Bundestag beschließt umstrittene Krankenhausreform |
Die Reform will den ökonomischen Druck für die Krankenhäuser verringern. / © IMAGO/Rolf Zöllner
Es ist eine der größten Reformen im Kliniksektor seit 20 Jahren: Der Bundestag hat soeben in zweiter und dritter Lesung das Krankenhausreformgesetz (KHVVG) mit 374 Ja-Stimmen beschlossen. Nein-Stimmen gab es 285, eine Enthaltung.
Mit dem Gesetz wird laut Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Finanzierung der stationären Versorgung grundlegend verändert. Das Gesetz soll die Finanzierung der Kliniken auf eine neue Grundlage stellen und zu einer stärkeren Spezialisierung führen. Vorgesehen ist, die bisherige Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle in Kliniken zu ändern. Künftig sollen sie 60 Prozent der Vergütung schon für das Vorhalten bestimmter Angebote bekommen. Das soll den Druck senken, möglichst viele Fälle zu behandeln.
Durch eine so genannte Vorhaltevergütung sollen bedarfsnotwendige Krankenhäuser, deren Leistungen vorher fast ausschließlich mit Fallpauschalen vergütet wurden, künftig weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung zu einem relevanten Anteil gesichert werden. Leistungen sollen künftig nur in solchen Krankenhäusern erbracht werden, die über das dafür notwendige Personal, eine adäquate apparative Ausstattung sowie erforderliche Fachdisziplinen zur Vor-, Mit- und Nachbehandlung verfügen.
Dabei sollen sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen eine zentrale Rolle spielen. In Gebieten, in denen Facharztsitze unbesetzt sind, sollen künftig »Level 1i-Krankenhäuser« und Sicherstellungskrankenhäuser fachärztliche Leistungen anbieten können. Statt zum niedergelassenen Facharzt können Patientinnen und Patienten ins Krankenhaus. Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen können dort, wo Hausärztinnen und Hausärzte fehlen, auch allgemeinmedizinische Behandlungen anbieten. Die Klinik wird dafür innerhalb des KV-Systems wie eine Praxis bezahlt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warb vor der Abstimmung im Bundestag noch einmal für Zustimmung. »Wir brauchen diese Reform, und zwar jetzt«, sagte der SPD-Politiker. Der Krankenhaussektor im Land sei in einer Krise. Die Versorgung sei sehr teuer. Es geben »ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung sowie »ein paar Hundert« Krankenhäuser zu viel.
Lauterbach betonte, dass Abbau nur dort stattfinden solle, wo es eine Überversorgung gebe. Kleinere Häuser auf dem Land bekämen Zuschläge, damit sie überleben könnten. Lauterbach zufolge hat die Reform viele Unterstützer, etwa bei Fachgesellschaften wie der deutschen Krebsgesellschaft. »Mit dieser großen Reform steigern wir, nach fast drei Jahren Vorbereitung, die Behandlungsqualität in deutschen Krankenhäusern und sorgen für den Erhalt eines flächendeckenden Netzes guter Kliniken«, erklärte Lauterbach.
»Es ist ein Blindflug ohne Auswirkungsanalyse«, sagte die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU). Auch CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge kritisierte das Ampel-Vorhaben. So fehle eine Finanzierung für die Übergangsphase, bis die Reform wirke.
»Wenn Ihnen die Versorgung im ländlichen Raum wichtig wäre, dann hätten Sie schon längst mit uns gemeinsam diese Brückenfinanzierung hier im Bundestag auf den Weg gebracht«, sagte er Richtung Lauterbach. Die Häuser schrieben rote Zahlen und seien »Oberkante Unterlippe«. Außerdem fehle bisher eine Analyse, wie sich die Reform auswirken werde.
Dass auf dem Land ein großes Krankenhaussterben einsetzen werde, sei »Schwachsinn«, entgegnete die FDP-Gesundheitspolitikerin Christina Aschenberg-Dugnus. »Das wollen wir ja gerade verhindern mit dem Gesetz.«
• Kinder und Jugendliche mit schweren Erkrankungen sollen künftig ohne vorherige Überweisung, auch in Kinderkliniken und pädiatrischen Abteilungen ambulant versorgt werden können. Für die stationäre Behandlung von Kindern sollen Krankenhäuser künftig die volle Fallpauschale erhalten, auch wenn die junge Patientin oder der junge Patient kürzer im Krankenhaus bleibe, als eingangs diagnostiziert, so das BMG. Die jährlichen Zuschläge von 300 Millionen Euro für pädiatrische Einrichtungen sollen verstetigt werden.
• Für Stroke Units, Traumatologie, Pädiatrie, Geburtshilfe, Intensivmedizin, Koordinierungsaufgaben, Unikliniken und Notfallversorgung sollen zusätzliche Mittel gewährt werden.
• Leistungen der Krankenhausbehandlung sollen in zunächst 65 Leistungsgruppen (LG) eingeteilt werden, für die jeweils Qualitätskriterien als Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität festgelegt werden sollen.
• Die Zuständigkeit und Verantwortung der Länder für die Krankenhausplanung soll laut BMG unberührt bleiben. Sie sollen entscheiden, welches Krankenhaus welche Leistungsgruppen anbieten soll.
• Die Voraussetzung für die Zuweisung von Leistungsgruppen ist nach Angaben des Ministeriums die Erfüllung von bundeseinheitlichen Qualitätskriterien. Die Erfüllung dieser Kriterien sei unter bestimmten Voraussetzungen auch im Rahmen von Kooperationen und Verbünden zulässig.
• Zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung seien Ausnahmeregelungen vorgesehen, die für bedarfsnotwendige Krankenhäuser in ländlichen Räumen sogar unbefristet gelten können.
• Die schnelle Erreichbarkeit von Kliniken soll gesichert bleiben. Die Ausnahmen von der Erfüllung der Qualitätskriterien können Krankenhäusern gewährt werden, wenn ein Krankenhaus nicht innerhalb einer gesetzlich festgelegten Entfernung zu erreichen ist.
• Ein Transformationsfonds soll die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitstellen, um die strukturellen Veränderungen zu fördern. Über 10 Jahre sollen dafür insgesamt bis zu 50 Milliarden Euro bereitgestellt werden.
• Um die Attraktivität des Krankenhauses als Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte zu steigern und die Behandlungsqualität zu fördern, soll eine ärztliche Personalbemessung eingeführt werden. Hierzu soll in Abstimmung mit Bundesärztekammer und dem BMG zunächst ein Personalbemessungsinstrument wissenschaftlich erprobt werden. Um die Notwendigkeit eines Personalbemessungsinstruments für weitere Berufsgruppen (etwa Hebammen oder Physiotherapeuten) zu prüfen, soll eine Kommission eingesetzt werden.
• Um den Verwaltungsaufwand der Krankenhäuser zu verringern, sollen Maßnahmen zur Entbürokratisierung erfolgen. So sollen Prüfverfahren harmonisiert und vereinfacht werden. Die Prüfintervalle für Strukturprüfungen sollen auf drei Jahre verlängert werden.
Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), erklärte: »Wir als Ersatzkassen hätten uns deutlich verbindlichere Regeln für eine moderne Krankenhausstruktur gewünscht.« Zwar sei mit der Einführung der Leistungsgruppen zumindest der Einstieg in die dringend notwendige »Planung nach Qualität« vollzogen worden. Krankenhäuser sollen demnach nur noch Leistungen anbieten können, wenn sie die notwendigen Qualitätsvoraussetzungen erfüllen. »Dies ist ein erster Schritt, um die für die Patientinnen und Patienten nachteiligen Gelegenheitsoperationen abzubauen«, so Elsner.
Leider gebe es zu viele Ausnahmen und es werde entscheidend auf die Umsetzung und den Willen der Länder ankommen, eine echte Modernisierung der Versorgungsstrukturen im Sinne der Patientinnen und Patienten auf den Weg zu bringen. Nicht durchdacht sind ferner die Regelungen zu den sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen, die laut Elsner auch in den überversorgten Ballungsgebieten mit erheblichen Beitragsmitteln etabliert werden sollten.
Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) befürchtet durch die Reform zusätzliche Kosten für die Versicherten und die Gefahr von Versorgungslücken. »Sollte die neue Vorhaltevergütung wie geplant eingeführt werden, drohen damit gesundheitliche Nachteile für die Versicherten«, warnte der PKV-Vorsitzende Thomas Brahm.
Es würden neue Versorgungsmängel drohen, wenn spezialisierte Kliniken künftig weniger Patienten annehmen, weil sie das Geld auch ohne diese Arbeit bekommen. Überdies verursache die Vorhaltevergütung viel mehr Bürokratie. »Wir bedauern es sehr, dass trotz der zahlreichen und konstruktiven Kritik aus Fachkreisen die Krankenhausreform weitgehend unverändert durch den Bundestag verabschiedet wurde,« so Brahm.
Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken kritisiert, dass die Sicherung der Versorgung mit diesem Gesetzentwurf gefährdet sei. Die »wesentlichen, fachlich begründeten« Forderungen der Länder seien nicht berücksichtigt worden. »Dazu gehören eine auskömmliche Übergangsfinanzierung bis die Reform greift, Bürokratieabbau statt Bürokratieaufbau, die Wahrung der Planungshoheit der Länder, eine Finanzierung, die auch die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche verlässlich sichert sowie eine rechtzeitig vorgelegte Auswirkungsanalyse, die der Bundesminister mehrfach zugesagt, aber nicht geliefert hat«, sagte sie.
In Kraft treten soll die Reform zum 1. Januar 2025. Bis Ende 2026 können die Länder ihren Kliniken Leistungsgruppen zuweisen. 2027 bis 2028 soll das Finanzsystem langsam schrittweise umgestellt werden. Es ist geplant, dass dieser Prozess 2029 abgeschlossen ist.