»Bogen bei Arzneimittellieferungen überspannt« |
Will im Bereich der Arzneimittellieferungen gesetzlich gegensteuern: Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD). / Foto: IMAGO/Fotostand
Lauterbach bekräftigte bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetages am Dienstag in Essen die die Abkehr von zu viel finanziellem Druck in der Patientenversorgung. »Die Ökonomie darf nicht die Medizin dominieren«, sagte der SPD-Politiker. In einigen Bereichen sei der Bogen überspannt worden, erläuterte er etwa mit Blick auf die Vergütung der Kliniken, die Bedingungen für Arzneimittellieferungen oder Beteiligungen von Finanzinvestoren an Medizinischen Versorgungszentren. Daher solle gesetzlich gegengesteuert werden.
Zudem erteilte der Bundesgesundheitsminister Forderungen nach einer Gebühr für Besuche in Notaufnahmen der Kliniken erneut eine klare Absage. Es werde nicht Teil einer geplanten Reform sein, »Eintrittsgelder für Patienten« zu nehmen. Probleme bei der Steuerung von Patienten in die jeweils passende Einrichtung könnten nicht auf dem Rücken der Ärmsten gelöst werden. Unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte eine solche Gebühr ins Gespräch gebracht, wenn Patienten ohne vorherigen Anruf in der Leitstelle in überlastete Notaufnahmen gehen. Der Minister warb angesichts des Fachkräftemangels dafür, die Zahl der Medizinstudienplätze um 5000 pro Jahr zu erhöhen. Ärzte und auch Pflegekräfte aus anderen, meist ärmeren Ländern abzuwerben, sei unethisch. »Wir müssen dieses Personal selbst ausbilden«, sagte er.
Der Chef der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt forderte in seiner Eröffnungsrede eine grundlegende finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Mehrwertsteuer für Arzneimittel soll von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt werden, forderte Reinhardt. Um die Kassen grundlegend zu sanieren, sei zudem vorstellbar, Teile der Genusssteuern auf Tabak und Alkohol als zweckgebundene Gesundheitsabgabe zu verwenden. Er hielt Lauterbach mangelnde Einbeziehung von Gesundheitsakteuren in politische Vorhaben und »absurde« Verfahren bei Gesetzesberatungen vor - etwa bei einen um 1.08 Uhr frühmorgens verschickten Entwurf zum Infektionsschutzgesetz mit einer Frist für Stellungnahmen bis 10.00 Uhr am selben Tag. Eine solche »pro forma Beteiligung« sei demokratiegefährdend.
Außerdem forderte Reinhardt mehr Verlässlichkeit bei der Digitalisierung. »Ärztinnen und Ärzte sind guten Willens und offen für digitale Anwendungen.» Viele seien aber nach wie vor frustriert, weil die Technik nicht stabil funktioniere. Für die geplante breite Einführung elektronischer Patientenakten sei das Vertrauen der Patienten auf einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Daten sicherzustellen.
Reinhardt kritisierte zudem den Umgang mit Praxen der niedergelassenen Ärzte. Statt deren Einsatz etwa mit einem Bonus für medizinische Fachangestellte zu würdigen, werde der Rotstift angesetzt. Angesichts der alternden Gesellschaft und des Klimawandels rief er außerdem zu einem umfassenderen Gesundheitsschutz für die Bevölkerung auf. Dafür müssten sich auch Stadtplanungen, Verbraucherschutz sowie die Landwirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik einbringen. Zu ärztlichen Aufgaben zählten auch gesundheitsbezogener Hitzeschutz, der Einsatz für saubere Luft und gegen gesundheitsgefährdende Chemikalien in Alltagsprodukten.