Das Lieferengpassgesetz wirkt nicht |
Cornelia Dölger |
05.09.2024 14:15 Uhr |
Mit dem Lieferengpassgesetz sollten Lieferengpässe Geschichte sein – es zeigen sich aber nur marginale Effekte, wie Kritiker sagen. / Foto: IMAGO/photothek
Lieferengpässe von wichtigen Arzneimitteln sind ein Wiedergänger, auch politisch. Nachdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rund um das Inkrafttreten des ALBVVG am 26. Juli 2023 wiederholt betonte, dass sich bald Wirkung zeigen werde, tauchen Lieferengpässe trotz allem wieder auf. Das hat die Unionsfraktion im Bundestag veranlasst, das BMG nach dem Stand der Dinge bei der Umsetzung zu fragen. Die Antworten liegen vor – und sie beruhigen die Fragesteller nicht.
Wie der CDU-Abgeordnete Georg Kippels der PZ sagte, bestätigten die Antworten der Bundesregierung »leider genau das, wovor die CDU/CSU-Fraktion schon bei der Verabschiedung des Gesetzes vergangenes Jahr gewarnt hat: Die Maßnahmen reichen entweder nicht aus oder sind sogar kontraproduktiv, um Lieferengpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden.« Trotz Vorwarnung setze Bundesgesundheitsminister Lauterbach damit erneut die Versorgungssicherheit der Bevölkerung aufs Spiel, kritisierte Kippels.
Auch der Verband Pro Generika zieht nach einem Jahr ALBVVG keine positive Bilanz. Die Effekte des Gesetzes seien »allenfalls marginal«. Weder führe es dazu, dass neue Generika-Werke in Europa entstünden, noch dass bislang viele Zuschläge an europäische Wirkstoffhersteller vergeben werden konnten.
Fehlanzeige auch bei der strukturellen Ursachenbekämpfung für den Engpass beim Antibiotikum Doxycyclin und bei der Unterstützung für die Hersteller von Brustkrebsmitteln wie Tamoxifen, heißt es in einer Mitteilung. Auch die geplante Entlastung der Hersteller von Kinderarzneimitteln laufe in vielen Fällen ins Leere.
Was hatte die Bundesregierung geantwortet? Auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU »Weiter bestehende Engpässe in der Arzneimittelversorgung - Stand der Umsetzung des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG)«, das am 26. Juli 2023 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, äußerte sich das BMG zunächst zur vorgesehenen Diversifizierung von Lieferketten.
Die Diversifizierung ist ein wichtiger Baustein des Gesetzes. Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) müssen demnach bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. Die Anbietervielfalt soll so erhöht werden. Erste Ausschreibungen gab es laut BMG bereits. Zu Mehrausgaben, nach denen die Fraktionsmitglieder gefragt hatten, sagt das BMG nichts. Konkrete Vertragsbedingungen wie Preise seien vertraulich.
Weiter gibt sich das BMG hier zugeknöpft: »Wie die Regelungen zur Diversifizierung von Lieferketten beitragen und welche Auswirkungen die Regelungen auf die Ausgaben der Krankenkassen und die Zusammensetzung der Lose nach § 130a Absatz 8a SGB V haben, bleibt abzuwarten«, heißt es lediglich.
Etwas konkreter wird das BMG beim Brustkrebsmittel Tamoxifen. Befragt, welche ALBVVG-Maßnahmen hier künftige Engpässe verhindern können, antwortet das BMG, dass die Verfügbarkeit verbessert werden solle, indem das Präparat als Arzneimittel mit versorgungsrelevanter Marktkonzentration eingestuft wird. Dadurch seien für diesen Wirkstoff bei zukünftigen Rabattvertragsausschreibungen mindestens die Hälfte der EU/EWR-Lose für pharmazeutische Unternehmen auszuschreiben, die den Wirkstoff in der EU beziehungsweise dem EWR produzieren. Durch die EU/EWR-Lose bei der Ausschreibung von Rabattverträgen für patentfreie Antibiotika soll die Wirkstoffproduktion in der EU beziehungsweise im EWR gefördert werden.
Tamoxifen wird allerdings bereits jetzt »im Wesentlichen« in Europa produziert, wie die Fragesteller betonen. Wie sollten also vor diesem Hintergrund die ALBVVG-Maßnahmen greifen?
Hier antwortet das BMG, dass für Arzneimittel mit einem versorgungkritischen Wirkstoff auch der Festbetrag um 50 Prozent angehoben werden könne. Ob dies für Tamoxifen zutrifft, müsse aber noch geklärt werden.
Auf der beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführten Liste mit versorgungsrelevanten Arzneimitteln steht auch das Antibiotikum Doxycyclin, für das sich bereits ein Engpass abzeichnet. Auch darauf gehen die Fragesteller ein.
Das BMG verweist in seiner Antwort grundsätzlich auf die Rabattvertragsregelungen für Antibiotika im Bereich der GKV, die die Wirkstoffherstellung in Europa stärken sollten, sowie auf das neu einzurichtende Frühwarnsystem beim BfArM, das rechtzeitig auf Engpässe hinweisen solle. Zudem habe durch eine Ausnahmegenehmigung des BfArM ausländisch gekennzeichnete Ware zur Abmilderung des Engpasses doxycyclinhaltiger Arzneimittel beitragen können, antwortet das BMG.
Auch bei der Klinikversorgung verweist das BMG auf ausstehende Evaluationen zu den mit dem ALBVVG neuen Vorratspflichten für krankenhausversorgende Apotheken und den Krankenhausapotheken.
Zahlen kann die Bundesregierung auch bei der Frage nach den Mehrausgaben für die Anpassungen der Erstattungen bei Arzneimitteln für Kinder nicht nennen, die vor Inkrafttreten des ALBVVG auf 135 Millionen Euro geschätzt wurden. Dazu lägen der Bundesregierung keine Kenntnisse vor, heißt es.
Auch zu Neuansiedlungen von Generika-Werken in Europa kann das BMG demnach nichts sagen, sondern verwies auf neue Penicillin-Produktion am Standort Kundl in Tirol, die der Schweizer Generikakonzern Sandoz im vergangenen November in Betrieb genommen hatte.
Dass Sandoz in Kundl – die letzte verbliebene Antibiotika-Produktionsstätte in Europa – investieren möchte, war bereits im Mai 2021 klar, also lange bevor das ALBVVG im Juli 2023 in Kraft trat. Das BMG äußert sich also nur grundsätzlich dazu: »Die im ALBVVG getroffenen Regelungen können zum Erhalt dieser neuen Antibiotikaproduktionsanlage grundsätzlich beitragen.« Zu neuen Standorten sagt das BMG nichts.
Konkreter wurde das BMG beim geplanten am BfArM angesiedelten Frühwarnsystem. Hier seien die technischen Voraussetzungen geschaffen worden. Für diesen Herbst seien erste prototypische Auswertungen geplant und es gebe bereits Kooperationsverträge.
So habe die Arzneimitteldatenbank des Bundes (AmAnDa) bereits Ende März mit den Handelsnummern (Pharmazentralnummer, PZN) verknüpft werden können. Im nächsten Schritt sollten die AmAnDa-Daten mit PZN-gestützten Datenquellen, wie etwa Marktdaten, verbunden werden können.
Die neuen Bevorratungspflichten für Hersteller verteidigt das BMG. Man sei sich bewusst, dass nationale Bevorratungspflichten Auswirkungen auf die Versorgungssituation mit Arzneimitteln in anderen Ländern haben könnten. Solche Pflichten hätten aber auch andere EU-Mitgliedstaaten eingeführt. Deutschland beteilige sich im Übrigen an der Arbeit in der Critical Medicines Alliance sowie der Joint Action zur Bevorratung auf europäischer Ebene, um an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. Die Fragesteller hatten betont, dass die Bevorratungspflicht mit Rabattarzneimitteln für einen sechsmonatigen Bedarf andere EU-Länder hinsichtlich ihrer Versorgungssicherheit besorge.