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Persönlichkeitsrecht

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Ein ärztlich assistierter Suizid ist in Deutschland seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 erlaubt. Vereine wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben bieten ihren Mitgliedern die Möglichkeit dazu. Es müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Ev Tebroke
01.09.2025  18:00 Uhr

»Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.« Mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht das hierzulande seit 2015 geltende Verbot der professionellen Sterbehilfe für verfassungswidrig und nichtig.

Damit ist der assistierte Suizid nunmehr auch in Deutschland seit fünf Jahren legitim. Das Urteil gibt keine Einschränkung auf bestimmte Krankheiten oder Krankheitsphasen. Einziges Kriterium ist die Freiverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit der Entscheidung, sein Leben zu beenden. Dazu gehört auch, dass die Person über Alternativen informiert ist.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), nach eigenen Angaben die bundesweit älteste und größte Patientenschutzorganisation in Deutschland, vermittelt ihren Mitgliedern seitdem auf Wunsch eine sogenannte ärztliche Freitodbegleitung (FTB) – eine »professionelle und rechtssichere ärztliche Suizidassistenz«. Derzeit zählt die DGHS etwa 48.000 Mitglieder. Monatlich gebe es rund 130 schriftliche Anträge auf Vermittlung einer assistierten FTB, sagt DGHS-Sprecherin Wega Wetzel auf Anfrage der PZ.

Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben verzeichnet wachsendes Interesse

Seit dem Urteil verzeichnet die Organisation einen großen Zustrom an Mitgliedern. Im Nachgang des Urteils war eine 0800er-Nummer eingerichtet worden als »möglichst niedrigschwellige Möglichkeit, sich wirklich ergebnisoffen über alle Möglichkeiten zu informieren«, so Wetzel.

Im Jahr 2024 haben laut DGHS 623 Mitglieder den finalen Schritt gewählt und ärztlich assistierten Suizid begangen. Im Vorjahr 2023 waren es 418, im Jahr zuvor 229; 2021 waren es 120. Die Zahlen zeigen, dass das Interesse wächst. Wichtig ist dabei stets, dass der sterbewillige Mensch die Entscheidung zum Suizid frei und selbstbestimmt getroffen hat. Gibt es Zweifel an dieser Freiverantwortlichkeit, liegen etwa Hinweise auf eine Beeinflussung der freien Willensbildung oder demenzielle und/oder psychiatrische Störungen vor, so muss der Sterbewillige ein externes fachärztliches Gutachten von einem unabhängigen Psychiater erstellen lassen.

Bundesweit gibt es neben der DGHS noch zwei weitere Vereine, die ihren Mitgliedern Suizidassistenz anbieten: Dignitas Deutschland – ein deutscher Ableger der Schweizer Gesellschaft, die 2020 ihre Tätigkeit hierzulande wieder aufgenommen hat, sowie den Verein Sterbehilfe.

Was die Kosten für die Unterstützung beim assistierten Suizid betrifft, so zahlen Mitglieder der DGHS einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 60 Euro. Für die Vermittlung einer assistierten FTB entstehen den Antragstellenden keine Kosten. Für die Vorbereitung und Durchführung des assistierten Suizids durch die Freitodhelfenden wird eine Pauschale in Höhe von 4000 Euro berechnet. Für Doppel-Sterbebegleitungen beträgt die Pauschale 6000 Euro.

Strenges Prüfungsprozedere

Menschen mit Sterbewunsch stellen zunächst einen schriftlichen Antrag. Der wird von Mitarbeitenden der DGHS geprüft und bearbeitet. Danach erfolgt eine Koordination mit einem Team der Freitodbegleitung, das aus jeweils einer ärztlichen und einer juristischen Person besteht. Circa 20 solcher Teams gibt es laut Wetzel. Diese agieren unabhängig von der DGHS. Sowohl der Jurist als auch der begleitende Arzt prüfen den Sterbewunsch anhand des Schreibens und der medizinischen Unterlagen (Arztbriefe/Befunde). Arzt und Jurist führen separate Gespräche mit den Menschen, besuchen diese zudem in deren häuslicher Umgebung.

»Dort sieht man, wie ist die familiäre Situation? Wird da womöglich Druck ausgeübt? Ist die Versorgungslage gut? Oder ist der Mensch bloß deswegen verzweifelt, weil er beispielsweise nicht mal eine gute ambulante palliative Versorgung hat«, erklärt Wetzel. Die zwei Gespräche, das juristische und das ärztliche, sind sehr ausführlich und werden detailliert protokolliert. Diese Gesprächsprotokolle werden nach einer FTB auch an die Kripo beziehungsweise Staatsanwaltschaft übergeben.

Aufgabe der juristischen und ärztlichen Begleitung ist es also, die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zum Suizid zu prüfen. Trifft der Mensch diese Entscheidung wohlüberlegt, aus eigenem Antrieb und im Vollbesitz seiner geistigen, psychischen Kräfte? Und ist der Sterbewunsch dauerhaft, also konstant gegeben? Auch gilt es sicherzustellen, dass der Mensch ausreichend über alle möglichen Alternativen informiert wurde.

Wenn der Sterbewunsch für beide Begleiter legitim ist, kann der Patient sich jederzeit melden und entscheiden, wann er den Suizid durchführen möchte. Wenn es so weit ist, verabredet man einen konkreten Termin, berichtet Wetzel. Erstaunlicherweise sei es vielen Menschen sehr recht, dann ein konkretes Datum zu haben. »Darauf fokussieren sie sich dann, regeln ihre persönlichen Angelegenheiten, sprechen vielleicht mit dem engsten Familienkreis, damit diese den Wunsch bestenfalls mittragen.«

»Tatherrschaft« muss beim Sterbewilligen liegen

Bei dem vom Sterbewilligen gewählten Termin sind beide Begleitungen vor Ort. Die meisten Menschen möchten zu Hause aus dem Leben scheiden. Auf Wunsch sind oft auch Angehörige anwesend. Die Ärztin oder der Arzt bringt das tödliche Medikament mit sowie die nötigen Verbrauchsmaterialien. Die letzten Formalien werden erledigt, etwa muss der Patient den Arzt von der sogenannten Garantenpflicht entbinden. Denn Ärzte haben grundsätzlich eigentlich die Verpflichtung, Leben zu erhalten. Und dann gibt es noch die formale schriftliche Freitodwunsch-Erklärung.

Der Arzt erfragt tagesaktuell erneut den Sterbewunsch, legt den Zugang, macht eine Probeinfusion mit Kochsalzlösung, fragt erneut, ob der Tod wirklich gewünscht ist. Dann öffnet der Sterbewillige eigenhändig den Infusionszugangshahn. Die Tatherrschaft muss beim Patienten liegen. Der Mensch schläft dann (nach einer Minute) ein, nach einer weiteren Minute setzt die Atmung aus, der Herzschlag verstummt nach etwa 5 Minuten.

Im Anschluss stellt der Arzt den Tod fest und füllt die Todesbescheinigung aus. Danach wird die Kripo benachrichtigt und den Beamten werden die Patienten-Erklärungen sowie die erstellten Unterlagen übergeben. Nach polizeilicher Prüfung wird der Leichnam dann einem Bestatter übergeben. Meistens regeln die Sterbewilligen bereits im Vorfeld, wer die Bestattung nach ihrem Tod übernimmt.

Rechtskonforme und seriöse Sterbebegleitung

Wie heikel die Lage sein kann, wenn es rechtliche Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit oder Freiverantwortlichkeit eines Sterbewilligen gibt, zeigte unlängst der Fall eines Arztes in Nordrhein-Westfalen, der wegen verbotener Sterbehilfe wegen Totschlags verurteilt wurde und dessen Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil beim Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurde.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie hatte einem psychisch kranken Mann aus Dorsten im August 2020 eine tödliche Infusion gelegt. Das Ventil hatte der 42-jährige Patient anschließend selbst geöffnet. Im Februar 2024 verurteilte das Landgericht Essen den damals 81 Jahre alten Arzt aus Datteln zu drei Jahren Freiheitsstrafe.

Nach Überzeugung des Essener Richters konnte der Patient aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankung die Tragweite seines Handelns nicht erfassen und auch nicht freiverantwortlich entscheiden. Er hatte viele Jahre an paranoider Schizophrenie gelitten und dem Gericht zufolge auch gegen Wahnvorstellungen und Depressionen gekämpft. Der Arzt habe das erkannt, die Sterbehilfe aber trotzdem durchgeführt – »aus Mitleid«, hieß es damals bei der Urteilsbegründung.

Die Grenze ist klar: Der Patient muss die Entscheidung selbst fällen und er muss sich der Tragweite vollumfänglich bewusst sein. Den Weg in den assistierten Suizid rechtskonform und seriös zu begleiten, das haben sich Vereine wie die DGHS zur Aufgabe gemacht. Bislang habe noch kein einziger Fall zu einem Strafprozess geführt, betont die Organisation.

Doch der Aufklärungsbedarf ist groß, in der Bevölkerung überwiegt die Unkenntnis: Laut einer Umfrage im Auftrag der DGHS denken hierzulande immer noch 83 Prozent der Bürger, Suizidassistenz sei strafbar. Gleichzeitig spricht sich ein Großteil der Menschen (84 Prozent) für Suizidhilfe aus. »Es ist noch viel Aufklärungsarbeit in Deutschland notwendig, um das Informationsdefizit in der Bevölkerung zum Thema assistierter Suizid abzubauen«, so DGHS-Präsident Professor Robert Roßbruch.

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