Cannabis im Aufwind? |
Theo Dingermann |
16.09.2025 17:38 Uhr |
Dr. Christiane Neubaur ist Apothekerin und Geschäftsführerin des Verbands der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA). Sie sprach in der Pharma-World bei der Expopharm auch über unerwünschte Folgen der Entlassung von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz. / © PZ/Alois Müller
Seit dem 1. April 2024 gilt Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel (BtM), entsprechende Verordnungen müssen daher nicht mehr auf BtM-Rezept ausgestellt sein. Seitdem fällt unter anderem auf, dass eine Vielzahl neuer telemedizinischer Plattformen, die Cannabis verschreiben, gewissermaßen wie Pilze aus dem Boden schießen. Inzwischen bieten diesen fragwürdigen Dienst mehr als 40 Plattformen an.
»Prinzipiell kann Telemedizin sinnvoll und notwendig sein«, sagte Neubauer. Allerdings sei die Praxis von manchen dieser Plattformen, die Rezepte lediglich auf Basis von Fragebögen auszustellen, nicht nur inakzeptabel, sondern auch am Rande der Legalität. Denn dieses Vorgehen widerspreche den Vorgaben der Musterberufsordnung und stelle weder eine seriöse ärztliche Behandlung noch eine rechtlich einwandfreie Verschreibung dar. Um Apotheken rechtlich abzusichern, hat der VCA ein Gutachten erstellen lassen, aus dem klar hervorgeht, dass vor allem direkte Kooperationsverträge mit fragwürdigen Anbietern für Apotheken beträchtliche Risiken bergen.
Aber nicht nur hier lägen Fallstricke für die Apotheken, so Neubauer. So sei es beim Umgang mit Cannabisblüten besonders wichtig, die Qualitätszertifikate sorgfältig zu prüfen, insbesondere hinsichtlich mikrobiologischer Belastungen. »Denn leider sei ist unter anderem eine Folge der vielfach zu Niedrichstpreisen angebotenen Blüten, dass diese mikrobiologisch verunreinigt sind.« Dies könne besonders für immunsupprimierte Patientinnen und Patienten gefährlich sein.
Um das notwendige Fachwissen zu bündeln und versorgende Apotheker entsprechend zu schulen, hat der Verband die VCA-Akademie gegründet, die durch praxisnahe Fortbildungen Apotheken qualifiziert und die erworbene Kompetenz auch durch ein Sigel sichtbar macht.
Auf politischer Ebene wurde die Fachöffentlichkeit zuletzt durch einen unerwartet früh veröffentlichten Referentenentwurf aufgeschreckt, der unter anderem ein Verbot des Online-Versands und der telemedizinischen Verschreibung von Cannabisblüten vorsieht. Diese Vorschläge kritisiert der VCA als zu restriktiv und argumentiert, dass sie die Versorgung schwerkranker oder immobiler Patientinnen und Patienten gefährden könnten. »Selbstkritisch muss aber auch anerkannt werden, dass die Importmenge an Cannabis so stark gestiegen ist, dass berechtigte Zweifel an einer rein medizinischen Nutzung bestehen«, so Neubaur. Das mache eine schärfere Abgrenzung zwischen Patienten und Konsumenten notwendig.
Neubauer kritisierte das Fehlen der zweiten Säule der Cannabisreform in Form spezialisierter Fachgeschäfte. Während Eigenanbau und Cannabis-Clubs nur unzureichend umgesetzt wurden, eröffnet die Forschungsklausel die Möglichkeit, Konsumcannabis in wissenschaftlich begleiteten Modellprojekten über Apotheken abzugeben. Erfolgreiche Beispiele aus der Schweiz zeigen, dass eine klare Trennung von medizinischem Gebrauch und Freizeitkonsum machbar wäre und gleichzeitig wissenschaftliche Daten zur Evaluation erhoben werden könnten.
Die Referentin betonte, dass Verbote allein nicht zielführend seien; Modellprojekte stellten die bessere Option dar. Apotheken könnten dabei eine zentrale Rolle übernehmen.