Cannabis-Extrakt punktet gegen Rückenschmerzen |
Daniela Hüttemann |
29.09.2025 18:00 Uhr |
Chronische Rückenschmerzen werden noch allzu oft mit Opioiden behandelt – auch mangels evidenzbasierter Alternativen. / © Getty Images/Daniel de la Hoz
Heute wurden die Phase-III-Ergebnisse für den Cannabis-Vollspektrum-Extrakt VER-01 der deutschen Firma Vertanical im Journal »Nature Medicine« publiziert. Das Fertigarzneimittel basiert auf der Cannabis-sativa-Züchtung DKJ127 und ist auf 5 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) standardisiert. Eine Dosiseinheit enthält 2,5 mg THC, 0,02 mg Cannabidiol (CBD) und 0,1 mg Cannabigerol. Darüber hinaus sind Terpene, Flavonoide, Carotine, Phytosterole und weitere bioaktive Komponenten enthalten; Auszugsmittel ist Sesamöl.
An der Studie nahmen 820 Personen mit chronischen Schmerzen im unteren Rücken teil. In den ersten zwölf Wochen erhielten 426 von diesen ein Placebopräparat mit Cannabis-Aroma, 394 bekamen den Cannabis-Extrakt. Die optimale Dosis wurde individuell über eine dreiwöchige Eintitrierungs-Phase ermittelt. Sofern das Studienprodukt gut vertragen wurde, wurde die Dosis alle drei Tage um eine Dosiseinheit morgens und eine Dosis-Einheit abends erhöht, bis der Teilnehmende entweder eine ausreichende Linderung der Symptome verspürte oder die maximale Tagesdosis von 13 Dosis-Einheiten erreicht hatte.
Primärer Endpunkt war die Schmerzreduktion innerhalb von zwölf Wochen, sekundärer Endpunkt die Erfassung neuropathischer Schmerzen, unter denen 22 Prozent der Teilnehmenden litten. Anschließend erfolgte eine sechsmonatige Open-Label-Verlängerung (Phase B) und daran anschließend entweder eine Fortführung der Therapie um weitere sechs Monate (Phase C) oder ein randomisiertes Absetzen (Phase D).
Die Patienten schätzten selbst ihre Schmerzintensität auf einer Skala von 0 bis 10 ein. Im Schnitt lag der Ausgangswert bei 6,1 in der Verum- und 6,0 in der Placebogruppe. 23,5 Prozent der Teilnehmenden hatten einen Ausgangsscore über 7 und damit starke Schmerzen.
Unter dem Cannabis-Extrakt reduzierten sich die Schmerzen über drei Monate im Schnitt um 1,9 Punkte, gegenüber minus 0,6 Punkten unter Placebo. In Phase B, den ersten sechs Verlängerungsmonaten, sanken die Schmerzen noch einmal um weitere 1,1 Punkte unter VER-01. Auch bei neuropathischen Schmerzen war der Cannabis-Extrakt signifikant wirksamer als Placebo.
Der Extrakt wurde relativ gut vertragen, auch wenn 83,3 Prozent der Probanden von Nebenwirkungen berichten (67,3 Prozent unter Placebo). Diese waren aber meist mild bis moderat. Dazu zählten kurzzeitige Benommenheit, exzessive Schläfrigkeit und Übelkeit in der ersten Behandlungsphase. Was dagegen nicht beobachtet wurde, waren Dosiseskalationen, Missbrauch, Abhängigkeit oder Entzugssymptome.
»Die Ergebnisse unterstreichen die Fähigkeit von VER-01, Schmerzen zu lindern, ohne dass dabei das Risiko einer Abhängigkeit und die schädlichen Folgen auftreten, die häufig mit Opioiden verbunden sind«, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung von »Nature Medicine«. »Angesichts der hohen Prävalenz chronischer Schmerzen im unteren Rückenbereich und des globalen Ausmaßes der Opioidkrise unterstreichen diese Ergebnisse eine vielversprechende, nicht süchtig machende Strategie zur Schmerzbehandlung für den klinischen Einsatz.«
»Dies ist eine hervorragende Studie. Wir haben lange argumentiert, dass Studien zu Cannabis oder Substanzen auf Cannabisbasis ein hohes Maß an Evidenz liefern müssen: Hier ist sie«, kommentiert der Neurowissenschaftler Dr. Jan Vollert von der University of Exeter gegenüber dem »Science Media Center« als unabhängiger Experte. »Es handelt sich zwar nur um eine einzige Studie, und wir benötigen weitere Untersuchungen, um die Ergebnisse zu bestätigen, aber dies ist ein gutes Zeichen dafür, dass der Wirkstoff Patienten helfen könnte.« Er betont auch den Vorteil gegenüber dem Rauchen von Cannabis.
Gemäß Informationen auf der Website des Unternehmens läuft das Zulassungsverfahren in der EU bereits für die Indikation chronischer Rückenschmerz. Angestrebt werden auch Zulassungen bei Arthrose und diabetischer peripherer Neuropathie.