»Brauchen eine bessere Steuerung im Gesundheitssystem« |
Alexandra Amanatidou |
06.06.2025 16:38 Uhr |
Wie können eine gute medizinische Versorgung und die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems gelingen? / © PZ/ Alexandra Amanatidou
»Obwohl das Thema Gesundheit während der Bundestagswahl nicht so prominent war, findet es gerade Fahrt auf«, sagte Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, zu Beginn der Veranstaltung »Bitte mal den Oberkörper freimachen – das deutsche Gesundheitssystem im Belastungs-EKG«, die der Verband gestern Abend in Berlin-Mitte veranstaltet hat.
Zu Beginn der Veranstaltung hielt Wolfgang Greiner, Professor für Gesundheitsökonomie und –management an der Universität Bielefeld, einen Vortrag. Dabei ging es um die Probleme, mit denen das Gesundheitssystem in Deutschland konfrontiert ist, sowie um mögliche Lösungen.
Vor dem Hintergrund des Amtsantritts der neuen Bundesregierung diskutierten Daniel Bahr, Vorstandsmitglied der Allianz Private Krankenversicherungs-AG und ehemaliger Bundesgesundheitsminister, Karin Maag, unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses, und Sebastian Wachtarz, Director Government & Public Affairs beim Pharmaunternehmen AbbVie, den gesundheitspolitisch relevanten Teil des Koalitionsvertrags sowie zentrale Fragen rund um eine bessere medizinische Versorgung und die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems. Mit dabei waren auch Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender von DAK-Gesundheit, und Harald Terpe, Mediziner und Grüner-Politiker.
»Primärsystem muss nicht nur der Hausarzt sein, sondern kann einfach eine erste Stelle sein«, sagte Harald Terpe. »So wie wir unser ambulantes System aufgestellt haben, gibt es Fehlläufer«, sagte der Grünen-Politiker und erzählte, wie seine Mutter von Arzt zu Arzt geschickt worden sei, ohne behandelt zu werden. Fehlversorgung sei ein großes Problem, fügte er hinzu.
»Wir müssen unnötige Hausarztkontakte vermeiden«, stimmte Storm zu. Kein Land sei so ungesteuert wie Deutschland: Menschen kämen zu spät zur Behandlung, was zu Verlust von Lebensqualität und Lebensjahren führe.
Auf die Frage, ob ein Primärsystem mit einer Praxisgebühr verknüpft werden sollte, sagte Storm, das würde bei den Patienten kein positives Gefühl erwecken. »Man muss erst einmal schauen, ob etwas funktioniert, bevor man mit Selbstbeteiligung anfängt.«
Könnten Apotheken auch als erste Anlaufstelle funktionieren? Dazu hatte keiner eine Antwort. Maag zitierte jedoch ihren Hausarzt: »Ich möchte Sie sehen und dann eine Diagnose stellen«. Angesichts des Fachkräftemangels, solle dennoch die Versorgung nicht arzt-, sondern praxisbezogen sein, so die Politikerin. Es gebe viele Berufsgruppen, die einbezogen werden könnten.
Das große Thema des Abends war die Finanzierung des Gesundheitssystems. Alle waren sich einig: Es gibt keine schönen Maßnahmen, die Gesundheitsministerin muss auch unpopuläre Entscheidungen treffen.
»Wenn ich in den Koalitionsvertrag schaue, sehe ich, dass nichts entschieden worden ist, was uns bei der Rente, Pflege und Gesundheit weiterbringen wird«, so Daniel Bahr. Er sorge sich, dass diese Regierung die gleichen Fehler, wie die Ampel machen werde. »Sie schafft jetzt Spielraum und nimmt den Druck aus der Reform heraus, aber das ist keine langfristige Lösung«, sagte der ehemalige Gesundheitsminister. Das System brauche eine bessere Steuerung, etwa um unnötige Arztbesuche zu vermeiden. »Ich bin im Moment ernüchtert. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie wissen, in welcher Richtung sie arbeiten«, kritisierte er die Regierung.
Andreas Storm von DAK-Gesundheit sagte, das System müsse stabilisiert werden. »Wir müssen die Beitragsspirale kurz stoppen. Bundesgesundheitsministerin Warken muss bis Ende Juni die Finanzierung aufbringen.« Denn ohne Reform würden sich die Beiträge in den nächsten Jahren enorm erhöhen, so Storm. »Wir brauchen zwingend eine einnahmenorientierte Politik.« Das Gesundheitssystem müsse effizienter werden, da es gerade im internationalen Vergleich teuer und ineffizient sei.
»Wir brauchen eine Finanzspritze, die kurzfristig an Krankenkassen und Krankenhäusern Luft verschafft«, sagte Karin Maag. Eigentlich gebe es keine besonders schöne Lösung, um die Kosten zu dämpfen, so die Politikerin.
Doch auch die Finanzierung der Pharmaindustrie wurde thematisiert. Die deutsche Pharmaindustrie sei eine Branche, die noch auf eigenen Beinen stehe, Wachstum generiere und Steuern zahle, sagte Sebastian Wachtarz. Es gebe nicht mehr viele traditionelle Industrien in Deutschland, die das noch tun. »Das sollte man nicht vergessen«, so Wachtarz, der glaubt, dass die Förderung der Branche untergegangen sei. Der Zugang zu Innovation funktioniere in Deutschland sensationell und es gebe kein anderes Land in der Europäischen Union, das innovative Medikamente so schnell auf den Markt bringe.
Was die Eigenverantwortung beziehungsweise die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung angeht, stehe Deutschland im internationalen Vergleich schlecht da, so Storm. Diese Lücke könne ein Schulfach Gesundheit schließen. Die Lage sei dramatisch, auch was die psychische Gesundheit angehe. »Jugendliche brauchen Hilfe«.
»Wir brauchen einen Wandel in der Einstellung, eine Gesundheitserziehung«, sagte Bahr. »Wir haben viele Krankheitstage, die uns an produktiver Arbeitszeit fehlen«, sagte der ehemalige Gesundheitsminister.
Prävention zu verbessern, solle eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung sein, sagte Terpe. Eine Kostenerhöhung führe jedoch nicht immer zu einer besseren Gesundheitsqualität. Man müsse vermeiden, am Ende des Lebens mehr Geld von Patienten rauszubekommen, etwa durch unnötige Tests.
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