BMG sieht Arzneimittel als Kostentreiber |
Ev Tebroke |
10.09.2024 09:00 Uhr |
Die Arzneimittelversorgung ist laut Bericht des Bundesgesundheitsministeriums zur Auswertung der Kassenfinanzen der zweitgrößte Kostenpunkt bei den Ausgaben. / Foto: Adobe Stock/bilderstoeckchen
Es kommt wenig überraschend, aber die Zahlen sind trotzdem drastisch: Mit 2,2 Milliarden Euro stehen die 95 Krankenkassen nach Ablauf des ersten Halbjahres 2024 im Minus. Das geht aus den aktuellen Zahlen zur GKV-Finanzentwicklung hervor, die das Bundesgesundheitsministerium vorgelegt hat. Vor allem bei den Leistungsausgaben gab es demnach im Vergleich zu den Vorjahren einen deutlichen Zuwachs von 7,6 Prozent, sprich um 10,9 Milliarden Euro.
Den Einnahmen der Krankenkassen von 159,1 Milliarden Euro standen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Ausgaben in Höhe von 161,3 Milliarden Euro gegenüber. Demnach ist die gesetzlich vorgeschriebene Reserve der Kassen fast aufgebraucht: Derzeit liegt sie bei rund 6,2 Milliarden Euro, das entspricht 23 Prozent der Monatsausgaben. Die vorgesehene Mindestreserve liegt bei 20 Prozent der Monatsausgaben.
Der GKV-Spitzenverband schlägt angesichts der Entwicklung Alarm: Für das Gesamtjahr rechnet er mit einem Defizit von 4 bis 4,5 Milliarden Euro und somit bereits Ende des Jahres mit einer Unterfinanzierung. »Mit diesem erwarteten Defizit werden die Mindestreserven der Kassen zum Jahresende im Schnitt unter der gesetzlich festgelegten Mindestreserve von 20 Prozent bei nur noch rund 14 Prozent einer Monatsausgabe liegen«, teilte der Verband mit. Der Zusatzbeitrag hätte 2 Prozent betragen müssen, um die GKV auskömmlich finanzieren zu können und nicht, wie im Herbst 2023 geschätzt, bei 1,7 Prozent, heißt es. Der Verband fordert die Politik daher erneut auf, die GKV-Finanzen endlich nachhaltig zu stabilisieren statt Beiträge zu erhöhen.
Was die Ausgabenentwicklung anbelangt, so benennt der BMG-Finanzbericht neben der Krankenhaus- und der ärztlichen Behandlung auch die Arzneimittelausgaben als maßgeblichen Kostentreiber. Die Ausgaben für Klinikbehandlungen sind demnach um 7,9 Prozent auf 3,6 Milliarden Euro angewachsen. Insgesamt stellen sie mit 32 Prozent am Ausgabenkuchen den größten Posten dar. Für den Kostenanstieg spielen laut BMG vor allem die Pflegepersonalkosten eine wichtige Rolle, mit einem »erneut äußerst dynamischen Anstieg um rund 10,9 Prozent beziehungsweise 1,05 Milliarden Euro«.
Zweitgrößter Ausgabenposten mit einem Anteil von 18 Prozent am Gesamtvolumen sind die Arzneimittel. Der BMG-Auswertung zufolge stiegen die Aufwendungen für die Versorgung mit Medikamenten im ersten Halbjahr um 10 Prozent (2,5 Milliarden Euro) auf 27,2 Milliarden Euro. Der große Anstieg liegt laut Ministerium vor allem auch am Wegfall des in 2023 einmalig erhöhten Herstellerabschlags von 7 auf 12 Prozent. Dadurch reduzierten sich die von den Pharmaunternehmen an die GKV geleisteten Rabatte im ersten Halbjahr um 547 Millionen Euro.
Doch auch ohne Berücksichtigung der Rabatteinsparungen gibt es laut BMG einen Ausgabenanstieg um 7,3 Prozent (1,94 Milliarden Euro). Ein Grund dafür sind demnach die stark gestiegenen Arzneimittel-Aufwendungen im Rahmen der spezialfachärztlichen Versorgung. Hier geht es um Hochpreiser bei schweren Erkrankungen wie Krebs, Rheuma und Ähnlichem. Die Ausgaben haben sich in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahreshalbjahr deutlich erhöht (49,6 Prozent), was ein Kostenzuwachs von rund 347 Millionen Euro bedeutet.
Drittgrößter Ausgabeposten sind die Kosten der ambulant-ärztlichen Behandlung, mit einem Anteil von 16 Prozent am Ausgabevolumen. Diese Aufwendungen sind um 5,3 Prozent (1,3 Milliarden Euro) gestiegen.
Bei den Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten beziffert das BMG einen Zuwachs von 7,3 Prozent (bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 0,4 Prozent).
Wie sich die Beitragsentwicklung für das laufende Jahr und für 2025 ausgestalten wird, das soll der GKV-Schätzerkreis Mitte Oktober an das BMG kommunizieren. Dieses will dann auf Basis der Berechnungen am 1. November den durchschnittlichen »ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz« für das Jahr 2025 bekannt geben, so das BMG.
Zu Jahresbeginn lag der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz bei 1,7 Prozent. Bis August 2024 haben 22 Krankenkassen diesen Zusatzbeitrag unterjährig angehoben. Im August lag er im Durchschnitt mit 1,78 Prozent um 0,08 über dem im Oktober 2023 prognostizierten Wert für 2024.
Die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, warnt: »Für 2025 rechnet der GKV-Spitzenverband inzwischen mit einem Zusatzbeitragssatz in Höhe von mindestens 2,3 Prozent, also mit 0,6 Prozentpunkten mehr als in diesem Jahr.« Und dabei seien kommende Gesetzesvorhaben wie etwa die kostenträchtige Krankenhausreform noch nicht einmal berücksichtigt. »Die könnten den GKV-Beitrag zusätzlich um 0,1 Prozent erhöhen.« Der Verband appelliert an die Politik, das Problem endlich strukturell anzugehen. »Immer neue Gesetze, die die gesundheitliche Versorgung kaum besser, dafür aber deutlich teurer machen, lösen die strukturellen Probleme der GKV nicht«, so Pfeiffer. Unter anderem schlägt der Verband vor, versicherungsfremde Leistungen wie etwa das Mutterschaftsgeld endlich staatlich zu finanzieren.
Die Apothekerschaft begrüßt die Forderung, die versicherungsfremden Leistungen vollständig aus der Finanzverantwortung der Krankenkassen zu streichen. Vielmehr sollten die Kassen das dort eingesetzte Geld dafür verwenden, die Arzneimittelversorgung über die Apotheken zu stabilisieren, heißt es in einer Mitteilung der ABDA. »Die Krankenkassenverbände haben hier recht: Die Politik muss die Krankenkassen von versicherungsfremden Leistungen entlasten, damit die Gesundheitsversorgung der Patientinnen und Patienten endlich wieder ausreichend finanziert werden kann«, sagt ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening
Vorige Woche hatte der Bundesrechnungshof die Finanzierungsstrategien des BMG bei den aktuellen Reformvorhaben kritisiert; diese gingen zu sehr zulasten der Beitragszahlerinnen und -zahler.