltag, sondern nahm auch Einfluss in seinem Umfeld. In seinem Heimatlandkreis Höxter führen auf sein Wirken hin einige Unternehmen sowie drei Städte Gemeinwohlbilanzierungen durch, nachdem Binder den Steinheimer Bürgermeister von dieser Sache überzeugt hatte. 2017 gründete der heute 60-Jährige mit seiner Ehefrau und einem befreundeten Ehepaar zudem die Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW, um Nachhaltigkeitsprojekte weiter zu unterstützen. Was es mit der Gemeinwohl-Ökonomie und der Bilanzierung auf Nachhaltigkeitsthemen auf sich hat, erklärt Binder im Interview mit der PZ.

PZ: Was bedeutet die Gemeinwohl-Ökonomie für Sie?

Binder: Mit meiner Apotheke habe ich wie jedes andere Unternehmen einen Einfluss auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Dieser Effekt wird derzeit jedoch nicht gemessen. Nachhaltigkeit besteht insgesamt aus drei Säulen – Ökonomie, Ökologie und Sozialwesen. Der Staat fordert von uns aber nur, dass wir eine Finanzbilanz erstellen. Auch das Bruttosozialprodukt misst lediglich Verkäufe und Geldflüsse, die im Wirtschaftssystem gemacht werden. Das sagt nichts über die Lebens- und Umweltqualität aus. Wenn wir aber auf dieser Welt überleben wollen, müssen wir den kompletten Nachhaltigkeitsbereich, also auch die sozialen und ökologischen Parameter, messen. Hier kommt die Gemeinwohlbilanzierung ins Spiel. 

PZ: Wie sind Sie denn darauf gestoßen?

Binder: 2016 habe ich das erste Mal von der Gemeinwohl-Ökonomie gehört. Damals schenkte mir meine Tochter das Buch von Christian Felber zum Geburtstag. Sie sagte damals zu mir: »Schau mal Papa, lies dir das mal durch, das wird dich interessieren.« Für uns ist Nachhaltigkeit und das Einsetzen für das Sozialwesen schon immer wichtig gewesen. Als ich das Buch gelesen habe, habe ich gedacht: Das ist endlich ein gangbarer Weg, das strukturiert in der Gesellschaft anzugehen.

PZ: Und wie funktioniert die Bilanzierung?

Binder: Ganz konkret gibt es 20 Bereiche, bei denen es jeweils maximal 50 Punkte gibt. Theoretisch können also 1000 Punkte erreicht werden. Normalerweise erreichen Unternehmen Werte zwischen 0 und 700 Punkten. 0 Punkte pro Bereich bedeutet, dass alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. 50 Punkte bedeutet, dass alle Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllt sind und nichts mehr verbessert werden kann, beispielsweise bei CO2-Neutralität. Zuerst wird hier eine Selbsteinschätzung des Betriebs vorgenommen. Bei uns ist das ein offener Prozess, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden miteinbezogen. Zudem wird die Bilanz extern auditiert.

PZ: Wer übernimmt die externe Prüfung?

Binder: In der Gemeinwohlbewegung gibt es eine Reihe von Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüferinnen, die sich Auditoren nennen. Sie versuchen die Prüfung im Betrieb möglichst einheitlich und personenunabhängig zu erstellen. Wenn die Externen eine andere Einschätzung vornehmen als die zuvor bilanzierte Selbsteinschätzung, dann geht man in die Diskussion.

PZ: Und was kostet diese Bilanzierung?

Binder: Das kommt auf die Betriebsgröße an. Wir haben damals mit unseren drei Filialen 2500 Euro bezahlt. Für meine Finanzbilanz zahle ich meinem Steuerberater aber das Vierfache. Für eine Apotheke mit einem relativ kleinen Team wird die Bilanzierung aber günstiger sein. Für mich ist es absolut essenziell, dass wir uns in der Wirtschaft Richtung Nachhaltigkeit bewegen. Dadurch ist es gut eingesetztes Geld, auch weil meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen anderen Blick auf den Betrieb bekommen und sich mehr für den Betrieb und für mehr Nachhaltigkeit einsetzen.

Vorteile: Mehr Transparenz, Diskussionen und Verbesserungsmöglichkeiten

PZ: Wo liegen die Vorteile der Gemeinwohlbilanzierung?

Binder: Durch die Bilanzierung entsteht eine Vergleichbarkeit innerhalb der Branche und auch über Jahre hinweg. Ich sehe meine Bilanz und kann mir überlegen, was kann und will ich dafür tun, um diese zu verbessern. Unternehmen könnten voneinander lernen und sich anschauen, warum die anderen in manchen Bereichen besser abschneiden. Die Bilanzierung ist für mich damit ein Controlling-Instrument für mehr Nachhaltigkeit. Zudem gibt es durch die Bilanz auch mehr Transparenz gegenüber der Kundschaft. Diese kann entscheiden, je nach Bepunktung der Bilanz, wo sie einkaufen will. Heute müssen sie sich mühsam durch Bio- und Fairtrade-Siegel kämpfen. Zudem schafft Transparenz auch Vertrauen. Kunden und Kundinnen verstehen viel besser, warum wir welche Produkte empfehlen, wenn wir auch erklären können, warum wir die Empfehlungen geben.

PZ: Was hat sich im Umgang mit Ihrem Team geändert?

Binder: Durch die Bilanzierung wird genau geprüft, wo erreichen wir wie viele Punkte, in welchem Bereich können wir uns verbessern. Dadurch wird so viel positive Energie freigesetzt. Wir führen hierfür einmal im Jahr eine aktive Finanzbesprechung durch. Alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können genau erfragen, was es beispielsweise mit dem Jahres-Rohertrag von 400.000 Euro auf sich hat. Dabei kriegen sie einen genauen Einblick, dass dieser Betrag nicht in meiner Tasche landet, sondern dass davon auch Steuern, Rücklagen oder Kredite bezahlt werden müssen. Wir diskutieren auch ganz offen darüber, wie viel von letztem Jahr als Boni überbleibt und überlegen, wer wie viel bekommen und wie viel an das Sozialwesen gespendet werden soll. Diese Diskussionen führen zu einem ganz anderen Miteinander.

PZ: Das klingt aber auch nach einem zeitaufwendigen Unterfangen.

Binder: Für die erste Bilanz haben wir etwa 300 Personalstunden eingesetzt. Bei der zweiten 250 und bei der dritten 200 Personalstunden, aber weiter runter werden wir nicht kommen. Man muss das aber im Verhältnis zur Vorbereitung der Finanzbilanz setzen. Hier stecken wir 1200 Stunden pro Jahr hinein. Da wir die Gemeinwohlbilanz nur alle zwei Jahre vornehmen, kommen wir hier auf ein Verhältnis von 1:10.

Ziel: CO2 Ausstoß der Apotheke reduzieren

PZ: Und was hat sich bei Ihnen in der Apotheke ganz konkret getan?

Binder: Wir haben als erstes festgestellt, dass wir eine CO2-Bilanz erstellen wollen. Hier haben wir gemeinsam mit einem Nachhaltigkeits-Manager ein Konzept erarbeitet. Jetzt können wir jedes Jahr festhalten, wie die Fahrtstrecken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aussehen und welche Fortbewegungsmittel genutzt werden. Aber auch die Fahrtstrecken der Großhändler werden berücksichtigt, unser Stromverbrauch oder wie viel wir heizen und kühlen. Dann haben wir den Output an CO2-Tonnen pro Team-Mitglied festgestellt und haben uns als Ziel gesetzt, diesen Ausstoß im nächsten Jahr zu reduzieren.

Beispielsweise hat das Ärztehaus, in dem sich eine meiner Apotheken befand, auf meine Nachfrage hin, auf grünen, erneuerbaren Strom umgestellt. Wir haben zudem Job-Räder eingeführt. Vier oder fünf aus meinem Team haben sich beispielsweise dadurch ein E-Bike angeschafft und kommen seltener mit dem Auto zur Arbeit. Wir haben auch eine Stromtankstelle auf dem Hof und bauen gerade eine Photovoltaik-Anlage, damit wir komplett regenerativen Strom anbieten können.

PZ: Und bezüglich Ihrer Kundschaft?

Binder: Hier haben wir die Transparenz ausgebaut. Wir haben schon immer viele Vereine unterstützt, aber bis vor Kurzem nie öffentlich gemacht, wohin wie viel geht. Zudem geben wir unseren Kunden und Kundinnen auch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, wohin wir spenden. Wir wissen bereits vorab, wie viel Geld gespendet werden soll und haben drei Glassäulen in der Apotheke aufgestellt. Eine steht für die Umwelt, eine für Kultur und eine für den Sport. Die Kundinnen und Kunden können dann mithilfe kleiner Holzscheiben selbst abstimmen, für welche Bereiche gespendet werden soll. Je Holzscheibe spenden wir dann am Ende des Jahres 50 Cent. Dieses Konzept hatten wir aufgrund von Corona zeitweise eingestellt, jetzt fangen wir wieder damit an. Aber es wird immer sehr gut angenommen.

PZ: Wo sind Sie in der Bilanz nicht so gut weggekommen?

Binder: Bei der ökologischen Auswirkung der Produkte haben wir beispielsweise kaum Chancen besser zu werden. Ich verkaufe die Medikamente, die verschrieben werden. Wenn diese aber unter ökologisch fragwürdigen Bedingungen, mit einem hohen Energieaufwand und Ressourcenverbrauch hergestellt werden, kann ich leider nicht viel daran ändern. Deswegen gibt es auch Branchen-Benchmarks. Normale Apotheken werden in diesem Bereich nicht über 20 Prozent hinauskommen. Ein Naturkost-Biohändler wird hier eher bei 70 bis 80 Prozent landen, ein Unverpackt-Laden sogar bei 100 Prozent. Wir haben erst vor kurzem 30 Pharma-Unternehmen angeschrieben, mit deren Medikamenten wir den größten Umsatz machen und nach Nachhaltigkeitsbilanzen gefragt. Da kamen aber nur durchwachsene Antworten zurück. Je mehr Apotheken hier nachhaken würden, desto stärker baut sich auch der Druck auf, etwas zu tun.

PZ: Bald ist Bundestagswahl, was wünschen Sie sich von der neuen Regierung?

Binder: Die komplette Regierungsarbeit und Steuergesetzgebung sollte ernsthaft auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Die Gemeinwohlbilanzierung sollte zudem verpflichtend eingeführt werden, weil das unserem Staatsziel entspricht. Im Grundgesetz steht in Artikel 14: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Ich habe eine Apotheke und deshalb muss ich mich dafür einsetzen, dass die Allgemeinheit auch etwas davon hat. Sie hat aber nur etwas davon, wenn ich das Nachhaltigkeitsziel unterstütze. Bedeutet, wir müssen mit den ökologischen Ressourcen so umgehen, dass sie in 100 Jahren noch zur Verfügung stehen. Und wir müssen unser Sozialwesen so aufbauen, dass global gesehen, kein Wanderungsdruck entsteht und alle Menschen ein für ihre Verhältnisse auskömmliches Leben haben. Das ist ein hohes Ziel, das Deutschland nicht alleine erreichen kann. Aber wenn wir sagen, wir schaffen das sowieso nicht, kommen wir auch nicht weiter. Der Staat würde übrigens auch ein Steuerungsinstrument in die Hand bekommen, sodass er die Firmen belohnen kann, die bessere Werte haben. Für Unternehmen besteht dann der Anreiz, besser abzuschneiden.

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