Der Heilberufeprotest in Schwerin |
| Alexander Müller |
| 08.11.2023 16:40 Uhr |
Bei der Kundgebung in Schwerin machten heute Apothekenteams, Ärzte und Zahnärzte gemeinsam ihrem Unmut Luft. / Foto: PZ/Müller
Offiziell startete die Protestveranstaltung um 14 Uhr im Alten Garten in Schwerin, in Sichtweite der Staatskanzlei. Sylvia Schnitzer, Vorsitzende der Fachärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern, kündigte das Ziel der Veranstaltung einleitend an: Dass die Probleme der Heilberufe gehört und mit in den Landtag genommen werden. »Wir lieben unsere Berufe. Aber wir wollen für die neue Generation eine Zukunft haben, und zwar eine verlässliche Zukunft.«
Als Nächstes sprach Angelika von Schütz, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern (KVMV), zu den Demonstrierenden. »Unser Problem ist, dass wir zu leise waren. Man hat uns nicht gehört.« Zumindest das war heute in Schwerin nicht das Problem: Mit Trillerpfeifen, Warnwesten und Transparenten waren die Heilberufler nicht zu übersehen oder zu überhören. Von Schütz kündigte weitere Veranstaltungen wie diese an.
Den Ärztinnen und Ärzten brennen vier Themen besonders unter den Nägeln: Zuvorderst der Bürokratieabbau, denn die Praxen verbringen jährlich 60 Arbeitstage mit Papierkram. Die Digitalisierung müsse aus Sicht der KVMV die Versorgung verbessern und die Arbeit in den Praxen erleichtern. Außerdem wünschen sich die Mediziner mehr Mitsprache und eine Abschaffung der Sanktionen und Regresse.
Jens Palluch, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern (KZVMV), richtete seine Kritik direkt an Bundesgesudheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der habe in der ambulanten Versorgung einen Scherbenhaufen hinterlassen. »In den ambulanten Berufen arbeitet die Mehrheit am Anschlag.« Viele ältere Kollegen überlegten, früher auszusteigen. Aber das würde die Situation in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern noch verschärfen. Die Zahnärzte wünschen sich vor allem eine Förderung der Niederlassung und eine Landzahnarztquote.
Axel Pudimat, Vorsitzender des Apothekerverbands Mecklenburg-Vorpommern (AVMV), sprach als dritter der Heilberufsgruppen. Er verwies auf das weiter bestehende Problem der Lieferengpässe und der 50-Cent-Pauschale zur Bewältigung der Krise: »Das ist keine Vergütung, das ist eine Ohrfeige.«
In diesem Jahr würden voraussichtlich 600 Apotheken schließen. »Es lohnt sich für junge Apotheker oft nicht mehr, eine Apotheke zu übernehmen, weil das Honorar seit zehn Jahren nicht angepasst wurde und die aktuelle Regierung es sogar gekürzt hat.« Lauterbach schlage als Lösung jetzt Filialen ohne Labor, Rezeptur, Notdienst und sogar ohne Approbierte vor. Das Ergebnis wären »verstümmelte Scheinapotheken«, so Pudimat.
Als letztes kritisierte der Verbandschef die »kranke Kassenbürokratie, die überall die heilberufliche Motivation vernichtet«. Hier sieht er die Politik gefragt, die die Aufsicht über die Körperschaften habe. »Die Politik müsste die Verantwortung übernehmen, aber Karl Lauterbach macht es noch schlimmer«, so Pudimat.
Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) wollte sich aber nicht auf eine Diskussion über Sündenböcke einlassen. »Ich kann verstehen, dass Sie alle genervt sind von der Bürokratie«, sagte sie zu den Demonstrierenden. Aber die Politik könne nur die Rahmenbedingungen schaffen, dann sei die Selbstverwaltung gefragt. »Die Verhandlungen mit den Krankenkassen kann ich Ihnen nicht abnehmen, aber ich kann gerne versuchen, Sie alle an einen Tisch zu holen, wie wir es bei der Pflege gemacht haben«, so Drese.
Katy Hoffmeister (CDU) monierte, dass sich die gesundheitspolitische Diskussion derzeit fast nur um die Krankenhäuser drehe. Die Klinikversorgung sei auch wichtig, aber jeder Patient und jede Patientin lande zunächst in der ambulanten Versorgung und werden nach dem Klinikaufenthalt auch wieder von dieser übernommen. »Es sind Ihre Patienten«, so Hoffmeister. Sie kündigte Unterstützung aus dem Land an: »Es gibt einen in Berlin, der zuständig ist. Aber es gibt auch Themen, die wir hier im Land angehen können«, so Hoffmeister mit Verweis auf die Landarztquote, die auf Zahnärzte und Apotheken ausgeweitet werden soll.
Zehn Busse hatte der AVMV organisiert, damit die Apotheken- und Praxisteams aus Greifswald, Stralsund, Rostock und Neustrelitz nach Schwerin kommen konnten. Die Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern hatte ihre Kammerversammlung unterbrochen, damit die Delegierten an der Demonstration teilnehmen konnten.
Parallel fand heute die Demonstration der Region Nord in Hannover statt. Die Apothekerverbände Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern hatten zum gemeinsamen Protest aufgerufen. Hier hatten sich ab 12 Uhr rund 3000 Demonstrierende aus den Apotheken versammelt.