Cannabisunternehmen befürchten Pleitewelle |
Die Teillegalisierung hat der Cannabisbranche einen Boom beschert. Eine Aufhebung des Cannabisgesetzes könnte drastische Folgen haben. / © Demecan
Seit 1. April gilt Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel, auch nicht bei therapeutischer Nutzung. Erwachsene dürfen bis zu 25 Gramm Cannabis zu Genusszwecken in der Öffentlichkeit bei sich haben und bis zu drei Cannabis-Pflanzen zum Eigenkonsum anbauen. Zulässig sind auch nicht-kommerzielle »Anbauvereinigungen«, die unter Auflagen die Droge an ihre Mitglieder abgeben dürfen. Für Jugendliche unter 18 Jahren bleibt Cannabis hingegen verboten.
Seit der Teillegalisierung boomt die Branche. Mittlerweile machen Privatverordnungen 80 Prozent der Cannabis-Rezepte aus, informierte Christiane Neubaur vom Verband der Cannabis versorgenden Apotheken im Sommer. Ein Grund dafür ist, dass zunehmend Telemedizinanbieter Selbstzahlern Rezepte für medizinisches Cannabis ausstellen.
Das Cannabisunternehmen Bloomwell Group meldete heute, dass die Zahl der Verordnungen von März bis Dezember 2024 um über 1000 Prozent gestiegen sei. Dafür hatte der Anbieter die eigene Verschreibungsplattform ausgewertet. Parallel seien seit Juni die Preise durch die hohe Nachfrage stark gesunken. Im Oktober und November lag der günstigste Preis für ein Gramm medizinisches Cannabis laut Bloomwell bei 3,99 Euro.
In ihrem Wahlprogramm hat die Union angekündigt, das Cannabisgesetz und damit die Teillegalisierung von Genusscannabis wieder aufzuheben. Kann sie dies nach der Bundestagswahl am 23. Februar durchsetzen, befürchten Unternehmen der Cannabisbranche laut »Handelsblatt«-Bericht eine Pleitewelle.
Aber auch Anbieter von medizinischem Cannabis erwarten demnach massive negative Folgen, wenn Cannabis wieder wie früher als Betäubungsmittel eingestuft werde. Dann könnten nur noch bestimmte Ärzte Cannabis etwa als Schmerzmittel verordnen.
Laut David Henn, Chef des Pharmaunternehmens Semdor Pharma, zu dem das Cannabisunternehmen Cannamedical gehört, würde eine Rücknahme des Gesetzes ein »Erdbeben für die Branche« bedeuten. In der Folge würden 70 Prozent der deutschen Cannabis-Unternehmen innerhalb von zwölf Monaten vom Markt verschwinden. Aber auch viele Cannabisanbauer unter anderem aus Europa würden vor dem Ruin stehen, warnt Henn.
Cantourage-Chef Philipp Schetter geht davon aus, dass sich die Verordnungen von medizinischem Cannabis deutlich langsamer entwickeln würden, falls Cannabis wieder als Betäubungsmittel eingestuft werde. Das börsennotierte Unternehmen hatte seinen Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr auf 51,4 Millionen verdoppelt – auch wegen der Kunden, die über die eigene Telemedizin-Plattform Telecan kamen.
Eine Rücknahme des Cannabisgesetzes hätte auch negative Auswirkungen auf die langjährigen Cannabis-Patienten, argumentiert Semdor Pharma-Chef Henn. Diese müssten möglicherweise Ausfälle bei der Belieferung hinnehmen. Das könne insbesondere dann problematisch sein, wenn sie auf bestimmte Sorten eingestellt seien.
Im »Handelsblatt«-Bericht kommen aber auch andere Stimmen zu Wort. So meint Marla Luther vom Cannabisunternehmen Avextra, dass die Rücknahme der Teillegalisierung für den privaten Gebrauch nicht zwingend nachteilig für langjährige Patienten sei. Vielmehr könne so der Fehlentwicklung, dass sich auch Freizeitkonsumenten über telemedizinische Sprechstunden Rezepte besorgen, entgegengewirkt werden. »Der Boom beim Blütenabsatz in solchen Geschäftsmodellen ist ja nie vom Gesetzgeber gewollt worden. Ganz ursprünglich ging es bei Cannabis für den therapeutischen Einsatz um das Ziel, dass in diesem Bereich mehr Fertigarzneimittel erforscht und zugelassen werden«, sagt Luther laut «Handelsblatt«.
Unklar ist auch, wie es unter einer neuen Bundesregierung mit den Cannabis-Modellregionen weitergeht, in denen der Verkauf von Genusscannabis in lizenzierten Geschäften oder Apotheken erprobt werden soll. Mehrere Großstädte haben bereits die Absicht erklärt, Cannabis-Modellregion zu werden. Frankfurt am Main und Hannover wollen Cannabis zu Genusszwecken in Geschäften verkaufen, genauso wie drei Berliner Bezirke. Die Stadt Wiesbaden will den Cannabisverkauf in Apotheken testen.
Ein Forschungsprojekt zur wissenschaftlichen Untersuchung der Abgabe von Konsumcannabis in Apotheken ist auch im Kreis Groß-Gerau geplant. Dazu unterzeichneten die Beteiligten am 19. Dezember eine Absichtserklärung. Wie eine Sprecherin informierte, will der Landkreis Anfang Februar einen entsprechenden Antrag bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) stellen. Das Modellprojekt will der Kreis gemeinsam mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Cansativa Group umsetzen.
Alle vier Jahre wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Wir berichten mit Blick auf die Gesundheitspolitik und die Auswirkungen für die Apotheken.