»Das ist der falsche Weg« |
| Kerstin A. Gräfe |
| 19.06.2024 18:00 Uhr |
Statine sollen zukünftig die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung und damit deren Gesundheit verbessern. Ärzte und Krankenkassen sehen das kritisch. / Foto: Adobe Stock/SecondSide
Mit dem GHG will Lauterbach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der häufigsten Todesursache in Deutschland, den Kampf ansagen. Der neue Referentenentwurf enthält unter anderem Maßnahmen zur Früherkennung und eine Erweiterung der Verordnungsfähigkeit der Statin-Therapie auf möglicherweise zwei Millionen zusätzliche Patienten. Statine sollen demnach auch »frühzeitiger« bei Kindern zum Einsatz kommen.
Deutliche Kritik kommt vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Bei der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen und ihrer Folgen habe das Gesundheitssystem zwar dringend Nachholbedarf. Mit dem GHG werde allerdings der falsche Weg gewählt, betonen die Bundesvorsitzenden des (HÄV), Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier. »Immer mehr Tests und eine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip lehnen wir ganz klar ab.«
Das im Gesetzentwurf angewandte Prinzip »Viel hilft viel« sei aus medizinischer Sicht mehr als zweifelhaft – auch weil die Evidenzlage sehr dünn sei, so Buhlinger-Göpfarth und Beier. Gerade bei den Kleinsten sollten flächendeckende Screenings, die in Folge lebenslange Medikamenteneinnahmen bedeuten könnten, mit äußerster Vorsicht und immer nur evidenzbasiert eingesetzt werden, warnen die beiden Bundesvorsitzenden.
Auch aus Sicht des AOK-Bundesverbands geht das Gesetz in die falsche Richtung. »Der Referentenentwurf zum GHG könnte auch Pillen-statt-Prävention-Gesetz heißen«, moniert Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann. Statine seien keine Smarties. Sie verweist ebenfalls darauf, dass solche Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz über die etablierten Bewertungswege des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) getroffen werden sollten. Es sei eine problematische Perspektiv-Verengung, wenn Fragen des Lebensstils in die Medizin verschoben werden und Kinder zu chronisch kranken Patienten gemacht werden.
Ähnlich sieht es die Innungskrankenkasse. Es könne nicht die neue Maßgabe sein, Kinder und Jugendliche durchgängig zu medikamentieren, sagte Geschäftsführer Jürgen Hohnl. Schon gar nicht mit Statinen, deren Nutzenbewertung durch den G-BA noch nicht abgeschlossen sei.
Kritik kommt auch vom Verband der Ersatzkassen: »Statt die Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, etwa durch bessere Ernährung oder mehr Bewegung, sollen Krankheitssymptome mit Medikamenten behandelt werden, deren Nutzen nicht einmal klar nachgewiesen ist«, bemängelte Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner. Aus ihrer Sicht überschreitet das Bundesgesundheitsministerium seine Kompetenzen: »Die Umsetzung mittels Verordnungsermächtigung ist zudem ein weiterer Schritt in Richtung Staatsmedizin. Aus gutem Grund obliegt die Nutzenbewertung von Gesundheitsuntersuchungen und zur Statin-Versorgung bisher dem Gemeinsamen Bundesausschuss.«
Wann bei Patienten nach aktuellem Wissensstand medikamentös interveniert werden soll, wird in Leitlinien festgelegt. Diese Kompetenz scheint sich in einem bestimmten Fall neuerdings die Politik aneignen zu wollen, wie der neue Referentenentwurf zum Gesundes-Herz-Gesetz andeutet.
Besonders der Passus zur Verordnung von Statinen verwundert. Demnach sollen Ärzte die Möglichkeit erhalten, Statine für Patienten frühzeitig und entsprechend ihrem individuellen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verordnen zu können. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sieht hier eine Unterversorgung in der Größenordnung von zwei Millionen Menschen, darunter viele Kinder. Diesen sollten nach Meinung des Bundesgesundheitsministers »frühzeitiger« Statine verordnet werden. Genauere Angaben zu Grenzwerten macht der Gesetzentwurf bisher nicht.
Richtig und wichtig wäre es, das Screening auf eine familiäre Hypercholesterolämie zu forcieren. Denn liegt diese vor, können (und sollten) Kinder auch jetzt schon leitliniengerecht mit Statinen therapiert werden. Bislang gibt es allerdings keine zuverlässigen Daten, wie häufig eine familiäre Hypercholesterolämie bei Kindern in Deutschland ist. Der im Gesetzentwurf verankerte Check auf Cholesterol in den Jugenduntersuchungen könnte hier somit wichtige Daten liefern.
Richtig eingesetzt sind Statine zweifelsohne sehr wirksame Arzneimittel, die für die Patienten von hohem Nutzen sind. Was »richtig eingesetzt« bedeutet, sollte aber den behandelnden Ärzten und nicht Ministerialbeamten überlassen werden.
Theo Dingermann
Senior Editor PZ