Der vergessene Nobelpreisträger |
Theo Dingermann |
10.12.2019 08:00 Uhr |
In den 1936 brachte Bayer mit Prontosil das erste Sulfonamid auf den Markt. Für die Entdeckung der antibakteriellen Eigenschaften dieser Stoffgruppe wurde ein deutscher Arzt mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. / Foto: Science Museum, London
Diejenigen, die diese Frage mit »Alexander Fleming« beantwortet hätten, liegen falsch. Der schottische Mediziner und Bakteriologe, der als Entdecker des Penicillins vor 91 Jahren hoffentlich jedem bekannt ist, wurde erst 1945 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Sechs Jahre zuvor, im Jahre 1939, war der Nobelpreis dem heute weit weniger bekannten deutschen Pathologen und Bakteriologen Gerhard Domagk zuerkannt worden. Domagk erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung der antibakteriellen Wirkung des Farbstoffs Prontosil, dem ersten Arzneistoff aus der Gruppe der Sulfonamide. Diese Substanzgruppe rettete Millionen Menschen das Leben. Umso bedauerlicher ist es, dass Domagk selbst heute weitgehend vergessen ist, wohl auch deshalb, weil es nach dem Krieg gegen alles Deutsche große Vorbehalte gab. So wurden auch Domagks Leistungen in der Öffentlichkeit heruntergespielt. Daher erscheint eine kleine Gedächtnisauffrischung zum 80. Jubiläum seiner Ehrung mit dem Nobelpreis angemessen.
Gerhard Domagk (1895-1964) / Foto: Nobel Foundation Archive
Domagk hatte im Dezember 1931 das von dem Chemiker Josef Klarer eben erst synthetisierte Sulfonamid mit der Nummer KL-730 Mäusen appliziert, die mit Streptokokken infiziert waren. Während die Mäuse aus der Kontrollgruppe alle verstarben, überlebten die Mäuse, die KL-730 erhalten hatten.
Als ein in Wasser unlösliches Molekül eignete sich damals KL-730 zunächst nicht, um als Wirkstoff am Menschen getestet zu werden. Dieses Problem löste der Chemiker Fritz Mietzsch, indem er das wasserlösliche Natriumsalz von KL-730 herstellte: Sulfamidochrysoidin. Jetzt war die tiefrote Substanz, die damals Prontosil genannt wurde, injizierbar. Heute gelten die Chemiker Klarer und Mietzsch als die Erfinder der Sulfonamide. Der Mediziner Domagk ist hingegen der Entdecker ihrer Heilwirkung.
»Am 26. Oktober 1939 wurde ich um Mitternacht wegen eines dringenden Telegramms aus dem Bett geschellt«, erinnerte sich Domagk. Auf diesem Wege erreichte ihn die erste offizielle Nachricht über die Ehrung aus dem schwedischen Karolinska-Institut. »Weder in der Presse noch im Funk gab es eine Information über die Nobelpreisverleihung«, so Domagk. Hitler hatte 1937 angeordnet: »Kein Nobelpreis für Reichsdeutsche«. Das war seine Reaktion auf die Auszeichnung des damaligen KZ-Häftlings, Pazifisten und »Weltbühne«-Herausgebers Carl von Ossietzky mit dem Friedensnobelpreis im Jahre 1936.
»Am 17. November 1939 wurde ich von der deutschen Geheimpolizei verhaftet. Zwei Polizeioffiziere drangen in meine Wohnung ein, identifizierten sich und stellten mich ohne Angabe von Gründen unter Arrest«, berichtete Domagk. Man zwang ihn, ein vorgefertigtes Schreiben zu unterzeichnen, mit dem er den Nobelpreis ablehnte. Ebenso erging es im übrigen auch Adolf Butenandt, der im gleichen Jahr den Chemie-Nobelpreis für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Steroidhormone erhielt.
Erst 1947 konnte Gerhard Domagk den Nobelpreis für Medizin aus den Händen des schwedischen Königs entgegennehmen, allerdings ohne die dazugehörige Geldsumme, die nicht innerhalb eines Jahres entgegengenommen worden war, wie in den Stiftungsbestimmungen vorgesehen.