Deutschlandweite Aktionen ab Montag |
Lukas Brockfeld |
15.04.2024 18:38 Uhr |
Gabriele Regina Overwiening sprach in Erfurt über die Probleme der Apotheken und kündigte neue Protestaktionen an. / Foto: ABDA / Screenshot
Am Montagnachmittag luden ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, Ronald Schreiber (Präsident der Landesapothekerkammer Thüringen) und Stefan Fink (Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbands) zu einer gemeinsamen Pressekonferenz in Erfurt ein. In dieser machten sie auf die prekäre wirtschaftliche Lage der deutschen Apotheken aufmerksam und kündigten neue Proteste an.
Overwiening erklärte in ihrer Rede die Hintergründe der Pressekonferenz: »Natürlich sind wir heute nicht zufällig in Thüringen. Im Freistaat Thüringen gibt es nämlich ziemlich genau 500 Apotheken. Und genau so viele Apotheken haben deutschlandweit allein im vergangenen Jahr ihre Türen für immer geschlossen. 500 Apotheken vor Ort haben wir für die Versorgung verloren. Ich möchte uns also zu dem Gedankenexperiment einladen: Was wäre, wenn Thüringen keine Apotheken mehr hätte?«
Trotz zahlreicher Ankündigungen der Politik habe sich in den vergangenen Monaten nichts zum Positiven geändert. Die Liste der nicht lieferbaren Arzneimittel sei noch immer lang und die Apotheken litten unter Fachkräftemangel und ausufernder Bürokratie. Gerade die bürokratischen Kontrollen müssten dringend vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) abgebaut werden, doch die Politik tue das Gegenteil.
»Die Abgabe- und Austauschfreiheiten, die während der Pandemie galten, hatten sich bewährt, wurden aber trotzdem in weiten Teilen wieder gestrichen. Für nicht lieferbare Kinderarzneimittel wurden sogar neue bürokratische Kontrollmechanismen eingeführt, die Mehrarbeit und Kosten verursachen«, klagte die ABDA-Präsidentin.
Die Einführung des E-Rezepts habe die ohnehin schwierige Situation weiter verschärft. Die häufigen technischen Probleme hätten das Vertrauen in die Digitalisierung beschädigt. Die Politik müsse dafür sorgen, dass die Telematik-Infrastruktur verlässlich funktioniere. »Anstatt sensibel und kompetent eine schnelle Lösung dieser Probleme herbeizuführen, hat das BMG im Alleingang und entgegen den Warnungen aller Fachverbände in der Selbstverwaltung, ausländischen Großkonzernen einen neuen, unsicheren Zugriff auf E-Rezepte ermöglicht. Eine am Wohl der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Gesundheitspolitik sieht anders aus«, erklärte Overwiening.
Allein durch den Wegfall der 500 Apotheken im Jahr 2023 hätten laut Overwiening etwa zwei Millionen Menschen ihre wohnortnahe Versorgung verloren. Ein wesentlicher Grund für die vielen Schließungen seien die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: »Das Apothekenhonorar wurde seit elf Jahren nicht angepasst, zuletzt hat es die Ampel sogar gekürzt. In dieser Zeit sind die Kosten der Apotheken um 60 Prozent gestiegen, die Inflation um 30 Prozent«, so Overwiening.
Die ABDA-Präsidentin erhebt daher schwere Vorwürfe in Richtung der Politik: »Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach weiß von dieser bedrohlichen Entwicklung, unternimmt aber rein gar nichts, um die Apotheken zu stabilisieren. Wir haben ihm Lösungsvorschläge vorgelegt. Auf keine dieser Ideen hat der Minister konstruktiv reagiert.« Stattdessen habe der Sozialdemokrat Scheinreformen angekündigt, die für die Patienten in der Praxis Leistungskürzungen bedeuteten.
Der Thüringer Kammerpräsident Roland Schreiber machte auf die Lage in seinem Bundesland aufmerksam: »Aktuell befindet sich die Apothekenanzahl auf dem Niveau von 1995. Natürlich ist die Situation heute eine völlig andere als in den Neunzigerjahren. Damals gab es einen riesigen Nachholbedarf, das flächendeckende Apothekennetz war im Aufbau und wurde erst bis in alle Winkel unseres Landes gespannt. Heute werden die Löcher in diesem Netz wieder größer.«
Die Defizite in der Versorgung seien inzwischen deutlich für die Bürgerinnen und Bürger zu spüren. Daher müsse die Politik schnell handeln, beispielsweise indem mehr Pharmazie-Studienplätze in Jena geschaffen werden: »Wir können es uns nicht erlauben, jungen Menschen, die Pharmazie studieren wollen, dies aus vorgeschobenen Gründen zu verwehren. Was dabei entsteht, ist ein künstlicher Mangel, der die Apotheken gerade in den ländlichen Teilen Thüringens vor nahezu unlösbare Probleme stellt«, so Schreiber.
Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes, erklärte in seiner Rede die schwierige Lage der Apotheker im Freistaat, die vor allem durch ausbleibende Honoraranpassungen entstanden sei: »Seit 2020 zahlen Apotheken rechnerisch im Schnitt pro abgegebener Packung drauf, 2023 waren es 46 Cent pro abgegebener Packung. Erst Rabatte, Skonti und die Quersubventionierung aus anderen Bereichen des Apothekenbetriebs führten gegebenenfalls noch zu einem positiven Betriebsergebnis.«
In den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erzielten 35 Prozent der Apotheken ein Betriebsergebnis vor Steuern von null bis 85.000 Euro und seien damit aus unternehmerischer Sicht nicht mehr wirtschaftlich. Knapp zehn Prozent der mitteldeutschen Apotheken lägen mit einem Betriebsergebnis vor Steuern kleiner null Euro in der Verlustzone und stünden kurzfristig vor dem Aus.
Fink befürchtet, dass das Skonto-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) die Lage noch deutlich verschärft. Eine typische Apotheke dürfte durch das Urteil Ertrags- und Gewinneinbußen von etwa 20.000 Euro erleiden. »Das Urteil lässt gesichert erwarten, dass der Anteil der nicht mehr wirtschaftlichen Apotheken im Freistaat Thüringen auf ca. 43 Prozent und der Anteil der defizitären Apotheken auf 13 Prozent steigen wird. Noch nicht eingepreist sind bei diesen Berechnungen die für 2024 zu erwartenden stark steigenden Personal- und Betriebskosten«, rechnet der Vorsitzende des Apothekerverbandes.
Die Lage der Apotheken ist also ernst, nicht nur in Thüringen, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Daher wurden auf der Pressekonferenz in Erfurt eine ganze Reihe an Protestmaßnahmen angekündigt. »Im Rahmen unserer neuen Dachkampagne ›Gesundheit sichern. Die Apotheke‹ werden wir unsere Patientinnen und Patienten direkt in den Apotheken über die bedrohliche Lage informieren. Wir werden den Menschen auch die Möglichkeit geben, sich im Rahmen einer bundesweit angelegten Umfrage zum Zustand ihrer Arzneimittelversorgung zu äußern«, erklärte Overwiening. Die Aktionen sollen schon am kommenden Montag starten.
Die ABDA plant außerdem die »Wir sehen rot« Protestaktion, bei der die Apothekenteams vom 22. bis zum 27. April rote Kleidung tragen sollen, um die Patientinnen und Patienten auf die schwierige wirtschaftliche und politische Situation aufmerksam zu machen. Hierzu werden entsprechende Materialien online bereitgestellt. Alle Apotheken erhalten außerdem als Beilage in der Pharmazeutischen Zeitung vom 18. April ein Plakat zum Aushang und Textilaufkleber mit der Aufschrift »Wir sehen rot« zum Anbringen an die rote Oberbekleidung.
Stefan Fink vom Thüringer Apothekerverband rief die Offizinen im Freistaat zusätzlich dazu auf, am 17. April ihre Schaufenster und Apotheken-A’s zu verhüllen und die Versorgung nur noch über die Notdienstklappe sicherzustellen. Die Schaufenster sollen bis einschließlich 21. April verhüllt bleiben. »Mit dieser symbolhaften Aktion soll deutlich werden, dass die Apotheken und damit qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung vor Ort nicht mehr selbstverständlich für die Patienten verfügbar sein werden, wenn man ihnen die Existenzgrundlage nimmt«, erklärt Fink.