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Nachhaltigkeit fraglich
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Cochrane-Reviews zu GLP-1-Agonisten

Die Cochrane-Collaboration gilt allgemein als eine Art Hüterin des Heiligen Grals der evidenzbasierten Medizin. Nun hat sie sich die Inkretinmimetika Semaglutid, Liraglutid und Tirzepatid in der Indikation Adipositas vorgenommen. Diese seien (unterschiedlich gut) wirksam, stellt sie fest, bemängelt aber fehlende Langzeitdaten.
AutorKontaktAnnette Rößler
Datum 04.11.2025  10:01 Uhr

Die Anwendung der GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid und Liraglutid sowie des dualen GLP-1-/GIP-Rezeptoragonisten Tirzepatid führt bei Menschen mit Adipositas zu einem klinisch bedeutsamen Gewichtsverlust. Dieses Fazit zieht die Cochrane-Collaboration aus drei neuen Reviews zu den genannten Wirkstoffen, die am 30. Oktober online erschienen sind. Interessanter als diese Feststellung, die niemanden wirklich überraschen kann, ist dabei allerdings das, was die Autoren als offene Fragen benennen.

Die drei Arbeiten wurden im Auftrag und auf Rechnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt, um eine Grundlage für künftige WHO-Empfehlungen zum medikamentösen Gewichtsmanagement bei Menschen mit Adipositas zu legen (DOI: 10.1002/14651858.CD016018, 10.1002/14651858.CD015092.pub2, 10.1002/14651858.CD016017). Anhand der publizierten Evidenz quantifizieren die Autorenteams das Ausmaß des durchschnittlich zu erwartenden Gewichtsverlusts für die drei Wirkstoffe wie folgt:

  • Tirzepatid einmal wöchentlich führt nach 12 bis 18 Monaten zu einem Verlust von circa 16 Prozent des Ausgangsgewichts, der bei fortgesetzter Anwendung für bis zu 3,5 Jahre gehalten werden kann, wobei Langzeitdaten zur Sicherheit lückenhaft sind.
  • Semaglutid einmal wöchentlich führt nach 24 bis 68 Wochen zu einem Verlust von circa 11 Prozent des Ausgangsgewichts, der bei fortgesetzter Anwendung wahrscheinlich über zwei Jahre gehalten werden kann. Die Rate von leichten bis mittelschweren gastrointestinalen Nebenwirkungen war erhöht.
  • Liraglutid einmal täglich führt zu einem geringeren durchschnittlichen Gewichtsverlust von 4 bis 5 Prozent des Ausgangsgewichts, wobei nur wenig Anwendungsdaten über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus vorhanden waren.

Mehr unabhängige Evidenz gefordert

Diese Prozentzahlen sind deutlich geringer als jene, die mit den Wirkstoffen in Studien erzielt werden konnten – und hier ist man auch schon bei einem zentralen Kritikpunkt der Cochrane-Autoren: Sie bemängeln, dass die meisten Studien herstellerfinanziert waren, äußern Bedenken bezüglich möglicher Interessenkonflikte und betonen, dass unabhängige Forschung nötig sei.

Diese solle auch soziale und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen, etwa den Zugang von Menschen mit geringem Einkommen zu den Arzneistoffen, wenn diese nicht von der Krankenversicherung bezahlt werden. Denn es bestehe die Gefahr, dass sich Ungleichheiten in der Versorgung von Menschen mit Adipositas verstärken. Liraglutid ist bereits nicht mehr patentgeschützt, sodass preisgünstigere Generika verfügbar werden können. Semaglutid (bis 2026) und Tirzepatid genießen dagegen noch Patentschutz.

Bisher wurden Studien mit den Inkretinmimetika größtenteils mit Probanden aus Ländern mit mittlerem bis hohem Durchschnittseinkommen durchgeführt. Da sich die Ernährung, die Körperzusammensetzung und das Gesundheitsverhalten von Menschen in verschiedenen Weltregionen aber voneinander unterschieden, sei es wichtig, dass die Wirksamkeit auch beispielsweise in Afrika, Zentralamerika und Südostasien getestet wird. Last, but not least weisen die Autoren darauf hin, dass der erzielte Gewichtsverlust nach dem Absetzen der Wirkstoffe größtenteils reversibel ist, weshalb weiter untersucht werden müsse, welche Rolle sie im Langzeitmanagement betroffener Patienten spielen können.

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