Deutschland vor dem Zuckerschock |
Sven Siebenand |
24.05.2021 14:00 Uhr |
Süß, süßer, Diabetes: Im Jahr 2040 werden in Deutschland schätzungsweise zwölf Millionen Menschen mit Diabetes leben. / Foto: Adobe Stock/Irene
Beim Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) wies Präsidentin Professor Monika Kellerer darauf hin, dass bis zum Jahr 2040 schätzungsweise zwölf Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland leben werden. Diabetesprävention einerseits und die Verbesserung der Versorgungsrealität erkrankter Menschen andererseits seien maßgeblich, um die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Kellerer begrüßte die Verabschiedung der Nationalen Diabetesstrategie im vergangenen Jahr. Die darin genannten acht Hauptpunkte fokussieren beispielsweise auf Vorbeugung und Früherkennung von Diabetes, den Ausbau der Diabetesforschung oder die Verbesserung der Information und Aufklärung über Diabetes. »Allein dadurch, dass die Punkte niedergeschrieben wurden, ist noch kein einziger Diabetesfall verhindert«, legte die DDG-Präsidentin den Finger in die Wunde. Die Medizinerin betonte, wie wichtig es ist, endlich in die konkrete Umsetzung der Pläne zu kommen.
Zwei Aspekte sind aus Sicht der DDG besonders wichtig dabei: Einer davon betrifft die Verbesserung der Versorgung Betroffener. Kellerer sprach von der Sicherstellung einer patientenzentrierten, leitliniengerechten, flächendeckenden und zukunftsorientierten Versorgung. In Anbetracht der sinkenden Zahl der Bettenkapazität im Bereich Endokrinologie und Diabetologie im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen fordert die DDG eine Stärkung der Diabetologie in Kliniken und Universitäten. »An allen medizinischen Fakultäten muss es Lehrstühle für Diabetologie/Endokrinologie geben«, so Kellerer. Zudem müsse das Fach in den Curricula der Medizinstudierenden besser abgedeckt werden.
Der zweite Aspekt betrifft das Thema Prävention. Aus der Nationalen Diabetesstrategie abzuleitende Maßnahmen sind laut Kellerer unter anderem die Umsetzung der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den Zuckeranteil in verarbeiteten Lebensmitteln deutlich zu senken, stark zuckerhaltige Getränke stärker zu besteuern und ungesunde, auf Kinder zugeschnittene Produkte mit einem Werbeverbot zu belegen.
Wie wichtig das ist, machte DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer bei einer Pressekonferenz anlässlich des Diabetes-Kongresses deutlich. »Kinder sind täglich einer Vielzahl von Werbeeinflüssen ausgesetzt«, sagte Bitzer. So sieht jedes mediennutzende Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag durchschnittlich mehr als 15 Werbungen für ungesunde Lebensmittel, nannte die Apothekerin ein Ergebnis einer Studie. Nicht nur im Fernsehen würden dabei Versuchungen geschürt, auch der Einfluss von sozialen Netzwerken und Onlineplattformen sei groß und wachse zunehmend. Als Beispiel nannte Bitzer sogenannte »Unboxing-Videos«, in denen ungesunde Lebensmittel von Influencern vor der Kamera ausgepackt, getestet und empfohlen werden. »Studien belegen eindeutig, dass Werbung Kinder dazu animiert, deutlich mehr Kalorien zu sich zu nehmen als notwendig.« Bereits heute sei jedes siebte Kind zu dick. Bitzers Schluss: »Ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel ist längst überfällig.« Auf das Einsehen der Lebensmittelindustrie und eine freiwillige Selbstverpflichtung dürfe man nicht zählen. Mit einem gesetzlichen und bundeseinheitlichen Werbeverbot für ungesunde Produkte könne man jedoch einen wichtigen Meilenstein setzen.
Bitzer räumte ein, dass ein Werbeverbot allein nicht ausreichen wird, um Adipositas und Typ-2-Diabetes in den Griff zu bekommen. Die Politik sei in der Pflicht, ein Umfeld zu schaffen, das es Kindern leichter macht, sich gesund zu ernähren und mehr zu bewegen. Dazu brauche es ein Bündel an Maßnahmen, wie sie unter anderem auch die WHO seit Langem empfiehlt und deren Wirkung wissenschaftlich belegt sind. Dazu zählt ein verpflichtender Nutri-Score, eine nach Nährwerten gestaffelte Mehrwertsteuer, die Pflicht einer mindestens einstündigen Bewegung am Tag in Schule und Kita und eine verbindliche Umsetzung der Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für die Kita- und Schulverpflegung.