Den Apotheken geht die Puste aus |
Daniela Hüttemann |
12.06.2023 18:00 Uhr |
Den rund 100 Teilnehmenden der Protestaktion war wichtig, die Bevölkerung hinter sich zu wissen. Dafür informierten sie Passanten auch in 1:1-Gesprächen. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Am Kröpcke, kein fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, kreuzen sich Hannovers zwei größten Fußgängerzonen. Am Montagnachmittag bleiben viele Passanten stehen, denn eine Brassband spielt auf, Dutzende Menschen in weißen Kitteln verteilen Flyer und informieren über Mikrofon, worum es geht: Lieferengpässe, überbordende Bürokratie, Fachkräftemangel, Nullretax und eine faire Vergütung, um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung weiterhin flächendeckend gewährleisten zu können.
Während die Teams der direkt um die Ecke liegenden Löwen- und Europa-Apotheken übergroße Todesanzeigen für die Apotheke und schwarze Trauerbinden tragen, haben die Teams der Bären-Apotheke Lachendorf, der Apotheke Heiliger Hain in Warenholz sowie der Zentrum-Apotheke und Apotheke im Ärztezentrum in Wesendorf ihre Kittel kreativ bemalt. Das fällt auf – einige Passanten bleiben nicht nur wegen der Musik stehen, sondern wollen wissen, worum es geht, und auch die Presse ist vor Ort.
»Viele Apotheken sind in ihrer Existenz bedroht, die flächendeckende Versorgung ist gefährdet«, konstatierte Kammerpräsidentin Cathrin Burs per Mikrofon. Allein in Niedersachsen mussten demnach seit dem Jahr 2009 bislang 368 Apotheken schließen und weitere würden folgen.
Die Teams der direkt anliegenden Löwen- und Europa-Apotheke aus Hannover trugen Trauer um die Apotheke vor Ort. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Ein konkretes Beispiel: »Unsere Apotheke in Warenholz muss leider Mitte August schließen – als letzte Apotheke im Ort«, bedauert Apothekerin Julia Dorner, angestellt in der Bären-Apotheke Lachendorf. »Die Patienten sehen und verstehen unsere Probleme. Alle wollen doch eine Apotheke im Ort haben.« Das bestätigen drei junge Männer, die gerade zufällig vorbeigehen und sich informieren lassen.
Apothekerin Dorner hofft, dass die Aktion am Montag sowie der bundesweite Protesttag am Mittwoch dafür sorgen, dass sich die Bevölkerung hinter die Apotheken stellt und genug Aufmerksamkeit bringt, damit sich endlich etwas zum Positiven verändert. Die bemalten Kittel sollen Mittwoch im Schaufenster hängen.
Die auffälligen Kittel werden am Mittwoch im Schaufenster der Apotheken hängen – als Hingucker und Gesprächsaufhänger. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Blaskräftige Unterstützung lieferte eine Band. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Auch in Hannovers Fußgängerzone werben die Apotheken um Unterstützung. »Als Apothekerinnen und Apotheker suchen wir für Sie, unsere Patientinnen und Patienten, Lösungen bei Arzneimittel-Lieferengpässen, damit Ihre Therapie nicht unterbrochen wird – aber uns geht die Puste aus«, griff Cordula Maring-Nöh, Vizepräsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, das Motto der Kundgebung auf.
Die Veranstaltung war bereits seit März geplant – lange vor Bekanntgabe des bundesweiten Protesttags – und mit Bedacht gewählt. Denn parallel fand im weit entfernten Berlin die Anhörung im Gesundheitsausschuss zum sogenannten Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) statt, dass den Apotheken nach bisherigem Wortlaut laut ABDA kaum helfen wird, die Lieferengpässe flexibler managen zu können, geschweige denn den tatsächlichen Aufwand von bis zu zehn Stunden zusätzlicher Arbeit pro Woche pro Apotheke auszugleichen.
»Die Politik hat zu lange weggeschaut«, kritisiert Kammerpräsidentin Burs. »Dieses Gesetz ist sehr wichtig und lange überfällig.« Allerdings enthalte es keine praxistauglichen Maßnahmen, weder um die Ursachen der Lieferengpässe zu beseitigen, noch um die Abläufe in den Apotheken zu vereinfachen.
Kammerpräsidentin Cathrin Burs bei der Kundgebung / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
»Wir brauchen von der Politik mehr Vertrauen und Anerkennung für unsere Leistungen und Unterstützung für unseren wichtigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung«, forderte Burs unter Applaus und Trillerpfeifen. »Herr Lauterbach, sorgen Sie dafür, dass wir Apothekerinnen und Apotheker auch in Zukunft Arzneimittel unkompliziert austauschen dürfen, um überhaupt die Patienten versorgen zu können!«
Apotheken brauchten jetzt mehr Entscheidungskompetenz, ein Verbot von Null-Retaxationen aufgrund von Formfehlern, eine faire Vergütung und eine nachhaltige Gesetzgebung, »die die Qualität und Sicherheit der Arzneimittel gewährleistet, unsere Leistungen in den Apotheken angemessen honoriert und die Zukunft der Apotheken vor Ort sichert«.