Damit die Geburt nicht zum Trauma wird |
Laura Rudolph |
23.07.2024 16:20 Uhr |
Eine emotional unterstützende und respektvolle Geburtsbegleitung hat Studien zufolge einen starken protektiven Einfluss auf die seelische Gesundheit von Gebärenden. / Foto: Getty Images/ FatCamera
Eine Geburt ist ein körperlicher und seelischer Ausnahmezustand. Starke Schmerzen und ungewohnte Situationen können Gebärenden zusetzen. Viele Mütter erholen sich jedoch gut von den Strapazen der Geburt und berichten im Nachhinein von einem positiven Erlebnis.
Eine Entbindung kann jedoch auch seelische Narben hinterlassen. Das Gefühl, der Situation und den Geburtshelfenden hilflos ausgeliefert zu sein, übergriffiges Verhalten im Kreißsaal, Angst oder überdurchschnittliche Schmerzen können ein Trauma bei der Mutter auslösen. Das muss aber nicht so sein, wie die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) in einer Pressemitteilung betont, denn eine traumasensible Geburtsbegleitung kann traumatisierenden Erlebnissen vorbeugen.
»In der Geburtshilfe muss manchmal schnell reagiert werden, um Gefahren für Mutter und Kind abzuwenden. Dann weiß oft die Gebärende von allen Anwesenden am wenigsten darüber, was gerade entschieden wird und warum«, schreibt die DGPM. Ein Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit könne sich hier, aber auch während einer komplikationslosen Geburt einstellen – ein klassischer Risikofaktor für posttraumatischen Stress nach der Geburt.
»Wir gehen davon aus, dass mehr Frauen als allgemein angenommen ihre Geburt traumatisch erleben«, sagt Professor Dr. Kerstin Weidner, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik der TU Dresden. Studien zufolge leide rund jede achte Frau (12 Prozent) nach der Entbindung an posttraumatischen Stresssymptomen, 5 Prozent entwickelten sogar eine ausgereifte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). »Sie ist gekennzeichnet durch anhaltendes Bedrohungsempfinden, wiederholtes gedankliches Durchleben des Traumas und das Vermeiden möglicher Trigger-Situationen«, erklärt Weidner. Auch depressive Verstimmungen zählten zu den häufigen Symptomen.
Das könne sich auch negativ auf die Mutter-Kind-Beziehung auswirken: »In dieser Verfassung fällt es vielen Müttern schwer, eine befriedigende und stabile Bindung zu ihrem Kind aufzubauen«, so die DGPM-Expertin. Manche zögen sich zurück und könnten keine Muttergefühle entwickeln. Zugleich machten sie sich deswegen Selbstvorwürfe, was zusätzlich belaste.
Damit es gar nicht erst so weit kommt, ist es wichtig, dass sich das Geburtshilfeteam seiner Verantwortung bewusst ist und die Gebärende bestmöglich – auch emotional – unterstützt und soweit wie möglich auf ihre Bedürfnisse eingeht. »Wie die Geburt erlebt wird, wird wesentlich durch die Interaktion und Kommunikation des Fachpersonals mit der gebärenden Frau, aber auch dem Partner oder der Partnerin bestimmt«, erläutert Weidner.
Was Frauen unter der Geburt als traumatisch empfinden, kann individuell aber ganz unterschiedlich sein. Verallgemeinernde Aussagen seien deshalb nur schwer zu formulieren, so Weidner. Daher sollte das subjektive Erleben der Gebärenden stets im Vordergrund stehen. In Studien sei belegt, dass eine emotional unterstützende und respektvolle Geburtsbegleitung einen starken protektiven Einfluss habe.
Dazu gehört beispielsweise, dass das Geburtshilfeteam während der Geburt alle Behandlungsschritte erklärt und werdende Mütter so weit wie möglich in alle Entscheidungen mit einbezieht. Wichtig ist auch, Grenzen zu respektieren: Beispielsweise durch ein vereinbartes Stoppzeichen können Gebärende signalisieren, wenn ihnen etwas zu weit geht. »Als vermeidbare Trigger während der Geburt gelten außerdem das Gefühl, von den Fachkräften ignoriert zu werden, aber auch unangekündigte oder unsensible Untersuchungen«, so Weidner.
Unbedingt unterlassen sollte das Geburtshilfeteam harsche Anweisungen im Befehlston wie »Lassen Sie locker!« oder »Machen Sie die Beine breit!«. Dies ist nicht nur unempathisch. Es erinnere auch an die sogenannte Tätersprache, wenn die Frau biografische Gewalt erlebt hat, heißt es seitens der DGPM.
So weit wie möglich auf die Bedürfnisse und Grenzen von Gebärenden eingehen: »Diese Maßnahmen werden unter dem Schlagwort ›traumasensible Geburtshilfe‹ zusammengefasst und sollten im Kreißsaal Standard sein«, sagt Weidner. Voraussetzung hierfür sei allerdings eine ausreichende Anzahl gut geschulter Fachkräfte, die ohne Zeitdruck agieren können.
Frauen, die in der Vergangenheit bereits traumatisierende Geburtserfahrungen oder Gewalt in anderen Kontexten erlebt haben, benötigen unter Umständen eine besonders sensible Betreuung während der Geburt. Individuelle Triggerfaktoren, beispielsweise die Anwesenheit männlicher Fachkräfte im Kreißsaal, bestimmte Sinneseindrücke, Schmerzen, Untersuchungen oder Gebärpositionen können traumatische Erinnerungen wieder ins Gedächtnis rufen.
»Daher ist es sinnvoll, sowohl allgemeine als auch individuelle Risikofaktoren für ein traumatisches Geburtserleben zu kennen und Frauen mit erhöhtem Risiko zu identifizieren«, betont Weidner. Besonders häufig erlebten Frauen eine Geburt als traumatisch, wenn die Schwangerschaft ungeplant war, ihr Umfeld sie nur wenig unterstützt oder wenn sie bereits früher ein traumatisches Geburtserlebnis, einen Unfall oder eine körperliche, sexuelle oder emotionale Gewalterfahrung hatten.
Weidner plädiert daher dafür, bereits während der Schwangerschaftsvorsorge oder Geburtsvorbereitung gezielt nach einer Vortraumatisierung zu fragen. »Aber auch betroffene Frauen sollten wissen, dass es hilfreich ist, persönliche Gewalterfahrungen früh zu thematisieren«, so die Klinikdirektorin.
Nach der Geburt sollte die Mutter im Rahmen einer Nachbesprechung gefragt werden, wie sie die Geburt erlebt hat – und zwar am besten, bevor mögliche Traumasymptome überhaupt offensichtlich werden. »Es gibt Hinweise, dass ein offenes, empathisches Gespräch, Psychoedukation und das erklärende Aushändigen von Selbsthilfematerialen innerhalb von 72 Stunden oder auch die Vermittlung in weiterführende Angebote eine PTBS oder Depression verhindern und die Mutter-Kind-Bindung fördern können«, so Weidner.
Frauen mit Symptomen oder einem ausgeprägten Risikoprofil könnten so frühzeitig erkannt und an entsprechende Hilfsstellen weitergeleitet werden. »Hier, wie auch im Vorfeld der Entbindung, ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig«, so Weidner. Sie könne wesentlich dazu beitragen, dass mehr Mütter die erste Zeit mit ihrem Kind unbeschwert genießen könnten.