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Diagnose

Deutschland hat Burn-out – und nun?

Deutschland ist müde – Land und Gesellschaft fühlen sich ausgelaugt. Der Arzt und Autor Dr. Thomas Bergner diagnostiziert der Nation ein Burn-out. Im PZ-Interview spricht er auch über Auswege aus der Krise. 
Jennifer Evans
07.04.2025  07:00 Uhr

PZ: Wie lange hat Deutschland schon ein Burn-out?

Bergner: Es hat schon mit der Gründung der Bundesrepublik angefangen. Denkt man an die Phasen eines Burn-outs, beginnt die erste Phase mit Hyperaktivität. Das war das Wirtschaftswunder der 1950er- und 60er-Jahre. Die zweite Phase ist die des Rückzugs und der Isolation. Die stärkere Fokussierung auf eigene Probleme beginnt. Dies war letztlich Anfang der 1970er-Jahre im Rahmen der Ölkrise so und dann – forciert – durch die Wiedervereinigung 1989. Somit ist das System Deutschland in einer fortgeschrittenen, zweiten Phase.

PZ: Was macht Deutschland anfällig für ein Burn-out?

Bergner: Die genetischen Anlagen. Bei den Eltern des Systems gibt es tatsächlich keine guten Vorfahren. Man denke an die Weimarer Zeit oder den Nationalsozialismus. Letztlich ist aber die gesamte Zeit zwischen 1914 bis 1949 prägend für unser heutiges Deutschland. Dazu gehört auch die Demütigung im Ersten Weltkrieg und die Massenvernichtung. In den 1920er-Jahren kam dann die Wirtschaftskrise. Hinzu kommt die Teilung des Landes in Bundesrepublik und DDR. Dieser Prozess war massiv von außen gesteuert. Auch die spätere Gründung des vereinten Deutschlands war von den Siegermächten diktiert. Das soll keine Kritik am Ablauf sein, sondern nur zeigen, dass diese Vorkommnisse zu der heutigen Stimmung beigetragen haben, die nicht unbedingt von Stärke und Selbstsicherheit gekennzeichnet ist.

PZ: Wieso kommt die Diagnose so spät?

Bergner: Vielleicht, weil ein Therapeut in der Regel genauso in seiner Welt verharrt wie ein Historiker. Mit meinem Buch will ich die Grenzen auflösen. Denn die Effekte des Burn-outs spüren wir auf die ein oder andere Art ja alle. Normal ist natürlich, dass uns Dinge erst dann bewusst werden, wenn sie jemand ausspricht.

PZ: Gibt es Gruppen, die besonders vom (deutschen) Burn-out betroffen sind?

Bergner: Mit Blick auf die menschliche Ebene sind verschiedene Generationen sicher stärker betroffen als andere. Auf systemischer Ebene trifft es oft Berufe, die mit Dyaden zu tun haben, also mit Zweierbeziehungen. Zumindest lässt sich sagen, dass die deutschen Politiker wohl an Burn-out leiden. Denn sie machen immer dasselbe, ohne dass dabei andere Ergebnisse herauskommen. Mit Geld wird versucht, Probleme zuzuschütten, statt sie zu lösen. Dasselbe, was Frau Merkel 16 Jahre lang zelebriert hat. Eine Änderung am System findet nicht statt.

PZ: Was macht das deutsche Burn-out so schwer zu heilen?

Bergner: Die verfestigten Strukturen, von denen natürlich auch viele profitieren, wenn man an die Wahlergebnisse denkt. Zum einen gibt es da die bewahrende Macht. Und zum anderen hemmt die fehlende Erkenntnis um die Erkrankung ihre Heilung. Ein weiteres Problem: Einige Menschen oder Gruppen nehmen gerne eine Opferrolle ein, um daraus Vorteile zu schöpfen. Aufseiten der Politik wäre dies die klassische Argumentation von populistischen Parteien, die diese Unzufriedenheit nutzen, um hohe Wahlergebnisse zu erzielen. Das gilt nicht nur hierzulande, sondern auch für die USA. Die Opferposition bringt sie dazu, vom Staat etwas zu verlangen. Die beste Heilung für psychische Probleme ist jedoch das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Das erfährt aber niemand, der sich als Opfer fühlt.

PZ: Hat die Corona-Pandemie die Situation verschärft?

Bergner: Davon gehe ich aus. Grundsätzlich gibt es zwei Formen von Krisen. Die eine, für die Menschen nichts können, wie ein Vulkanausbruch. Damit umzugehen, fällt uns in der Regel leichter, weil sich die Schuldfrage nicht stellt. Die meisten Krisen, die wir jedoch heute erleben, sind menschengemacht. Und dieser zweite Krisen-Typ basiert auf Lügen oder Wahrheitsillusionen. Generell hat eine Krise den Sinn, der Wahrheit zur Wirkung zu verhelfen.

Bei Corona war es so, dass die Politiker fälschlicherweise taten, als hätten sie alles im Griff. Dabei wäre es viel ehrlicher gewesen, zu sagen: Wir versuchen alles Mögliche, werden aber Fehler machen. So hätten sie das Vertrauen der Menschen gegenüber der Politik nicht so stark auf die Probe gestellt – und am Ende nicht so verspielt. Nur Jens Spahn hat das intelligenterweise einmal gesagt, dass wir Fehler machen werden. Auf jeden Fall muss die Aufarbeitung der Situation stattfinden, alles andere wäre fatal.

PZ: Deutschland hat also ein Vertrauensproblem …

Bergner: Als System fehlt Deutschland das Vertrauen, weil beide Elternteile – sowohl die Weimarer Republik als auch die Nazizeit – versagt haben. Auch die Scham wurde nicht ausgesprochen, sondern durch die Schuldfrage an den Gräueltaten der Nazis ersetzt. Mit der Folge, dass die Scham auf die Nationalität projiziert wurde. Das ging mir selbst viele Jahre lang so, dass ich mich schämte, Deutscher zu sein. Dabei hätte die Scham eigentlich über die Taten der Nazis sein müssen.

PZ: Gibt es andere Nationalitäten, die ähnlich ausgebrannt sind?

Bergner: Unsere Position ist schon einmalig. Kein anderes Land hat so viele Morde an einer Art von Fließband zu verantworten. Aber auch in den USA scheint mir in Bezug auf die Sklaverei vieles nicht aufgearbeitet zu sein. Und das, was wir heute erleben, ist letztlich der Versuch der Südstaaten, ihre Macht zurückzugewinnen. Aber da begebe ich mich selbst auf ein unsicheres Terrain.

PZ: Was muss Deutschland tun, um aus dem Erschöpfungstief zu kommen?

Bergner: Das Entscheidende sind zwei Faktoren, die sehr eng miteinander verzahnt sind. Der Staat hat sich im Laufe der Zeit in so vieles eingemischt, das er mit seiner Kontrolle kaum mehr bewältigen kann, ein Eigentor. Im Burn-out landet man ja nicht als Opfer, sondern weil man sich falsch verhält, sprich: die Belastungssituation nicht korrekt einschätzt und keine Anpassungen vornimmt. Dadurch, dass der Staat sich in immer detaillierteren Vorschriften verrennt, versucht er seine Macht stetig auszuweiten. Vor den Bürgerinnen und Bürgern hat er Angst und versucht, sie über Geldleistungen einzufangen. Das funktioniert nur so lange, wie Geld da ist. Jetzt ist keins mehr da und weitere Milliarden Schulden müssen her, um das Prinzip nicht aufgeben zu müssen. Stattdessen sollte er sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Das sind relativ wenige: innere und äußere Sicherheit, Bildung, Gesundheitswesen und Gesetze. Dafür müsste er aber Macht aufgeben.

Auf der anderen Seite steht die Bevölkerung, die bereit sein muss, aktiv zu werden und eigene Verantwortungen zu übernehmen. Das heißt, sich mehr ins politische Geschäft einzumischen statt passiv im Internet zu surfen, vorm Fernseher zu sitzen oder in den Urlaub zu fahren. Sie müssen aus ihrer Opferposition raus und selbstwirksamer sein. So würde auch ihr Gefühl kleiner, vom Staat bevormundet zu werden.

PZ: Dafür braucht es aber neue Strukturen, bevor jeder vor sich hin aktiv wird, oder?

Bergner: Einiges ließe sich beispielsweise durch Stiftungen oder Versorgungswerke lösen, sodass vieles dezentralisiert wird. Auch ein Umdenken muss stattfinden, in dem die Menschen nicht mehr als erstes denken, welche Sozialleistungen sie bekommen können, sondern was sie geben können.

PZ: Was ist Ihre persönliche Burn-out-Prävention?

Bergner: Die brauche ich zum Glück nicht. Denn die beiden Grundkonstellationen, die dafür ausschlaggebend sind, treffen auf mich nicht zu. Das ist zum einen das Gefühl, in einer unerträglichen Situation festzustecken, aus der man nicht rauskommt. Und zum anderen eine sehr hohe Belastung bei zugleich geringer Selbstwirksamkeit.

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