Diabetes aus der Dose |
Sven Siebenand |
26.05.2021 11:30 Uhr |
In Frankreich ist die Verwendung von Bisphenol A für die Innenbeschichtung von Konservendosen strikt verboten, in Deutschland muss nur ein Grenzwert eingehalten werden. / Foto: Getty Images/CarloA
Endokrine Disruptoren können die Wirkweise von Hormonen im Körper verändern. Sowohl eine Abschwächung als auch eine Verstärkung der Hormonwirkung sind möglich, ebenso Veränderungen der Hormonkonzentration durch Beeinflussung von Produktion, Transport und Freisetzung. Viele schädliche Effekte wie Wachstums- und Fortpflanzungsstörungen, aber auch ein erhöhtes Risiko für verschiedene Erkrankungen können von ihnen ausgehen. Chemikalisch betrachtet handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe von Substanzen. In einer Liste »besonders besorgniserregender Stoffe« der Europäischen Chemikalienagentur ECHA finden sich mehrere endokrine Disruptoren.
Beim Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft betonte Professor Dr. Wolfgang Rathmann vom Deutschen Diabeteszentrum in Düsseldorf, dass man hierzulande quasi ständig und das ganze Leben lang diesen Chemikalien ausgesetzt ist. Die Embryonalentwicklung ist für mögliche Schäden dabei ein kritischer Zeitpunkt. »Der Zeitraum von Empfängnis bis Geburt ist eine Periode besonderer Anfälligkeit«, sagte der Mediziner. Man habe erkannt, dass diese Phase der zellulären Differenzierung und Reifung von Organsystemen und das intrauterine Milieu das zukünftige Risiko für Adipositas und Typ-2-Diabetes mitbestimmen können. Hier können die Weichen für spätere Stoffwechselerkrankungen gestellt werden.
Hinzu komme, dass man mittlerweile um eine ungünstige Eigenschaft dieser Chemikalien wisse, nämlich die multigenerationelle Vererbbarkeit von Stoffwechselveränderungen nach intrauteriner Exposition. Rathmann informierte über Auswirkungen bis in die zweite Nachfolgegeneration hinein. »Es kann sogar sein, dass eine Generation übersprungen wird und die Effekte der intrauterinen Exposition mit diesen Chemikalien dann erst bei den Enkeln auffallen.« Dabei spielten möglicherweise epigenetische Phänomene eine Rolle.
Ein Beispiel für einen endokrinen Disruptor ist Bisphenol A, das leicht estrogenähnliche Eigenschaften hat. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2018 hat gezeigt, dass die Exposition gegenüber der Substanz mit dem Typ-2-Diabetesrisiko beim Menschen assoziiert ist. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Bisphenol A die Betazellfunktion direkt schädigen kann, aber auch eine Insulinresistenz verursachen kann und es zur Zunahme des Fettgewebes kommt. Ferner wird von der Zunahme von Entzündungsmarkern und oxidativem Stress berichtet.
»Diese Industriechemikalie wird auch in Deutschland noch tonnenweise genutzt für die Herstellung von Kunststoffen oder Kunstharzen«, kritisierte Rathmann. Hauptexpositionsquelle seien Konserven. Bisphenol A findet sich oft in Kunststoffen, mit denen Konservendosen ausgekleidet werden. Während das in Frankreich seit einigen Jahren strikt verboten ist, gilt in Deutschland ein Grenzwert für Bisphenol A, der nicht überschritten werden darf. Rathmann riet jedoch dazu, den Gebrauch von Konserven ganz zu meiden, wenn Kunststoffe mit Bisphenol A für die Innenbeschichtung herhalten mussten. Das gelte insbesondere in der Schwangerschaft.
Unter anderen im EU-Forschungsprojekt EDCMET (Metabolic effects of Endocrine Disrupting Chemicals: novel testing METhods and adverse outcome pathways) wird die Wirkung von endokrinen Disruptoren auf den Stoffwechsel derzeit untersucht. Anfang 2019 fiel der Startschuss. Das Projekt hat zum Ziel, Methoden zu entwickeln, mit denen man chemische Verbindungen identifizieren kann, die Stoffwechselprozesse im Körper stören. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist an EDCMET beteiligt. Innerhalb des Projekts werden Forschende des BfR mit Zellkultursystemen und am Tiermodell untersuchen, wie Chemikalien auf den Fett- und Energiestoffwechsel in Leberzellen wirken.