Branchenstimmung am Tiefpunkt |
Brigitte M. Gensthaler |
13.09.2022 15:28 Uhr |
ABDA-Präsidentin Gabriele R. Overwiening und ABDA-Hauptgeschäftsführer Sebastian Schmitz bei der Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Apothekertags, der morgen in München beginnen wird. / Foto: ABDA
Bei der Pressekonferenz am Vortrag des Deutschen Apothekertags in München stellte Overwiening die wichtigsten Ergebnisse aus dem Apothekenklima-Index vor. Diese repräsentative Meinungsumfrage von bundesweit 500 Apothekeninhaberinnen und -inhabern wird seit 2016 jedes Jahr im Auftrag der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vorgenommen. Die Umfrage fand im Juli und August statt.
»Diese Umfrage ist wie ein Seismograf für die Situation der Kollegenschaft, ihre Ziele und Erwartungen an die Zukunft«, sagte die Präsidentin und konstatierte: »Die Stimmung ist so schlecht wie noch nie seit Beginn der Umfrage.« Knapp 83 Prozent der Befragten gingen aktuell davon aus, dass die Branche in den nächsten zwei bis drei Jahren eine negative wirtschaftliche Entwicklung erleben wird. Im Vorjahr seien es knapp 65 Prozent gewesen. Für den eigenen Betrieb rechneten aber nur knapp 58 Prozent mit einer Verschlechterung, so Overwiening. »Beides ist ein neuer Tiefpunkt!«
Die pessimistische Stimmung drückt die Investitionsbereitschaft. Fast 42 Prozent der Befragten hätten keinerlei Investitionen in absehbarer Zeit geplant. Die schlechte Stimmung führte die Apothekerin auf die angespannte weltpolitische Lage und ganz konkrete betriebswirtschaftliche Sorgen der Freiberufler zurück. Die Energiekrise mache sich stark bemerkbar, denn Apotheken könnten gestiegene Kosten nicht an die Patienten weitergeben. Zudem sei die Vergütung für die Abgabe verordneter Medikamente seit fast zehn Jahren konstant und wurde nicht mehr angepasst. »Jede inflationäre Entwicklung macht sich als reale Verringerung der Vergütung der Apotheken bemerkbar«, verdeutlichte Overwiening vor den Journalisten.
Heftig kritisierte sie den Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, der eine drastische Anhebung des Apothekenabschlags für zwei Jahre vorsieht: von 1,77 Euro auf 2 Euro. »Damit will man den Apotheken 120 Millionen Euro pro Jahr wegnehmen und das schwächt uns.« Sie forderte die Politiker eindringlich dazu auf, den Gesetzentwurf zu ändern. »Das geht in die völlig falsche Richtung. Der Apothekenabschlag von 2 Euro muss umgehend raus aus dem Gesetz.«
Angesprochen auf das kürzlich geführte Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) zeigte sich Overwiening vorsichtig optimistisch. Zwar halte sie es »für einen großen Fehler«, dass dieses Gespräch nicht früher geführt wurde, aber sie glaube doch, dass Apotheker jetzt deutlich machen können, »wo unsere wunden Punkte sind, aber auch unsere Stärken und Leistungen liegen, die wir auch zukünftig erbringen wollen.«
Neben den wirtschaftlichen Sorgen plagen die Apothekenleiter auch Personal- und Nachwuchssorgen. Diese stehen nach dem hohen bürokratischen Aufwand in Apotheken und den Lieferengpässen nun auf Platz 3 der größten Ärgernisse des Berufsstands. Laut Apothekenklima-Index gehören Personal- und Nachwuchsprobleme für mehr als drei Viertel der Selbstständigen zu den größten Defiziten im Versorgungsalltag.
»Wir haben einen echten Anstellungsstau in den Apotheken.« Sieben von zehn Apotheken wollen qualifiziertes pharmazeutisches Personal einstellen, haben aber keine Bewerber. Neun von zehn wollen keinesfalls Personal entlassen. Bei der Nachfolgesuche für die Übernahme einer Apotheke erwartet knapp die Hälfte der Befragten, dass sie höchstens einen oder keinen Interessenten finden werde.
Viele Leiter hätten große Sorge, dass sie die aktuellen und anstehenden Aufgaben mit dem verfügbaren Personal kaum noch managen könnten. Dies ist besonders kritisch angesichts neuer Aufgaben wie der pharmazeutischen Dienstleitungen, die der Berufsstand flächendeckend anbieten und »mit aller Kraft in die Patientenschaft hineintragen« will. Etliche Apotheken würden diese Leistungen gerne anbieten, könnten dies aber aus Personalnot aktuell nicht leisten. Laut Overwiening ist teilweise bereits eine »hohe Selbstausbeutung von Apothekeninhabern und Angestellten« zu beobachten.
Für die ABDA-Präsidentin ist klar: »Wir brauchen nachhaltige Investitionen der Politik in die Struktur der Apotheken, denn wir können nicht mit weniger Geld immer mehr leisten. Wir brauchen mehr Fachpersonal, um die Aufgaben stemmen zu können.«
Die Apothekenbefragung hat aber auch ein erfreuliches Ergebnis gebracht: Klimaschutz, Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Erde gewinnen in den Apotheken an Bedeutung. Dabei geht es neben Ressourcenschonung und Abfallvermeidung oft um die korrekte Entsorgung von Arzneimitteln. Neun von zehn Befragten schneiden diese Themen bereits in Patientengesprächen an, drei von zehn sogar sehr häufig. Drei Viertel der Apotheken planen konkrete Maßnahmen, um sich nachhaltiger aufzustellen, vor allem in puncto Energieeinsparung und Abfallvermeidung. Jede dritte Apotheke will beispielsweise bei Botendiensten vermehrt auf E-Mobilität setzen.
Auch hier sieht Overwiening die Politik gefordert. Sie müsse die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Arzneimittelproduktion unter besseren Arbeitnehmer- und Umweltschutzstandards erfolge und auch nach Europa zurückgeholt werden könne.
Trotz wirtschaftlicher Sorgen, Bürokratiewust und Personalnot: Overwiening ist zuversichtlich. Mit der Einführung des E-Rezepts, Impfangeboten und pharmazeutischen Dienstleistungen wolle der Berufsstand die Patientenversorgung verbessern. In der Pandemie hätten die Apotheker mit ihren Teams Großartiges geleistet. »Wir waren die ganze Zeit nahezu zu 100 Prozent am Netz. Wir sind verlässlich. Wir sind die tragende Säule der Arzneimittelversorgung vor Ort – das müssen wir immer wieder zeigen.«
Der 57. Deutsche Apothekertag vom 14. bis 16. September 2022 in München findet erstmals seit 2019 wieder in voller Präsenz statt, nachdem er pandemiebedingt 2020 gänzlich abgesagt und 2021 als Hybridveranstaltung abgehalten wurde. Das Schwerpunktthema heißt »Klimawandel, Pharmazie und Gesundheit«.