Click-Chemie erstmals am Menschen getestet |
| Theo Dingermann |
| 19.07.2023 10:30 Uhr |
Das Prinzip der Click-Chemie, mit dem chemische Bausteine vergleichsweise einfach miteinander verbunden werden können, funktioniert ähnlich einer Gürtelschnalle. »Klickt« es einmal, ist die Verbindung fest. Nun wurde es erstmals am Menschen getestet. / Foto: Adobe Stock/bigpa
SQ3370 heißt die Entwicklungssubstanz, mit der erstmals das Sicherheitspotenzial eines Therapieansatzes in einer Phase-I-Studie überprüft wurde, der auf den Prinzipien der mit dem Nobelpreis 2022 geadelten Click-Chemie beruht. Die Studie wurde von Dr. Sangeetha Srinivasan und Kollegen des Unternehmens Shasqi Inc. in San Francisco durchgeführt und die Ergebnisse nun auf dem Preprint-Server »bioRxiv« publiziert. Die Publikation veranlasste zudem »Nature Biotechnology«, in einem News-Artikel das Thema »Clicked drugs« zu beleuchten und das gewaltige Potenzial der Technologie sowie die Aktivitäten auf diesem Gebiet zusammenzufassen.
SQ3370 ist ein Wirkstoffkonjugat, das aus dem Biopolymer SQL70 und dem Protodrug SQP33 besteht. Bei SQL70 handelt es sich um ein mit einem Tetrazin-Liganden modifiziertes Natriumhyaluronat-Polymer. Sein Reaktionspartner SQP33 ist ein Doxorubicin-Protodrug, dessen zytotoxische Aktivität durch Modifikation mit trans-Cycloocten massiv abgeschwächt ist. In vitro ist das SQP33-Protodrug etwa 82-mal weniger zytotoxisch als Doxorubicin selbst. Kommen beide Reaktionspartner in räumliche Nähe zueinander, wird das Protodrug SQP33 nach den Prinzipien der Click-Chemie durch eine kovalente Reaktion zwischen Tetrazin und Cycloocten aktiviert. In der Folge wird Doxorubicin freigesetzt, das dann seine volle Toxizität entfalten kann.
Die Forschenden präsentieren in ihrer Arbeit Daten präklinischer Studien (siehe Kasten) sowie einer Phase-I-Dosisfindungsstudie (NCT04106492), die die Aktivierung von SQ3370 an verschiedenen Tumorstellen sowie die Sicherheit, systemische Pharmakokinetik (PK) und immunologische Aktivität belegen.
Die einarmige, offene Phase I/IIa-Studie wurde an mehreren klinischen Standorten in den Vereinigten Staaten und Australien durchgeführt. Die 39 Patienten waren überwiegend weiß (87 Prozent) und männlich (48 Prozent) mit einem mittleren Alter von 59 Jahren. Die Mehrzahl der Patienten (65 Prozent) war an einem Sarkom erkrankt.
Sie erhielten an Tag 1 eine intratumorale Injektion des Biopolymers SQL70 in eine einzelne Läsion und an den Tagen 1 bis 5 des 21-tägigen Behandlungszyklus einmal täglich eine intravenöse Infusion von SQP33.
Bemerkenswert war das Immunzellprofil der Tumorbiopsien derjenigen Patienten, die mehr als eine 2,8-fache Doxorubicin-Dosis erhalten hatten. Bei diesen Patienten zeigten die Tumorbiopsien nach einem Zyklus von SQ3370 einen Anstieg der Zelldichte von Granzyme B+ CD3+ und Granzyme B+ CD8+ T-Zellen, was auf eine erhöhte zytotoxische Lymphozytenaktivität in den Tumoren schließen lässt.
Der Anstieg der zytotoxischen Aktivität korrelierte mit einer tendenziellen Zunahme der Apoptose von Tumorzellen, die durch die Färbung von gespaltener Caspase-3 (CC3) bestätigt wurde. Diese beobachteten Auswirkungen auf die immunologische Mikroumgebung des Tumors bestätigen frühere präklinische Befunde einer erhöhten T-Zell-Infiltration in den Tumor nach der Behandlung mit SQ3370.
SQ3370 ist das erste Beispiel für ein Medikament auf Basis der Click-Chemie, das in präklinischen Studien konsistente PK-, Sicherheits- und Toxizitätsprofile zeigte, und in einer klinischen Phase-I-Studie am Menschen trotz einer stark vorbehandelten Patientenpopulation mit rezidivierten und refraktären Tumoren zu ähnlichen Ergebnissen führte. Die durch diesen Ansatz einsetzbaren, sehr hohen Wirkstoffdosen führten zu einer neuartigen Immunaktivierung. Unter anderem diese Aspekte werden im laufenden Phase-IIa-Teil der Studie weiter erforscht.
Die präklinischen Untersuchungen wurden an tumortragenden Mäusen und gesunden Hunden untersucht. Bei den Mäusen, bei denen das SQL70-Biopolymer direkt an der Tumorstelle injiziert wurde, wurde eine signifikant stärkere Antitumorreaktion beobachtet als bei Mäusen, bei denen SQL70 an einer distalen Stelle injiziert wurde oder bei Mäusen, die herkömmliches Doxorubicin erhielten. Zudem war das mittlere Gesamtüberleben bei Mäusen, denen das Biopolymer an der Tumorstelle appliziert worden war, im Vergleich zu den Kontrollen signifikant verbessert, was darauf hindeutet, dass die Lokalisierung des Biopolymers an der Tumorstelle eine wichtige Rolle bei der Krankheitskontrolle spielt. Bemerkenswert war, dass die Anti-Tumor-Antwort und das Gesamtüberleben bei distaler SQ3370-Behandlung ähnlich waren wie bei der Doxorubicin-Kontrollbehandlung.
Bei naiven, nicht tumortragenden Hunden wurde das Biopolymer SQL70 als subkutane Injektion verabreicht, gefolgt von fünf täglichen Dosen des Prodrugs SQP33 und einer 23-tägigen Erholungsphase. Die höchste nicht schwer toxische Dosis (HNSTD) von SQ3370 betrug bei den Hunden 8,9 mg/kg/Zyklus Doxorubicin-Moläquivalente (Dox-Eq), was dem 8,9-fachen der tierärztlichen Standarddosis von Doxorubicin bei Hunden (1 mg/kg/Zyklus) entspricht.
Bemerkenswert war, dass bei Hunden keine SQ3370-bedingte Kardiotoxizität auftrat. Die alleinige Verabreichung von SQP33 in einer Dosierung von 8,9 mg/kg/Zyklus Dox-Eq, ohne Biopolymer, führte zudem zu keiner erkennbaren unerwünschten Wirkung. Wurde das Biopolymers SQL70 ohne das Protodrug gespritzt, trat eine entzündliche Reaktion an der Injektionsstelle auf, jedoch ohne dass eine nennenswerte Gewebereizung beobachtet wurde. Zudem waren alle Reaktionen an der Injektionsstelle während der Erholungsphase reversibel.
Die Bindung des Prodrugs an das Biopolymer und damit verbundene Umwandlung in aktives Doxorubicin war sowohl am Tag 1 als auch am Tag 5 zu beobachten. An Tag 1 war die Cmax von SQP33 in Gegenwart des SQL70-Biopolymers signifikant reduziert. Gleichzeitig stieg die Doxorubicin-Konzentration im Plasma an, was auf eine effiziente Aktivierung hindeutet. Dies spiegelt sich auch in den Plasmakonzentrations-Zeit-Kurven wider. Gleichzeitig war SQP33 bereits nach 5 Minuten im Plasma nicht mehr nachweisbar. In Abwesenheit des Biopolymers hatte SQP33 eine Plasmahalbwertszeit von etwas mehr als 0,6 Stunden.
Am fünften Tag war die Cmax von SQP33 in Anwesenheit des Biopolymers verglichen mit der Cmax bei alleiniger Applikation von SQP33 um 26,5 Prozent reduziert. Bei Tieren, die mit SQ3370, das heißt mit dem SQL70-Biopolymer plus SQP33 behandelt wurden, waren die durchschnittlichen Cmax-Werte von Doxorubicin im Plasma etwa 33-fach und 2,4-fach höher als bei Tieren, die an Tag 1 beziehungsweise Tag 5 nur mit dem SQP33-Protodrug behandelt wurden.