Der Darm wächst mit |
Carolin Lang |
11.12.2024 11:00 Uhr |
Während Schwangerschaft und Stillzeit kommt es zu einer annähernden Verdoppelung der Darmoberfläche und einer auffälligen strukturellen Umgestaltung, legt eine aktuelle Studie nahe. / © Getty Images/JGI
Um die Gesundheit von Mutter und Kind sicherzustellen, finden in Schwangerschaft und Stillzeit zahlreiche körperliche Anpassungen statt. Dies betrifft etwa die Brust, das Immunsystem oder aber den Darm – und diesen offenbar massiv, wie ein internationales Forschungsteam um Masahiro Onji von der Medizinischen Universität Wien aktuell im Fachjournal »Nature« berichtet.
Bei Untersuchungen an gentechnisch veränderten Mäusen sowie Darmorganoiden von Mäusen und Menschen beobachtete es, dass sich die Darmzotten in Schwangerschaft und Stillzeit reorganisieren und deutlich vergrößern. Die erweiterten Zotten wiesen eine neuartige, blattartige Geometrie auf, bei der die flachen Zottenoberflächen dem Fluss des Darminhalts zugewandt seien, heißt es in einer Mitteilung der Universität. Diese morphologische Ausrichtung erleichtere die Nährstoffaufnahme, so die Vermutung.
Den Mechanismus dahinter liefert die Arbeitsgruppe gleich mit. Demnach spielt das RANK-Rezeptor/RANK-Ligand-System (RANK/RANKL) eine tragende Rolle. RANK steht für Receptor Activator of NF-κB. Apothekerinnen und Apothekern mag das Transmembranprotein von der Osteoporose-Therapie ein Begriff sein. Doch offenbar gehen die Funktionen über den Knochenstoffwechsel hinaus.
Wie Onji und Co. berichten, werde die massive, reversible Expansion des Darms durch Sexual- und Schwangerschaftshormone gesteuert, die die Stammzellen im Darm über das RANK/RANKL-System verändern und dann der Darmzelle ein Wachstumssignal geben. Dies führe zu einer annähernden Verdoppelung der Darmoberfläche, einer Vergrößerung der molekularen Struktur für die Aufnahme von Zucker, Eiweiß und Fett und zu einer tiefgreifenden architektonischen Veränderung der Darmzotten. Dadurch werde wahrscheinlich der Nahrungsfluss verlangsamt, was wiederum die Aufnahme von Nährstoffen maximiere.
Bei Mäusen, denen dieses System im Darm fehlt, sei die Zottenvergrößerung während der Schwangerschaft und Stillzeit erheblich beeinträchtigt. Als transgenerationale Konsequenz zeigten Babys von solchen Mäusen ein geringeres Gewicht und entwickelten nach metabolischem Stress eine Glucoseintoleranz.
»Mütter müssen für sich und ihre Babys essen. Unsere neuen Erkenntnisse liefern erstmals eine molekulare und strukturelle Erklärung dafür, wie und warum sich der Darm verändert, um sich an den erhöhten Nährstoffbedarf von Müttern anzupassen – was wahrscheinlich bei allen schwangeren und stillenden Säugetieren der Fall ist«, erläutert Studienleiter Professor Dr. Josef Penninger.
»Indem wir das RANK/RANKL-System als Motor der Anpassung des Darms während der Schwangerschaft und Stillzeit identifiziert haben, trägt unsere Studie zu einem tieferen Verständnis biologischer Prozesse bei, die für die Evolution von grundlegender Bedeutung sind«, resümiert er und ergänzt mit Blick auf künftige Studien: »Vielleicht können wir von schwangeren und stillenden Müttern sogar lernen, wie man das RANK/RANKL-System nutzen kann, um ein besseres Verständnis von Darmkrebs und neue Therapien für die Darmregeneration zu entwickeln.«