Den Seelenschmerz zügig behandeln |
Für den Einsatz von Psychopharmaka in der Stillzeit gilt, dass das Kind auf jeden Fall auf mögliche Nebenwirkungen hin beobachtet werden sollte. Aktuelle Informationen und Einschätzungen finden Apotheker und Ärzte auf Embryotox.
Arzneistoffe können über zwei Mechanismen in die Muttermilch gelangen:
Besonders rasch treten Arzneistoffe mit folgenden Charakteristika in die Muttermilch über: geringe Molekularmasse (kleiner 200 Da), gute Fettlöslichkeit (lipophile Wirkstoffe), nicht-ionisierte (ungeladene) Wirkstoffe, alkalische Stoffe und solche, die nur zu einem geringen Anteil proteingebunden vorliegen. Eine Kumulationsgefahr und damit Toxizität für das Neugeborene ergeben sich für
Welcher Arzneistoffmenge das Kind ausgesetzt ist, hängt von der Zusammensetzung der Muttermilch (pH-Wert, Fettgehalt), dem Stillintervall und der Trinkmenge sowie aufseiten des Säuglings von der Resorption des Arzneistoffs im kindlichen Darm, der Verteilung des Arzneimittels im Körper, der Reife des kindlichen Verdauungsapparates und dem Metabolismus sowie der Reife der kindlichen Nieren für die Elimination ab (Kasten und Tabelle). Das Risiko für unerwünschte Wirkungen ist bei Frühgeborenen daher deutlich größer und Stillen wird eher nicht empfohlen, wenn die Mutter Psychopharmaka einnimmt.
Foto: PZ
Wichtige Kenngrößen zur Abschätzung der kindlichen Exposition in der Stillzeit sind:
MM: Muttermilch; Dosis, die das Kind über die Muttermilch aufnimmt.
Eingenommene Tagesdosis: Dosis, die die Mutter einnimmt, zum Beispiel 20 mg Citalopram
Für die M/P-Ratio gilt:
M/P < 1: keine Anreicherung in der Muttermilch
M/P ≥ 1: Vorsicht! Es kommt zur Anreicherung.
Für die relative Dosis gilt: Unter 3 Prozent einer therapeutischen mütterlichen Dosis ist das Risiko für toxische Wirkungen beim Kind gering. Cave: bei aktiven Metaboliten und Unreife des kindlichen Organismus.
Der Milch/Plasma-Quotient (M/P-Quotient) entspricht dem Verhältnis der Konzentration Medikament in der Milch zur Konzentration Medikament im mütterlichen Plasma. Er liefert Informationen darüber, wie sich der Arzneistoff in der Muttermilch gegenüber dem mütterlichen Plasma anreichert oder verdünnt.
Wirkstoff (alphabetisch) | Halbwertszeit (in Stunden, wenn nicht anders angegeben) | Relative Dosis (RID in Prozent) | M/P-Quotient |
---|---|---|---|
Amitriptylin | 10 bis 28, aktiver Metabolit Nortriptylin 30 | 1 bis 2,5 | 1 bis 3,7 |
Bupropion | 9 bis 25, aktive Metaboliten bis 37 | 0,14 bis 10,6 | 0,72 bis 8,58, für die aktiven Metaboliten 0,09 bis 1,57 |
Citalopram | 36 | 3 bis 5 | 1,16 bis 3,0 |
Clomipramin | 16 bis 60, aktiver Metabolit 36 | 1,8 bis 4,3 | 0,4 bis 1,6 |
Doxepin | 15 bis 20, aktive Metaboliten 80 | 0,3 bis 2,5 | 1,2 |
Duloxetin | 8 bis 17 | < 1 | 0,27 bis 1,3 |
Escitalopram | 30 | 5,2 | 2,2 |
Fluoxetin | 1,7 Tage, Metabolit bis 19 Tage | 6,5 | 0,25 |
Fluvoxamin | 17 bis 22 | 0,5 bis 1,6 | 0,3 |
Mirtazapin | 20 bis 40 | 1,5 | 0,76 |
Nortriptylin | 27 | 1 bis 3 | < 1 bis 3,7 |
Opipramol | 11 | 0,3 | 0,1 |
Paroxetin | 24 | 0,5 bis 2 | 0,2 |
Sertralin | 26 | 2 | 0,89 |
Trimipramin | 24 | ? | ? |
Venlafaxin (und aktive Metaboliten) | 5, aktive Metaboliten 11 | 3,2 bis 13,3 | 1,8 bis 4,5 |
Zur Risikobeurteilung eines Medikaments ist allerdings die relative Dosis besser geeignet. Diese ist der Anteil an der gewichtsbezogenen Tagesdosis der Mutter, den ein vollgestillter Säugling pro Kilogramm Körpergewicht in 24 Stunden mit der Milch erhält (Formel siehe Kasten).
Wenn Arzneistoffe in relevanter Menge in die Muttermilch übergehen, ist Abpumpen und Verwerfen keine gute Strategie zur »Dekontamination«. / Foto: Adobe Stock/Martina
Zur weiteren Risikoabschätzung ist zudem die Halbwertszeit wichtig: Dies ist die Zeitspanne, in der die Konzentration eines Arzneistoffs im Organismus beziehungsweise Blut auf die Hälfte absinkt. Eine komplette »Dekontamination« der Milch durch Abpumpen und Verwerfen ist nicht möglich. Da das Anfluten in der Milch nicht gut abschätzbar ist, hat auch der Einnahme-Still-Abstand keinen Effekt auf die Arzneimittelexposition des Kindes.
Instrumente zur Risikoabschätzung sind also die Anreicherung in der Milch (M/P-Quotient) und die Exposition des Kindes (relative Dosis) (Kasten). Diese beiden Größen ergeben Informationen über die erwartete Konzentration im kindlichen Organismus.
Dazu ein Beispiel: Bei gegebener Trinkmenge eines Säuglings (150 ml/kg Körpergewicht) wird insgesamt wenig Gesamtmenge eines Arzneistoffs über die Muttermilch aufgenommen. Wenn die Konzentration eines Arzneistoffs 10 ng/ml in der Muttermilch beträgt und ein zehn Wochen alter Säugling (5 kg) im Mittel 750 ml trinkt, so liegt die AID bei 0,0075 mg.
Es gibt derzeit keine validen Informationen über den Abbau von Arzneistoffen im kindlichen Organismus. Relevant für den Metabolismus bei der Mutter ist die Halbwertszeit. Ein therapeutisches Drug Monitoring beim Kind ist geeignet, um die Konzentration des Arzneistoffs im Plasma des Kindes zu bestimmen.
Literatur bei den Verfasserinnen
Martina Hahn studierte Pharmazie in Marburg und erhielt 2007 den Doctor of Pharmacy. 2011 promovierte sie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und habilitierte sich 2020 an der Philipps-Universität Marburg. Lehraufträge an der Philipps-Universität Marburg, der Goethe-Universität Frankfurt für Klinische Pharmazie der University of Florida. Martina Hahn ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und arbeitet derzeit in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt. Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin. Sie ist Dozentin und Supervisorin an mehreren Ausbildungsinstituten und Universitäten und Professorin am College of Pharmacy der Universität Florida. Sibylle C. Roll leitet aktuell die neurologisch-psychiatrisch-psychotherapeutische Abteilung des Facharztzentrums Frankfurt-Westend.