| Sven Siebenand |
| 27.12.2025 08:00 Uhr |
Hoffnungsträger Lenacapavir / © Adobe Stock/Christian
Einige neue Wirkstoffe haben die EU-Zulassung bereits in der Tasche, für andere hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA eine Zulassungsempfehlung ausgesprochen. Bei einer dritten Gruppe von Arzneistoffen ist zu erwarten, dass der Zulassungsantrag zeitnah bei der EMA eingereicht werden wird. Insbesondere die Substanzen der ersten beiden Klassen sind heiße Kandidaten dafür, dass sie bald auf den Markt kommen.
Bereits zugelassen sind zum Beispiel die Präparate Sunlenca® und Yeytuo®. Sie enthalten beide den antiviralen Wirkstoff Lenacapavir. Dieser weist einen neuen Wirkmechanismus auf. Lenacapavir stört die Funktion des Kapsids von HI-Viren, indem es an die Monomere des Kapsids bindet und damit die Virusreplikation stört.
Sunlenca ist in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneistoffen zur Behandlung von Erwachsenen mit einer multiresistenten HIV-1-Infektion zugelassen, wenn kein anderes supprimierendes antivirales Regime zusammengestellt werden kann.
Yeytuo ist das interessantere Medikament, denn es ist für die HIV-Präexpositionsprophylaxe (HIV-PrEP) zugelassen. Das Besondere daran: Es muss in der Erhaltungsphase nur einmal pro Halbjahr subkutan injiziert werden. Wichtig für die HIV-PrEP mit Lenacapavir: Alle Personen müssen vor Beginn der Behandlung, vor jeder weiteren subkutanen Gabe und zusätzlich, wenn es klinisch angezeigt ist, auf HIV-1 getestet werden.
Im Herbst 2025 hat die EU-Kommission die Zulassung für den Wirkstoff Zuranolon (Zurzuvae®) für Frauen mit einer postpartalen Depression ausgesprochen. Es ist das erste Medikament in der EU, das für dieses Anwendungsgebiet zugelassen wurde. Man geht davon aus, dass bei einer postpartalen Depression der plötzliche Abfall des Progesteron- beziehungsweise Allopregnanolon-Spiegels nach der Entbindung eine Rolle spielt. Zuranolon ist ein synthetisches Analogon von Allopregnanolon. Die Wirkung beider Substanzen hängt vermutlich mit einer positiven allosterischen Modulation von GABAA-Rezeptoren zusammen.
Patientinnen müssen Zuranolon einmal täglich abends mit einer fetthaltigen Mahlzeit einnehmen. Die empfohlene Tagesdosis sind 50 mg Zuranolon, die 14 Tage lang als einmaliger Behandlungszyklus eingenommen wird.
Zuranolon ist das erste Medikament in der EU, das explizit für die Indikation postpartale Depression zugelassen wurde. / © Shutterstock/Pixel-Shot
Wie Zuranolon ist auch Brensocatib (Brinsupri™) die erste zugelassene Substanz in einer bestimmten Indikation: Der Wirkstoff kommt zur Behandlung von Bronchiektasen, die nicht durch zystische Fibrose verursacht werden, zum Einsatz. Bronchiektasen sind dauerhafte Erweiterungen und Aussackungen der Atemwege. Ursache sind in der Regel Entzündungen, die die Bronchialwände und das elastische Bindegewebe der Lunge angreifen.
Brensocatib ist ein Inhibitor des Enzyms Dipeptidylpeptidase-1 (DPP-1). DPP-1 aktiviert proinflammatorische neutrophile Serinproteasen (NSP) während der Neutrophilenreifung im Knochenmark. Brensocatib reduziert die Aktivität von spezifischen NSP, die an der Pathogenese der Bronchiektasen beteiligt sind, darunter neutrophile Elastase, Cathepsin G und Proteinase 3. Die empfohlene Dosis beträgt 25 mg einmal täglich oral.
Mit Clascoteron (Winlevi®) könnte im Jahr 2026 auch ein neues Akne-Medikament auf den deutschen Markt kommen. Die Creme ist zugelassen für die Behandlung von Akne vulgaris bei Erwachsenen sowie bei Jugendlichen im Alter von 12 bis unter 18 Jahren nur für Akne vulgaris im Gesicht.
Clascoteron ist ein Androgenrezeptor-Inhibitor. In-vitro-Studien haben gezeigt, dass die Substanz die Wirkung von Androgenen in Sebozyten antagonisiert. Hierdurch unterdrückt es die Talgproduktion sowie -ansammlung und reduziert Entzündungsmediatoren, die als Auslöser der Akne-Pathogenese bekannt sind. Patienten müssen die Creme zweimal täglich morgens und abends gleichmäßig dünn auftragen. Zwischen den Anwendungen sollten mindestens acht Stunden verstreichen.
Zu den neuen Wirkstoffen des Jahres werden vermutlich wieder zahlreiche Onkologika gehören. Eines davon: Zanidatamab (Ziihera®). Der bispezifische Antikörper greift mit beiden Fangarmen zum HER2-Rezeptor und bindet gleichzeitig an die extrazellulären Domänen 2 und 4 auf separaten HER2-Monomeren. Dies führt zur Internalisierung des Antikörper-Rezeptor-Komplexes und reduziert in der Folge die HER2-Rezeptordichte auf der Oberfläche von Tumorzellen. Zudem werden eine antikörperabhängige zelluläre Zytotoxizität und Phagozytose induziert. Diese Mechanismen hemmen das Krebswachstum und führen zum Absterben von Tumorzellen.
Zanidatamab wird infundiert und ist als Monotherapie zur Behandlung von Erwachsenen mit inoperablem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem HER2-positiven biliären Karzinom indiziert, die zuvor mindestens eine systemische Therapie erhalten haben. Dazu zählen Karzinome der Gallenblase und der Gallenwege (Cholangiokarzinom).
Mit einer Zulassungsempfehlung ausgestattet ist das Teplizumab-haltige Präparat Teizeild™. Es handelt sich um die erste immunmodulatorische Therapie bei Typ-1-Diabetes. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA plädiert dafür, den Antikörper bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten ab acht Jahren, die sich im Stadium 2 von Typ-1-Diabetes befinden, zuzulassen. Der Antikörper soll den Übergang in Stadium 3 herauszögern. Teplizumab bremst den Autoimmunprozess, der für den Untergang insulinproduzierender Zellen in der Bauchspeicheldrüse verantwortlich ist. Dann dauert es länger, bis ein Typ-1-Diabetes manifest wird.
Der Antikörper Teplizumab soll den diabetogenen Autoimmunprozess im Pankreas bremsen und damit die Manifestation eines Typ-1-Diabetes hinauszögern. / © Getty Images/SDI Productions
Das Target von Teplizumab ist das CD3-Protein, das Teil des T-Zell-Rezeptors auf T-Lymphozyten ist. Das Andocken führt zur Deaktivierung von autoreaktiven T-Lymphozyten, die die Betazellen der Bauchspeicheldrüse angreifen. Zugleich soll der Antikörper den Anteil der Zellen erhöhen, die helfen, die Immunreaktion zu dämpfen. Teplizumab wird an 14 aufeinanderfolgenden Tagen einmal täglich intravenös infundiert. Dieser Behandlungszyklus erfolgt nur einmal.
Für eine Reihe von neuen Wirkstoffen liegt bei der EMA ein Zulassungsantrag vor. Interessant ist zum Beispiel das für die Alzheimer-Behandlung gedachte Blarcamesin.
Anders als die beiden im Jahr 2025 eingeführten Alzheimer-Antikörper Lecanemab und Donanemab ist Blarcamesin ein kleines Molekül und oral verfügbar. Es ist ein Agonist am Sigma-1-Rezeptor, der die Autophagie ankurbeln und damit schädliche Proteinablagerungen im Gehirn reduzieren soll. Im Dezember 2025 hat der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA sich gegen die Zulassung ausgesprochen. Der Hersteller kündigte aber an, auf jeden Fall eine Re-Examination zu beantragen. Das heißt: Im Frühjahr 2026 wird sich zeigen, ob es zur Zulassung kommt oder nicht.
Innovativ ist auch Ensifentrin, das für die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) entwickelt wurde und dessen Zulassung ebenfalls beantragt ist. Es handelt sich um einen doppelten Phosphodiesterase-Hemmer. Er hemmt die Enzyme PDE-3 und -4. Antientzündliche Wirkung und Bronchodilatation werden damit in einem Molekül kombiniert. Die antiinflammatorische Wirkung kommt – wie bei dem bereits verfügbaren COPD-Medikament Roflumilast – durch die Blockade der PDE-4 zustande, die für die Funktion der Immunzellen eine wichtige Rolle spielt. Die Hemmung von PDE-3 bewirkt an der glatten Muskulatur eine Tonusabnahme und somit eine Vasodilatation.
Das wäre hilfreich für Patienten mit COPD: ein Medikament, das antientzündlich und zugleich bronchodilatierend wirkt. / © Shutterstock/Dragana Gordic
Last, but not least prüft die EMA einen Zulassungsantrag für einen neuen Lipidsenker: Obicetrapib ist ein sogenannter CETP-Hemmer. Diese Abkürzung steht für Cholesterolester-Transferprotein. Es vermittelt unter anderem den Transfer von Cholesterolestern von High-Density-Lipoproteinen (HDL) zu Low-Density-Lipoproteinen (LDL) und Very-Low-Density-Lipoproteinen (VLDL). Das Protein hat damit eine proatherogene Wirkung. Dementsprechend soll die Blockade der CETP-Aktivität antiatherogen wirken, den HDL-Spiegel erhöhen und den LDL-Spiegel senken.
Einige CETP-Hemmer waren bereits in der Pipeline von Pharmaunternehmen, haben es aber nie zur Zulassung geschafft. Im Jahr 2026 könnte es nun endlich gelingen, einen ersten CETP-Hemmer zur Marktreife zu führen.