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WiFo-Auftakt

DAV-Chef fordert »Soforthilfe« gegen Apothekensterben

Heute ist in Potsdam das diesjährige Wirtschaftsforum (WiFo) des Deutschen Apothekerverbands (DAV) gestartet. Im Zentrum steht – wenig überraschend – die desolate wirtschaftliche Lage der Vor-Ort-Apotheken in Deutschland. Und der Ruf nach Soforthilfe und vernünftigen Reformen.
PZ
23.04.2024  10:30 Uhr

Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV) stellte gleich zu Beginn seiner Eröffnungsrede klar: »Eine Apothekenreform ist notwendig! Sie ist sogar überfällig!« Allerdings nicht so, wie aktuell in den vorliegenden Eckpunkten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) angedacht. Die von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) angedachten Reformpläne sind aus Sicht der Apothekerschaft zu risikobehaftet und bewirken statt der gewünschten Stärkung der flächendeckenden Versorgung eine weitere Schwächung der Apothekenlandschaft.

»Der Nutzen dieser Reform sollte für die Patientinnen und Patienten größer sein als die damit verbundenen Risiken. Und das lässt zumindest das Eckpunktepapier des Ministers bisher nicht erwarten«, so Hubmann.

Zwei Dinge seien jetzt maßgeblich: »ein Sofort-Hilfe-Paket« zur Stabilisierung der Versorgungslandschaft, um den Trend zu immer mehr Apothekenschließungen aufzuhalten. Darüber hinaus fordert der DAV-Vorsitzende »eine nachhaltige Verbesserung der Honorierung unserer Kernaufgabe – der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Menschen in unserem Land. Wir brauchen mehr Handlungsfreiheit in einigen Bereichen und deutlich weniger Bürokratie und Gängelung«.

Wachsende Bedeutung der Vor-Ort-Versorgung durch Apotheken

Hubmann betonte die fundamentale Bedeutung der Apotheken für die Gesundheitsversorgung. Diese werde künftig noch wichtiger angesichts einer massiv alternden Gesellschaft; eines sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels; angespannter Lieferketten und angesichts einer Bevölkerung, die aufgrund zahlreicher Krisen das Vertrauen in eine funktionierende Daseinsvorsorge zu verlieren drohe.

»Die Apotheke vor Ort übernimmt an jedem Tag im Jahr rund um die Uhr wohnortnah die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Zudem ist die Apotheke vor Ort der niederschwellige erste Anlaufpunkt des Vertrauens bei gesundheitlichen Fragen und anderen Anliegen der Patientinnen und Patienten.«

Aktuell sei die Apothekenlandschaft stark gefährdet; allein im Jahr 2023 mussten 500 Apotheken für immer schließen. »Dieser alarmierende Abwärtstrend setzt sich im ersten Quartal mit 142 Apotheken noch einmal verstärkt fort«, unterstrich Hubmann. Als Grund sieht der DAV-Vorsitzende vor allem die mangelnde Anpassung des Apothekenhonorars. »Die Apothekenvergütung ist in den letzten zehn Jahren nur um etwas mehr als zehn Prozent gestiegen, während die Kosten gerade im letzten Jahr geradezu explodiert sind.«

Und hier sei noch kein Ende abzusehen, neue Tarifabschlüsse stünden aus und die inflationsbedingten Mieterhöhungen nähmen gerade Fahrt auf. Der Verbraucherpreisindex sei allein seit 2020 um 20 Prozent gestiegen. Für die Apotheken hätten sich dadurch alle Leistungen, die für den Betrieb einer Apotheke essenziell sind und gesetzlichen Vorgaben unterliegen, erheblich verteuert.

Kontinuierlich wachsender wirtschaftlicher Druck

»Wie sollen wir höhere Mieten, höhere Energiekosten, höhere Zinsen, höhere Aufwendungen für externe Dienstleister und vor allem höhere Personalkosten mit einem Honorar aus dem Jahr 2013 finanzieren, das zuletzt vom Gesetzgeber sogar noch gekürzt wurde?« Verschärft werde die angespannte wirtschaftliche Situation der Apotheken durch das sogenannte Skonto-Urteil.

Anfang Februar 2024 hat der Bundesgerichtshof die Skonto-Möglichkeiten beim Einkauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel für Apotheken eingeschränkt. Demnach darf die 3,15 Prozent-Spanne bei Rabatt und Skonto beim Einkauf zwischen Apotheke und Großhandel nicht mehr überschritten werden.

Für viele Apotheken bedeute dies eine weitere erhebliche Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage«, so Hubmann. Hier forderte der DAV-Vorsitzende entweder eine zusätzliche Anpassung der Apothekenvergütung oder aber eine entsprechende gesetzliche Klarstellung, die echte Skonti erlaubt.

Derzeit sei mindestens ein Drittel der Apotheken akut existenziell gefährdet. Und dies bei gleichzeitig deutlich angestiegener Patientenzahl. Hubmann forderte Lauterbach auf, hier entgegenzusteuern, die überfälligen Reformen endlich auf den Weg zu bringen. Zwar hätte der Minister den Menschen zu Beginn seiner Amtszeit Jahrhundertreformen versprochen, doch bislang falle die Bilanz eher mager aus: »Die Krankenhausreform stockt, von der Notfallreform ist seit Längerem nichts zu hören und die Pflegereform scheint die riesigen Probleme in diesem Sektor bisher nicht ansatzweise bewältigen zu können.«

BMG in der Pflicht: Retax-Schutz bei E-Rezept-Problemen

Trotzdem behaupte Lauterbach, er habe zahlreiche Probleme gelöst, die seit mehr als zehn Jahren hätten gelöst werden müssen. Zwar sei dieses Jahr das E-Rezept eingeführt worden, doch die wesentlichen Weichenstellungen hätten Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn(CDU) und Hermann Gröhe (CDU) vorgenommen.

Kritik übte Hubmann an der der holprigen Umsetzung des E-Rezept-Starts. Da gebe es noch einige »Luft nach oben«. Mit Blick auf andauernde Probleme aufseiten der Praxisverwaltungssysteme müsse das BMG sicherstellen, dass Retaxationen ausblieben.

»Wir können und wollen nicht länger für Fehler anderer haften«, unterstrich Hubmann. Auch die Möglichkeit der Freitextverordnungen – für Hubmann eine weitere Fehlerquelle, die sowohl die Arzneimitteltherapie- als auch die Versorgungssicherheit gefährde, sollte nur noch bei Rezepturen oder Einzelimporten zulässig sein.

Zudem appellierte Hubmann an den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV), sich am »pragmatischen Handeln vieler seiner Mitgliedskassen« zu orientieren und gemeinsam mit dem DAV zu tragfähigen Kompromissen für zahlreiche offene Fragen im Kontext des E-Rezepts und der Digitalisierung zu kommen.

Kritik übte Hubmann auch an Lauterbachs Regelungen zwecks Entschärfung der Lieferengpassproblematik in den Apotheken. »Nach wie vor führen Arzneimittellieferengpässe, die es den Versprechungen des Ministers zufolge nach Inkrafttreten des ALBVVG im Sommer vergangenen Jahres schon gar nicht mehr geben sollte, tagtäglich zu einem enormen Mehraufwand in unseren Apotheken.«

Trotz diverser Maßnahmen – etwa im Bereich der Kinderarzneimittel – habe sich die generelle Situation bei den Lieferengpässen nicht erkennbar verbessert. Dass etwa im vergangenen Winter eine Unterversorgung der Patienten ausgeblieben sei, sei vor allem dem Einsatz der Apothekenteams geschuldet.

Nachbesserung für leichteren Arzneimittelaustausch

Und vom versprochenen erleichterten Lieferengpassmanagement sei nichts zu spüren. Mittlerweile sei nahezu jeder Versorgungsvorgang mit erheblichem Mehraufwand verbunden. Die gesetzlich dafür vorgesehene Lieferengpasspauschale von 50 Cent sieht Hubmann als »Verhöhnung unserer Arbeit«.

Eigentlich sollten auf Wunsch der Parlamentarier mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) die erweiterten Austauschregeln der Pandemiezeit verstetigt werden, erinnerte Hubmann. Doch das habe nicht funktioniert. Durch uneindeutige Formulierungen seien nach Lesart des GKV-Spitzenverbands die hergebrachten Austauschregeln de facto wiederhergestellt worden. Es brauche dringend Nachbesserungen, forderte der DAV-Vorsitzende. »Durch Austauschregeln im gedachten Sinn und eine deutliche Erhöhung der Lieferengpasspauschale«.

Niemand sei auf Dauer bereit, deutlich mehr Arbeit für das gleiche Geld zu leisten, so Hubmann. Aus diesem Grund seien Apothekenteams in ganz Deutschland mehrfach auf die Straße gegangen und hätten lautstark ihre Forderungen artikuliert. Mit jeder Apotheke, die schließt, werde das Versorgungsnetz löchriger, der Weg zur nächsten Apotheke weiter, mahnte der DAV-Vorsitzende.

Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands hätten einen Anspruch auf eine funktionierende Gesundheitsversorgung – und zwar unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrem sozialen Status. Dazu gehöre auch eine funktionierende Arzneimittelversorgung, deren Sicherstellung der Gesetzgeber den Apotheken übertragen hat. »Gesetz- und Verordnungsgeber haben demzufolge auch unmittelbar dafür Sorge zu tragen, dass Apotheken diesen Auftrag auch erfüllen können – durch eine angemessene Vergütung der Leistungen der Apotheken.« Auch dem Fachkräftemangel sei nur zu begegnen, wenn Apotheken ihren Mitarbeitenden angemessene wettbewerbsfähige Gehälter zahlen könnten.

Lauterbach-Reformpläne nicht zielführend

Was die Reformpläne Lauterbachs betrifft, so sieht Hubmann diese nicht geeignet, die Vor-Ort-Apotheken zu stärken. Im Gegenteil: Sie bewirkten mittelfristig eine Schwächung. Die Eckpunkte enthielten bis auf eine Anhebung der Notdienstvergütung um 50 Prozent weiterhin keine Verbesserung der Honorierung, kritisiert der DAV-Vorsitzende.

Stattdessen stehe eine »fragwürdige Umstrukturierung und Umverteilung der Apothekenvergütung« durch Absenkung des prozentualen Zuschlags in zwei Schritten von drei auf zwei Prozent bei gleichzeitiger Anhebung des Fixums im Vordergrund. Dies solle aufkommensneutral geschehen. »Das Perfide daran: Spätestens im dritten Jahr ergibt sich hieraus eine Verschlechterung der Vergütung, da wir noch stärker von der Preisentwicklung abgekoppelt werden«, so Hubmann. Die vorgesehenen Verhandlungen zur Anpassung des Fixzuschlages ab 2027 im Zuge der Selbstverwaltung sähe die Apothekerschaft ebenfalls »sehr kritisch«.

Diese genannten Maßnahmen zur Apothekenvergütung seien »völlig ungeeignet, um die Arzneimittelversorgung endlich wieder auskömmlich zu vergüten und die Apotheken wirtschaftlich zu stabilisieren«. Eine Umverteilung löse die bestehenden Probleme nicht, »denn allen Apotheken steht eine seit Jahren überfällige Erhöhung des Honorars zu«.

Und Hubmann ergänzte: »Die Apotheken in Deutschland brauchen jetzt spürbare wirtschaftliche Verbesserungen und zwar in einer Höhe, die alle Parameter wie Inflationsausgleich, Leistungsausweitung und Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung berücksichtigt. Dies sind mehr als 2,5 Milliarden, entstanden auch aus der jahrelangen hartnäckigen Verweigerung einer berechtigten und erforderlichen Anpassung.« Und es brauche zwingend Festlegungen zu einer regelhaften Dynamisierung des Fixhonorars. Hier fordert Hubmann vom Gesetzgeber klare Rahmenbedingungen.

Keine Apotheken light mit PTA-Vertretung

Eine deutliche Absage hingegen erteilt Hubmann den Lauterbach-Plänen, dass PTAs Apothekerinnen und Apotheker zeitweise vertreten dürfen, wenn ein Apotheker oder eine Apothekerin per Videocall abrufbereit ist. Dies sei strukturell absolutes No-Go. »Dies lehnen wir ab.« Die Rechte und Pflichten des Apothekers und der Apothekerin in der Apotheke seien unverzichtbar und könnten nicht anderen Berufsgruppen zugewiesen werden. Das Wissen und Können der Apothekerinnen und Apotheker sei der Garant für eine wohnortnahe qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung in Stadt und Land.

Dass im Apothekensektor etwas geschehen müsse, sei in der Politik angekommen. Über die Ausgestaltung gelte es nun zu reden. »Wir sind bereit, neue Aufgaben zu übernehmen und uns als niederschwellige Anlaufstelle in Sachen Gesundheit für die Menschen in diesem Land einzubringen,« bekräftigte Hubmann. »Was wir nicht akzeptieren werden, dass ist eine Trivialisierung der Arzneimittelversorgung, die wirtschaftliche und die organisatorische Zerstörung unseres Markenkerns. Zusätzliche Leistungen, selbst wenn sie per se auskömmlich bezahlt würden, könnten keine Kompensation für die »dramatische Unterfinanzierung in unserem Kernbereich« sein.

»Die Arzneimittelversorgung muss endlich wieder auskömmlich vergütet werden.« Hubmann verwies abschließend auf die externe Expertise zweier Gutachten zu den Reform-Eckpunkten und dessen möglicher Konsequenzen. Die Gutachten, die im Anschluss heute beim WiFo präsentiert werden sollen, verdeutlichten, dass die BMG-Eckpunkte sowohl in ihren ordnungspolitischen als auch in ihren wirtschaftlichen Implikationen hochkritisch seien. »Sie bestätigen uns darin, uns diesen Plänen gemeinsam entschlossen entgegenzustellen.«

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