»Das Gerechtigkeitsproblem ist der Elefant im Raum« |
Alexandra Amanatidou |
08.10.2025 12:00 Uhr |
SPD-Politiker und ehemaliger Gesundheitsminister Karl Lauterbach war gestern zu Gast in der ARD-Talkshow »Maischberger«. / © Imago/HMB-Media
»Es war ein schwerer Schlag«, sagte Lauterbach mit Blick auf die Tischtennisplatte, die ihm seine ehemaligen Kollegen vom Bundesgesundheitsministerium geschenkt hatten und die er nicht mehr benutzen kann. Kein einziges Mal habe ihn die Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bislang angerufen, um ihn nach seinem Rat zu fragen.
Auch auf das Interview mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Caren Miosga wurde eingegangen. Die Streichung des Pflegegrads I sei ein sehr unpopulärer Vorschlag, sagte Lauterbauch. Mit den Leistungen versuche man, auch höhere Pflegebedürftigkeit zu verhindern. »Somit wird aber da gespart, wo es um die Vorbeugung von sehr intensiver Pflege geht.« Dennoch sieht er die Notwendigkeit von Reformen im Gesundheitssystem.
Lauterbach wünscht sich konkret eine Reform des Gesundheitssystems, da es momentan »das teuerste in Europa mit der niedrigsten Lebenserwartung in Westeuropa« sei. Das System müsse effizienter werden, beispielsweise durch eine Reduzierung der Anzahl von Krankenhäusern.
Reformen müssten zu mehr Gerechtigkeit und Effizienz führen. »Es hilft nicht, einfach etwas zu streichen oder die Bürger mehr zahlen zu lassen für das, was ineffizient organisiert ist.« Die Bürgerinnen und Bürger spürten die große Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Dabei gehe es ihm um die Zweiklassenmedizin und die Pflegekosten, aber auch um andere Themengebiete wie Bildung und Miete. Er sieht in der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit auch den Grund dafür, dass die SPD viele Wählerinnen und Wähler verloren hat. Das Gerechtigkeitsproblem sei »der Elefant im Raum«.
Bei der Rentenreform sprach sich Lauterbach für eine Unterscheidung zwischen einkommensschwächeren und -stärkeren Bürgerinnen und Bürgern aus, da sie eine unterschiedliche Lebenserwartung haben. »Reformen, die mutig sind, bedeuten nicht, dass ich den Menschen mehr Geld abnehme, sondern dass ich das System effizienter mache.«
Er bereue, aus zeitlichen Gründen kein Vorbeugegesetz durchgesetzt zu haben. »Wir investieren weniger als fünf Prozent in Vorbeugung, dabei würde das die Gesundheit der Bevölkerung mehr verbessern als jedes andere Gesetz.« So würde das Gesundheitssystem Geld sparen.
Den Vorschlag des CDU-Wirtschaftsrats, dass die Krankenkassen Zahnbehandlungen und Kieferorthopädie nicht mehr zahlen, bezeichnete Lauterbach als »ungerecht und ohne Sinn«.
Apropos Prävention: Eine Auffrischung der Corona-Impfung steht für den SPD-Politiker noch aus. Vielleicht sieht man ihn heute bei der »Langen Nacht des Impfens« in einer Apotheke.
Lauterbach räumte auch mit den Äußerungen des US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. auf. Dieser hatte unlängst behauptet, Paracetamol könne während der Schwangerschaft zu Autismus führen. Lauterbach entwarnte. »Es zeigt einfach, in was für einem Zustand sich das Gesundheitssystem in den USA befindet. Solche Äußerungen von einem Gesundheitsminister hätte ich für vollkommen unmöglich gehalten«, sagte der Sozialdemokrat.
Auch die Krebs- und Demenzforschung leiden unter der Streichung von Forschungsmitteln in den USA. »Jetzt hofft die ganze Welt, dass die chinesische Forschung dieses Vakuum füllen kann, weil dort sehr viel investiert wird und sie über gute Fachkräfte verfügen.«
Im Gespräch ging es außerdem um BAföG, Handyverbote an Schulen und die Wehrpflicht.
Auch der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und heutige Fraktionsvorsitzende der Union war diese Woche zu Gast in derselben Show. In seinem Interview am Montag ging es um die Wahl der neuen Richter des Bundesverfassungsgerichts, die Erbschaftsteuer, die wirtschaftliche Lage des Landes sowie den Wehrdienst. Spahn geht davon aus, dass das Renteneintrittsalter schrittweise bis 2030 auf 67 Jahre und in den darauf folgenden Jahren sogar auf 70 Jahre angehoben wird. »Wenn wir immer länger leben, werden wir einen Teil dieser längeren Lebenszeit auch arbeiten müssen.«