Das Problem mit Lauterbachs »Dringlichkeitsliste« |
Alexander Müller |
16.10.2023 10:30 Uhr |
Verschiedene Kinderarzneimittel stehen auf einer »Dringlichkeitsliste«, damit im kommenden Herbst und Winter den Engpässen besser begegnet werden kann. / Foto: Adobe Stock/Halfpoint
Das Problem mit der Dringlichkeitsliste ist die fehlende Verbindlichkeit. Denn bislang ist nicht einmal definiert, welche Präparate sie genau umfasst und welche Veröffentlichung für die Krankenkassen bei der Abrechnung maßgeblich ist. Die ABDA hatte schon in ihrer Stellungnahme kritisiert, dass »eine eindeutige, rechtssichere Zuordnung und Umsetzung der oben genannten Austausch- und Bevorratungsempfehlungen auf Fertigarzneimittelebene unmöglich« sei.
Mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) wurde bereits eine erste Liste definiert. In Zusammenarbeit mit pädiatrischen Fachgesellschaften, den Fachabteilungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem dort angesiedelten Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe wurde die »Liste der notwendigen Kinderarzneimittel« definiert. Mehr als tausend PZN sind hier erfasst – wobei zahlreiche Produkte längst außer Handel sind. Die Liste wird über § 35 Absatz 5a Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) definiert, regelmäßig aktualisiert und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Sie hat Auswirkungen auf die Festbeträge und die Vorschriften für eine erhöhte Lagerhaltung.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) befürchtet aber, dass sich die erneut drohenden Engpässe bei Kinder-Arzneimitteln damit nicht beherrschen lassen. Deshalb hat das BfArM in Abstimmung mit dem BMG eine »Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel« erstellt. Es geht laut BfArM um »essentielle Arzneimittel für die Pädiatrie, die in der kommenden Infektionssaison möglicherweise einer angespannten Versorgungssituation unterliegen«. Rund 20 Wirkstoffe, überwiegend Antibiotika, in unterschiedlichen Darreichungsformen sind erfasst.
Bei diesen Präparaten soll der Austausch erleichtert werden. Für die Herstellung von Rezepturen und den Austausch der Darreichungsform werden Retaxationen ausgeschlossen, auch Beanstandungen in Wirtschaftlichkeitsprüfungen für die Ärzteschaft entfallen. Die Festbeträge bleiben ausgesetzt, Aufzahlungen sollen vermieden werden. Rabattverträge für Kinderarzneimittel werden ausgeschlossen.
Dem Vernehmen nach hat der GKV-Spitzenverband in Gesprächen darauf gepocht, dass die Liste für die Kassen nur verbindlich ist, wenn sie im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. »Die Dringlichkeitsliste selbst hat jedoch bisher keine uns bekannte Rechtsgrundlage. Diese müsste also im SGB V getroffen werden und auch festlegen, wie die Bekanntmachung zu erfolgen hat«, teilte der GKV-Spitzenverband gegenüber der PZ mit.
Das BMG will aber diesmal einen anderen Weg gehen: »Als Ergebnis einer weiteren Ressortabstimmung im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zum Pflegestudiumstärkungsgesetz wird vorgesehen, die bisherige Dringlichkeitsliste des BfArM gesetzlich im § 129 SGB V zu verankern.« Ein entsprechender Änderungsantrag sei in das laufende Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden. Das Gesetz soll in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung im Bundestag verabschiedet werden. »Der Regelungsentwurf sieht die Ermächtigung des BfArM (nach Anhörung des BMG) zur Erstellung der Liste und eine Veröffentlichung auf der Internetseite des BfArM vor«, so das BMG.
Das wäre ein Novum und würde für die Apotheken bedeuten, dass sie die BfArM-Seiten permanent monitoren müssten. Und die Vorgaben für die Abgabevorschriften müssten dann noch in der Apotheken-Software umgesetzt werden. Hier ist regelmäßig ein Vorlauf von vier Wochen notwendig.
Anders als bei der Liste der pädiatrischen Arzneimittel ist die Dringlichkeitsliste noch nicht einmal auf PZN-Ebene konkretisiert. Ohne operationale Liste können aber beispielsweise die Großhändler kaum aktiv werden und höhere Bestände an Lager zu legen – abgesehen von der der international mangelnden Verfügbarkeit der Ware. Die Interpretation der BfArM-Liste kann die Politik schlecht dem Großhandelsverband Phagro überlassen. Auch die ABDA kritisiert, dass die »Dringlichkeitsliste Kinderarzneimittel« im Gegensatz zur Liste der notwendigen Kinderarzneimittel eben »keine Arzneimittelliste im eigentlichen Sinne« darstelle.
Die ABDA würde den Bezug auf die Dringlichkeitsliste am liebsten ganz streichen. Der Gegenvorschlag: Ist das Medikament nicht verfügbar und gilt die Verordnung zudem für ein Kind bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr, gelten die erweiterten Austauschregeln auch für ein wirkstoffgleiches in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, und für ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel in einer anderen Darreichungsform, jeweils ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt.