Das Kreuz mit den Entlassrezepten |
Cornelia Dölger |
03.08.2023 18:00 Uhr |
Entlassrezepte machen nur einen vergleichsweise kleinen Teil in der riesigen Menge der jährlich bearbeiteten GKV-Rezepte in der Apotheke aus. Reichlich Ärger gibt es dennoch. / Foto: IMAGO/Westend61
Angesichts der 450 Millionen GKV-Rezepte, die Apotheken jährlich bearbeiten, bilden die Entlassrezepte mit etwa 2,2 Millionen Rezepten eine vergleichsweise kleine Menge. Aber die hat es in sich. Denn seit am 1. Juli 2023 wichtige Änderungen beim Entlassmanagement in Kraft getreten sind, gelten für Apotheken teils andere Vorgaben als für die ausstellenden Klinikärzte. Das riecht nach Retax-Ärger – und den gibt es. Nun braucht es Wege aus der Pattsituation. Aus Sicht der Apotheken liegt der Ball beim GKV-Spitzenverband.
Worum geht es? Am Entlassmanagement, also an der Anschlussversorgung von frisch aus dem Krankenhaus oder der Reha Entlassenen, sind mehrere Partner beteiligt. Neben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sind das zunächst der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).
Diese drei Vertragspartner regeln die Einzelheiten zum Entlassmanagement in einer Vereinbarung, dem Rahmenvertrag über das Entlassmanagement, den es seit 2017 gibt. Sie haben sich jüngst auf eine Änderung dieses Regelwerks verständigt, nämlich auf die 10. Änderungsvereinbarung zum Rahmenvertrag über das Entlassmanagement. Sie trat am 1. Juli 2023 in Kraft – und mit ihr besagte neue Regeln, die nun zu Ärger führen.
Denn die Änderung des Rahmenvertrags zum Entlassmanagement betreffen auch die Apotheken, auch wenn deren Vorgaben für Entlassverordnungen in einem eigenen Regelwerk festgehalten sind, nämlich in Anlage 8 zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V. Vertragspartner sind hier der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband. Die für Apotheken ausschlaggebende Anlage 8 bezieht sich aber auf den Rahmenvertrag zum Entlassmanagement und sollte an dessen jüngst beschlossene Änderungen angepasst werden, dazu gab es Verhandlungen zwischen DAV und GKV-Spitzenverband.
Diese gingen allerdings ohne Einvernehmen zuende: Die DAV-Mitgliederversammlung lehnte bereits Ende April die Anpassung der Anlage 8 geschlossen ab, da sie ihrer Auffassung nach den Apotheken zusätzliche Prüfpflichten und Heilungsmöglichkeiten für fehlerhafte Rezepte auferlegt hätte, anders gesagt: Mit der Anpassung hätten sich für Apotheken weitere Retax-Fallen ergeben, befürchteten die Landesverbände. Sie traten auf die Notbremse.
Da die Anlage 8 weder vom GKV-Spitzenverband noch vom DAV separat gekündigt werden kann, gelten nun für die Apotheken die darin festgehaltenen bisherigen Regelungen, die sich auf frühere Fassungen des Rahmenvertrags zum Entlassmanagement beziehen. Für die anderen Vertragsparteien aber gelten die von ihnen beschlossenen, von den Apotheken abgelehnten Änderungen.
Wie damit umgegangen werden soll, darüber streiten sich jetzt die Geister. Denn zumindest theoretisch ist das Regelungswirrwarr für die Apotheken eine Retaxfalle mit Ansage. Zum Beispiel wird laut dem geänderten Rahmenvertrag zwischen Entlassverordnungen aus der Klinik und der Reha unterschieden. Während Verordnende in Reha-Einrichtungen weiterhin wie gehabt die versorgungsspezifische Betriebsstättennummer (BSNR) in der Codierleiste verwenden sollen (beginnend mit »75«), müssen zugelassene Krankenhäuser ab Januar 2024 anstelle der BSNR das Standortkennzeichen des Krankenhauses nach § 293 Absatz 6 SGB V eintragen («77«). Bis Ende Dezember 2023 ist für sie übergangsweise sowohl die BSNR als auch das Standortkennzeichen zulässig.
Ähnlich verhält es sich bei der Pseudo-Arztnummer »4444444«, die bislang sowohl Krankenhäuser als auch Reha-Einrichtungen genutzt haben. Diese dürfen Reha-Einrichtungen weiter verwenden, wohingegen Verordnende aus Kliniken nur noch für die Versorgung zugelassene Arztnummern (Krankenhausarztnummern/lebenslange Arztnummern) angeben dürfen.
Stellt also ein Arzt oder eine Ärztin im Krankenhaus ein Rezept aus, auf dem das Standortkennzeichen aufgedruckt ist, ist das aus Kliniksicht kein Formfehler, wohl aber aus Apothekensicht. Wie ein Verband berichtete, kam es schon zu Fällen, in denen Rezepte aus dem Krankenhaus sowohl mit BSNR als auch mit Standortkennzeichen versehen waren. Geschuldet war dies alten Vordrucken mit der »75« in der Codierzeile, wie sie übrigens noch in großen Mengen in den Kliniken vorhanden sein dürften.
Zudem können Apotheken anhand der ausstellenden Adresse nicht immer unterscheiden, ob die Verordnung aus einem Krankenhaus oder einer Reha-Klinik kommt. Das war bislang auch nicht erforderlich – wegen der beschriebenen Trennung mit je eigenen Vorschriften jetzt aber schon, weil Apotheken sonst sehenden Auges in die Retaxfalle tappen. Das Chaos bei der Belieferung scheint also perfekt zu sein.
Um die Pattsituation für die Apotheken zu entschärfen, hat der DAV schon vor einigen Wochen die Kassen dazu aufgerufen, bei Entlassrezepten komplett auf Retaxierungen zu verzichten. Außerdem sollten die Verordnenden in Kliniken und Reha-Einrichtungen auf das korrekte Ausstellen achten. Wie der DAV ausführte, seien Apotheken andernfalls in bestimmten Fällen gezwungen, die Rezepte als Privatrezepte zu behandeln. Dies kann demnach nur dann der Fall sein, wenn das Entlassrezept nicht heilbar ist und keine neue, fehlerfreie Verordnung ausgestellt werden kann (etwa wenn der Verordnende nicht erreichbar ist). Als »unheilbar« gelten aus Apothekensicht Formfehler wie eine falsche BSNR in der Codierzeile (siehe Ausführungen oben) oder auch ein Aufkleber im Personalienfeld statt gedruckter Daten.
Was tun in solchen Fällen? Als Handlungsempfehlung gibt ein Verband seinen Apotheken an die Hand, nicht ordnungsgemäß ausgestellte Entlassverordnungen erst nach Heilung oder Änderung durch das Krankenhaus zu versorgen oder eben als Privatrezepte zu behandeln. Es seien drei Fallkonstruktionen zu unterscheiden: Bei korrekt ausgestellten Rezepten gelte das Sachleistungsprinzip. Falls Formfehler vorhanden seien, gelte es, diese als heilbar oder unheilbar einzuordnen. Bei heilbaren Mängeln seien die Art der Verordnung, die Art des formalen Mangels und der Aufwand zur Behebung abzuwägen. Wenn das Rezept unheilbar fehlerhaft sei und kein neues, fehlerfreies beschafft werden könne, könne es, wie auch vom DAV beschrieben, als Privatrezept behandelt werden. Dies stehe dem Sachleistungsprinzip nicht entgegen.
Der GKV-Spitzenverband lehnt die Forderung der Apotheken ab. Ein Sprecher sagte der PZ, dass ein genereller Retaxverzicht nicht angemessen sei, da die Apotheken die letzte Kontrollinstanz vor der Abgabe der Arzneimittel seien und »schon nach der Apothekenbetriebsordnung bei nicht ordnungsgemäß ausgestellten Rezepten einzugreifen haben«.
Die Apotheken seien verpflichtet, sich an gesetzliche und vertragliche Vorgaben zu halten. Des Weiteren gelte nach wie vor das Sachleistungsprinzp in der GKV. »Aus diesem Grund lehnen wir die Abrechnung der Rezepte als Privatrezepte und die finanzielle Belastung der Versicherten ab«, so der Sprecher. Beim Punkt »Aufkleber im Personalienfeld« habe es im Übrigen keine Änderung in der Vorgehensweise gegeben.
Grundsätzlich stellten die von den Apotheken abgelehnten Änderungen beim Entlassmanagement keine zusätzlichen bürokratischen Hürden und auch keine neuen Prüfpflichten dar, so der Sprecher weiter. Vielmehr seien lediglich gesetzliche Regelungen zu Standortverzeichnissen sowie Kennzeichen für Leistungserbringer sowie zu bestehenden Verträgen »nachgezeichnet« worden. Die von den Apotheken dargestellte Kontrollpflicht, zwischen Reha und Krankenhäusern zu unterscheiden, entspreche dabei nicht den vorgesehenen Regelungen. Zudem seien einige bisherige Prüfregeln vereinfacht worden. Welche das sind, erklärte der Sprecher nicht.
Dass es durch die jüngsten Änderungen teils unterschiedliche Vorgaben für Ausstellende und Apotheken gibt, räumte er allerdings ein. Teile der Vereinbarung aufseiten der Ärzte, Kliniken und Kassen passten nicht mehr zu denjenigen zwischen DAV und GKV-Spitzenverband. »Der GKV-Spitzenverband versucht weiterhin, mit dem DAV zutreffende Regelungen zu vereinbaren«, betonte der Sprecher. Man sei weiterhin offen, eine Regelung zur Anlage 8 mit dem DAV abzuschließen.
Ganz ähnlich klingt es aus den Reihen der Apotheken. Der DAV und der GKV-Spitzenverband hätten weiterhin das Ziel, einen gemeinsamen Weg zu finden, hieß es vom DAV. Dazu finde ein regelmäßiger Austausch statt, betonten beide Parteien.
Zu einem Übereinkommen riet auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Die neuen Regeln dürften für die Krankenhausärztinnen und -ärzte auch ohne das Dilemma mit den Apotheken komplex genug sein – so komplex, dass die DKG, die die entsprechenden Änderungen des Rahmenvertrags ja mit vereinbart hat, die Klinikärzte schon öfter zur korrekten Ausstellung anhalten musste, wie ein DKG-Sprecher auf PZ-Anfrage erklärte.
Mehrfach seien die Krankenhäuser in der Vergangenheit auf die Anforderungen einer korrekten Ausstellung und »auf die obligatorische Einhaltung der gesetzlichen und rahmenvertraglichen Vorgaben hingewiesen« worden. Es sei aber leider nicht auszuschließen, dass »die jüngsten formalen Änderungen vereinzelt vor Ort noch fehlerhaft umgesetzt werden«.
Um aber das Dilemma der abweichenden Regelungen aufzulösen, sollten der DAV und der GKV-Spitzenverband ihre arzneimittelrechtlichen Verträge an die neue Rechtslage anpassen.