Debatte um Symptome beim Absetzen von Antidepressiva |
| Annette Rößler |
| 30.07.2025 18:00 Uhr |
Über Symptome, die nach dem Absetzen von Antidepressiva auftreten können, wird in der Fachwelt heftig diskutiert. Laut Behandlungsleitlinien sollen Ärzte Patienten bereits vor dem Start einer Therapie mit Antidepressiva darauf hinweisen, dass solche Symptome auftreten können. / © Getty Images/FatCamera
Antidepressiva sind wirksame Medikamente, die jedoch aus mehreren Gründen umstritten sind. So ist ihre Wirksamkeit eigentlich nur bei mittelschweren bis schweren Depressionen tatsächlich erwiesen, eingesetzt werden sie aber oft bereits bei leichten depressiven Verstimmungen. Um einen Effekt zu erzielen, müssen sie zudem eine Weile lang eingenommen werden – was die Geduld von Behandelten und Behandlern auf die Probe stellt. Hat der Patient gegenüber der pharmakologischen Intervention eine negative Erwartungshaltung, weil er Nebenwirkungen oder eine »Fremdsteuerung« durch die Tabletten befürchtet, belastet dies das therapeutische Vertrauensverhältnis zusätzlich.
All diese Aspekte schwingen in der Diskussion um die möglichen Folgen des Absetzens von Antidepressiva mit, obwohl sie damit streng genommen eigentlich nichts zu tun haben. Das geht beim Namen schon los: Soll man von »Absetzsymptomen« sprechen oder von »Entzugssymptomen«? Während die einen den erstgenannten Begriff bevorzugen, weil er als neutral empfunden wird, halten andere dies für unpräzise, weshalb sie lieber den zweitgenannten verwenden.
Abhängig von der Substanzklasse verändern Antidepressiva verschiedene Neurotransmitter im Gehirn, vor allem Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Nach einer gewissen Anwendungsdauer passen sich die entsprechenden Systeme daran an. Werden die Wirkstoffe dann abgesetzt – entzogen –, kann es zu Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen und Reizbarkeit kommen.
Insofern müsse man ehrlicherweise von Entzugssymptomen sprechen, argumentieren Befürworter dieser Begriffswahl. Dass dies vor allem bei Laien Assoziationen zum Thema Drogensucht weckt, ficht sie nicht an. Nach längerer Anwendung eines Antidepressivums habe sich der Körper daran angepasst und sei insofern tatsächlich abhängig von der weiteren Einnahme, ohne dass ein starkes Verlangen nach dem Medikament bestehe, wie es bei einer Sucht der Fall wäre. Dass andere statt von Entzugssymptomen lieber von Absetzsymptomen sprechen, um besorgten Patienten gar nicht erst den Unterschied zwischen Abhängigkeit und Sucht erklären zu müssen, wird als verharmlosend gewertet.
Unklar ist, wie häufig es nach dem Absetzen eines Antidepressivums zu solchen Symptomen kommt. Vor einem Jahr erschien im Fachjournal »The Lancet Psychiatry« eine Metaanalyse zu dieser Fragestellung, die eine Häufigkeit von 31 Prozent betroffenen Patienten beziehungsweise placebobereinigt rund 15 Prozent errechnete. Eine Anfang Juli 2025 im Fachjournal »JAMA Psychiatry« veröffentlichte weitere Metaanalyse bestätigte diese Größenordnungen.
Die erste Arbeit erntete in der Fachwelt jedoch Kritik, die sich vor allem auf die Qualität der eingeschlossenen Studien richtete. Die meisten dieser Studien seien industriegesponsorte Wirksamkeitsstudien gewesen, in denen es nicht primär um das Absetzen von Antidepressiva gegangen sei, schrieb eine Gruppe um Professor Dr. Joanna Moncrieff vom University College London kürzlich im Fachjournal »Psychological Medicine«. Die Forschenden präsentieren in diesem Artikel eine Reanalyse der bemängelten Metaanalyse, in die sie ausschließlich fünf Studien einschlossen, die ihrem Qualitätsanspruch genügten – und kamen zu einem erheblich höheren Anteil von 55 Prozent Patienten mit Absetzsymptomen.
Wie häufig unerwünschte Symptome nach dem Absetzen von Antidepressiva tatsächlich auftreten, wie gravierend sie sind und wie man sie vermeiden könnte, bleibt also weiterhin zumindest teilweise unklar. »Die Forschungslücken sind massiv«, sagte Professor Dr. Michael Hengartner von der Kalaidos Fachhochschule in Zürich, einer der Autoren der Arbeit in »Psychological Medicine«, gegenüber dem Science Media Center (SMC).
»Damit Studien unseren Erkenntnisstand erweitern, müssten sie Entzugssymptome systematisch erfassen und eine deutlich längere Behandlungsdauer beinhalten, damit wir Entzugseffekte nach Einnahme von drei Monaten, sechs Monaten, zwölf Monaten und 24 Monaten vergleichen können. Zudem müssten zukünftige Studien verschiedene Absetzstrategien testen, vom abrupten Absetzen bis zum langsamen schrittweisen Ausschleichen«, so der Professor für klinische Psychologie.
Auch Professor Dr. Tom Bschor vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden, Sprecher der AG Psychiatrie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und einer der Autoren der kritisierten Metaanalyse aus »The Lancet Psychiatry«, kommt beim SMC zu Wort. Im Gegensatz zu Hengartner spricht er nicht von Entzugs-, sondern von Absetzsymptomen.
Diese seien bei Antidepressiva durchaus häufig, aber meistens mild ausgeprägt und in der Regel nach circa zwei Wochen wieder abgeklungen, weshalb die meisten Betroffenen damit einigermaßen zurechtkämen. Einzelne Patienten empfänden sie allerdings als so quälend, dass sie das Antidepressivum erneut einnehmen. »Es ist keine gute Situation, wenn ein Medikament nur genommen wird, um Absetzsymptome zu vermeiden«, stellt Bschor fest.
Der Psychiater, der seit einigen Jahren auch Vorträge zum Thema Absetzen von Antidepressiva hält, verweist auf ein weiteres Problem: Rebound-Depressionen, also eine neue depressive Episode nach dem Absetzen des Antidepressivums. Dieses Phänomen, das »bei einem leider nicht genau zu beziffernden Anteil von Betroffenen nach dem Absetzen einer längeren Antidepressiva-Medikation« auftrete, mache ihm »die größeren Sorgen«, denn bei einer Rebound-Depression bestehe das Risiko, dass sie besonders heftig oder besonders schwer zu behandeln sei. Er betont, dass Antidepressiva daher von vornherein nicht leichtfertig, sondern vorrangig bei schweren Depressionen eingesetzt werden sollten.