Depressionen durchs Ohr therapieren |
Carolin Lang |
14.05.2024 12:35 Uhr |
Ein Forschungsteam der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln sowie der Medizinischen Fakultät Köln hat ertmals eine Jugendliche mit Depressionen mit einer Vagusnervstimulation durch das Ohr therapiert. / Foto: Adobe Stock/New Africa
Die sogenannte Vagusnervstimulation (VNS) ist ein invasives Verfahren, das bei schwer behandelbaren Depressionen als Behandlungsalternative für Erwachsene infrage kommt. Dabei stimuliert ein implantierter Impulsgenerator über Elektroden kontinuierlich den linken Vagusnerv im Halsbereich. Der Stimulator wird zunächst in einer kurzen Operation unter dem linken Schlüsselbein platziert, im Anschluss werden die Stimulationsparameter über Wochen ambulant eingestellt. Nur spezialisierte Zentren bieten diese Behandlungsmethode hierzulande an. Mögliche Nebenwirkungen sind etwa Veränderungen der Stimme, Husten, Dyspnoe oder Nackenschmerzen.
Eine Anwendung bei minderjährigen Patienten mit Depressionen werde aufgrund der Invasivität, potenzieller Komplikationen und Nebenwirkungen als nicht vertretbar angesehen, erklärt das Forschungsteam aus Köln in der aktuellen Publikation. Dabei spräche ein Großteil der Kinder und Jugendlichen mit Depressionen nicht hinreichend auf verfügbare Therapien an. Durch technologische Entwicklungen sei die elektrische Stimulation des Vagusnervs inzwischen jedoch auch nicht invasiv möglich.
Bei der sogenannten transkutanen aurikularen Vagusnervstimulation (taVNS) wird eine Elektrode ähnlich wie bei einem Hörgerät ohne operativen Eingriff am Ohr platziert. Sie erzeugt einen schwachen Stromfluss, um einen Ast des Vagusnervs zu stimulieren. Eine Modulation neuronaler Schaltkreise sowie antiinflammatorische Effekte werden als potenzielle Wirkmechanismen diskutiert.
Bei Erwachsenen sei die Methode bereits erprobt – die Nationale Versorgungsleitlinie »Unipolare Depression« stuft sie derzeit (Stand September 2022) aber noch als experimentell ein. Das Verfahren könnte aber möglicherweise auch für pädiatrische Patienten eine sichere Behandlungsalternative darstellen, schreiben die Wissenschaftler. Mit ihrem Fallbericht zeigen sie, dass die taVNS über einen längeren Behandlungszeitraum bei Jugendlichen grundsätzlich machbar ist.
Eine 17-jährige Patientin mit schwerer depressiver Symptomatik wurde dabei über einen Zeitraum von 7,5 Monaten mit taVNS therapiert. Im Laufe ihrer langjährigen Krankheitsgeschichte hatte sie auf verschiedene psychotherapeutische und medikamentöse Therapiemaßnahmen nicht zufriedenstellend angesprochen. Neben Empfehlungen zu Ernährung und körperlicher Aktivität erhielt sie schließlich eine transkutane aurikulare Vagusnervstimulation sowie 15 mg Escitalopram täglich. Die Behandlung fand im häuslichen Umfeld statt, begleitet durch regelmäßigen persönlichen oder telefonischen Kontakt zu professionellem Personal.
Im Rahmen der für sie gut verträglichen Behandlung habe die Patientin erstmals von einer klinisch bedeutsamen Verbesserung ihrer depressiven Symptomatik berichtet, heißt es in einer Mitteilung der Uniklinik Köln. »Unser Fallbericht zeigt die grundsätzliche Machbarkeit der Behandlung auch bei Kindern und Jugendlichen mit schwer behandelbaren Depressionen«, kommentiert Professor Dr. Julian Koenig von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik. »Allerdings sind nun größer angelegte klinische Studien notwendig, um die Effekte der Behandlung und ihre Nachhaltigkeit zuverlässig zu beurteilen.«
Die Forschenden entwickelten aktuell neue Geräte, die spezifisch auf die Stimulation des Vagusnervs von Kindern und Jugendlichen abgestimmt seien. Mittelfristig sollen demnach durch multizentrische, randomisiert-kontrollierte Studien belastbare Nachweise zur klinischen Wirksamkeit erbracht werden.