CAR-T als Medikament von der Stange |
Theo Dingermann |
06.06.2025 10:30 Uhr |
CAR-T-Zellen sind darauf spezialisiert, Tumorzellen anzugreifen. / © Getty Images/ Artur Plawgo/Science Photo Library
Chimeric Antigen Receptor T-Zelltherapien (CAR-T-Zelltherapien) nutzen die Aktivitäten der schärfsten Waffe des Immunsystems, die zytotoxischen T-Zellen. Ständig durchsuchen diese Zellen den Körper nach defekten oder infizierten Zellen, die ungewöhnliche Proteine exprimieren, um sie dann mit einem giftigen Molekülcocktail zu attackieren und zu zerstören. Tumorzellen gelingt es allerdings häufig, sich vor T-Zellen zu schützen, indem sie Mechanismen aktivieren, die das Immunsystem entschärfen und die natürliche Funktion der T-Zellen unterdrücken.
Dieses Problem lässt sich mit CAR-T-Zellen umgehen. Diese Zellen wurden im Reagenzglas mit artifiziellen Rezeptoren, eben den chimären Antigen-Rezeptoren, ausgestattet. Diese erkennen die Strukturen auf der Oberfläche der Tumorzellen unter Umgehung der zellulären Schutzmechanismen. Damit die so veränderten T-Zellen nicht selbst vom Immunsystem angegriffen werden, müssen sie allerdings aus dem Blut des Patienten, der die Therapie erhalten soll, isoliert und exklusiv für diesen Patienten modifiziert werden. Um Platz für die Vermehrung der modifizierten Zellen zu schaffen, erhalten die Patienten vor der CAR-T-Behandlung zudem eine Chemotherapie, um unbearbeitete T-Zellen zu eliminieren.
Diese personalisierten Therapien sind nachvollziehbar teuer (in den USA circa 500.000 US-Dollar pro Dosis, in Deutschland etwa 120.000 Euro pro Dosis), denn nur wenige Laboratorien weltweit verfügen über die Möglichkeit, die Modifikationen an den isolierten T-Zellen sicher durchzuführen.
Das könnte sich ändern, wie die Journalistin Cassandra Willyard aktuell in einem Beitrag im Wissenschaftsjournal »Nature« schreibt. Demnach zeichnet sich ein neuer Trend ab, CAR-T-Zellen nicht mehr im Labor herzustellen, sondern direkt im Körper des zu behandelnden Patienten zu generieren. Dies gelingt, indem die Bauanleitung für den artifiziellen T-Zell-Rezeptor den Immunzellen zugeführt wird, sodass diese das Protein synthetisieren und in die Zellmembran integrieren können.
Dies hat große Vorteile. Es entfällt die aufwendige personalisierte Modifikation der patientenspezifischen T-Zellen im Labor. Stattdessen lassen sich die erforderlichen Komponenten auf Vorrat herstellen und lagern, sodass Wartezeiten für Produktion und Transport entfallen.
Da erscheint es nur plausibel, dass die Kosten für die Therapie deutlich geringer ausfallen. Schließlich wird auch den Patienten die fordernde ablative Chemotherapie erspart, die bei reinfundierten veränderten CAR-T-Zellen erforderlich ist.
Eine zentrale Herausforderung eines In-vivo-Verfahrens besteht allerdings darin, gezielt ausschließlich T-Zellen zu modifizieren. Verschiedene Firmen, die diese neue Option vorantreiben, verfolgen ganz unterschiedliche Strategien. Beispielsweise werden Lentiviren als Vektoren eingesetzt, die das CD7-Antigen auf T- und NK-Zellen ansteuern (Interius BioTherapeutics). Ein anderes Unternehmen (Umoja Biopharma) verwendet lentivirale Vektoren mit multiplen Liganden zur gleichzeitigen Bindung an drei T-Zell-Rezeptoren (CD3, CD58 und CD80), um die natürliche Aktivierung zu imitieren.
Zwar sind diese Verfahren effizient. Allerdings birgt eine Lentivirus-vermittelte Gentransduktion Restrisiken. Denn die Integration der CAR-Gene erfolgt zufällig im Genom. Somit stellen ungewollte Insertionsmutagenesen (Genveränderungen durch Einfügen der Fremd-DNA in das Genom) und daraus resultierende Sekundärtumoren ein potenzielles Risiko dar.
Einige Firmen setzen statt auf virale Vektoren auf eine Nanopartikel-vermittelte RNA-Transduktion. Dabei wird die mRNA für das CAR-Protein nur transient exprimiert. Hier kommt es nicht zu einer Integration fremden genetischen Materials in das Genom der Zellen, weshalb auch keine Insertionsmutagenesen zu befürchten sind. Zudem lässt sich die Behandlung wegen der Kurzlebigkeit der RNA bei Komplikationen auch schnell terminieren.
Andererseits kann die Therapie auch beliebig oft wiederholt werden, ganz analog zu klassischen Medikamenten.
Mehrere klinische Studien zu In-vivo-CAR-T-Therapieansätzen wurden bereits initiiert. So berichtete das Unternehmen Interius über positiv verlaufende Therapien von Non-Hodgkin-Lymphom-Patienten. Das Unternehmen Umoja rekrutiert Patienten in China und den USA, um in einer Phase-I-Studie die Sicherheit seines Kandidaten UB-VV111 zu testen. Das belgische Unternehmen EsoBiotec, in das sich erst kürzlich Astra-Zeneca einkaufte, meldete das vollständige Verschwinden von Tumorzellen nach einem Monat bei einem Patienten mit multiplem Myelom in einer chinesischen Studie.
RNA-basierte Studien von Capstan, einem in San Diego, Kalifornien, angesiedelten Unternehmen, und Orna Therapeutics, einem Biotechnologieunternehmen in Watertown, Massachusetts, testen den Einsatz ihrer Technologie bei malignen Erkrankungen, aber auch bei Autoimmunerkrankungen. Einen Durchbruch bei dieser Indikation mithilfe der klassischen Ex-vivo-CAR-T-Zelltherapie erzielten vor einiger Zeit Forschende aus Erlangen. Beide Unternehmen hoffen, dass ihre Technologie nicht nur die Kosten, sondern auch die Nebenwirkungen im Vergleich zu den Ex-vivo-Ansätze reduziert.
Die CAR-T-Therapie scheint vor einer potenziellen Revolution zu stehen. Von aufwendig und personalisiert zeigen die neuen in-vivo-Ansätze hin zu kostengünstig, lagerfähig und breit verfügbar. Allerdings steht die klinische Validierung dieser Technologien noch aus. Besonders spannend ist hier der Wettlauf zwischen viralen und RNA-basierten Strategien in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Praktikabilität.